Wien (öj) - Es hatte sich ja schon abgezeichnet, daß das durch viele mehr oder weniger kleine
Anlässe zerstörte Vertrauensverhältnis zwischen SPÖ und ÖVP nicht mehr zu reparieren war.
Jüngster „Stolperstein“ war der überraschende Schwenk der SPÖ zu EU-Fragen, erschwert durch SP-interne
Führungsdebatten. Die ÖVP. die EU-Fragen als unverrückbares Kernstück ihrer Politik sieht,
forderte von der SPÖ eine klare Aussage zu deren EU-Verständnis, besser gesagt: eine Zusage, von diesem
Meinungsumschwung wieder zurückzukehren. Was die SPÖ ihrerseits mit einem knappen „kommt gar nicht in
Frage“ quittierte.
Am Vormittag des heutigen Montag (06.07.) tagte das SP-Präsidium, um - neben anderen, wichtigen Fragen - auch
über die noch nicht „abgesegnete“ Änderung an der Führungsspitze zu diskutieren. Bundeskanzler Alfred
Gusenbauer war ja bis vor wenigen Tagen auch Bundesparteivorsitzender der SPÖ, trat diese Funktion aber an
Verkehrsminister Werner Faymann ab. Damit waren aber nicht alle in der SPÖ einverstanden.
Während die SPÖ also tagte, berief Vizekanzler und ÖVP-Bundesparteiobmann Wilhelm Molterer eine
Pressekonferenz ein, zu deren Beginn er bündig erklärte: „Es reicht...“ und plädierte für eine
möglichst rasche Neuwahl, da „eine gute Arbeit“ in dieser Bundesregierung nicht mehr möglich sei. Die
SPÖ-Krise dürfe nicht zu einer Krise für Österreich werden - das sei seine, Molterers, Verantwortung.
Am 07.07. werde er den ÖVP-Bundesparteivorstand damit befassen, Bundespräsident Heinz Fischer sowie den
designierten SPÖ-Chef Werner Faymann habe er unmittelbar vor der Pressekonferenz über seinen Schritt
in Kenntnis gesetzt. Es sei seine Entscheidung und er habe sich diesen Schritt nicht leicht gemacht, so Molterer,
der die ÖVP in die Wahl führen wird.
Die SPÖ beschäftige sich derzeit ausschließlich mit sich selbst, sei orientierungslos, führungslos
und nicht mehr zu gemeinsamen Lösungen fähig. Eine Neuwahl sei "der Ausweg aus der derzeitigen Sackgasse".
Mit Aufatmen begrüßte Außenministerin Ursula Plassnik die Ankündigung Molterers, der Klarheit
mit diesem mutigen Schritt schaffe. Niemand habe sich mit mehr Zähigkeit und Einsatz als er bemüht, in
dieser Regierung vorzeigbare Ergebnisse für die Österreicherinnen und Österreicher zu erzielen.
Österreich brauche die volle Aufmerksamkeit und den ungebremsten Einsatz ernsthafter und verantwortungsvoller
Politiker. Die ÖVP wolle für ein starkes Österreich in einem starken Europa arbeiten - und der Verzagtheit,
Verlogenheit und Verwirrtheit eine Absage erteilen. Die Ankündigung Molterers sei auch die rote Karte gegen
eine Politik des Zynismus. Unser Land brauche und verdiene Professionalität, Verlässlichkeit und Handlungsfähigkeit,
so Plassnik.
Am frühen Nachmittag lud dann Bundeskanzler Gusenbauer zu einer Pressekonferenz. Er habe dem SPÖ-Parteipräsidium
vorgeschlagen, daß der designierte SPÖ-Vorsitzende Werner Faymann bei der vorgezogenen Nationalratwahl
die Liste der SPÖ anführen solle. Dieser Vorschlag sei in großer Einmütigkeit angenommen worden.
Er begründete diese Entscheidung damit, dass gleich von Anfang klar sein solle, in welche Richtung es gehe.
Der Beschluss der ÖVP, die Zusammenarbeit mit der SPÖ aufzukündigen, kam für Gusenbauer "nicht
überraschend, sondern ist nur konsequent". Denn die ÖVP habe sich von Beginn an darum bemüht,
die Arbeit zu blockieren und sich als "Mühlstein für die gemeinsame Arbeit erwiesen". Diese
"Flucht nach vorne" seitens der ÖVP sei auch deshalb keine Überraschung, weil die ÖVP
in Wahrheit das Ergebnis der Nationalratswahl 2006 nie akzeptiert und seit Anfang an versucht habe, diesen "Fehler
zu korrigieren". Ob diese "Korrektur" tatsächlich gelingen werde, darüber werde der Wähler
entscheiden.
Faymann zeigte sich "enttäuscht über das Vorgehen der ÖVP"; der Koalitionspartner habe
in den letzten Monaten in keinem einzigen Punkt einen gemeinsamen Regierungserfolg ermöglicht. Die SPÖ
wolle jedenfalls keinen der Forderungen und Standpunkte opfern, um in der Regierung zu verbleiben. Die SPÖ
wolle und werde "auf Seiten der Bevölkerung" sein, etwa wenn es darum gehe, gegen Teuerungen Maßnahmen
zu ergreifen, oder wenn es um Volksabstimmungen bei EU-Vertragsänderungen gehe.
Alexander Van der Bellen, Bundessprecher der Grünen, erklärte in einer ersten Reaktion, Ankündigung
einer Neuwahl durch ÖVP-Chef Molterer sei das Eingeständnis des totalen Scheiterns dieser Bundesregierung.
SPÖ und ÖVP würden eine katastrophale Bilanz hinterlassen: Für Österreich seien die beiden
vergangenen Jahre verlorene Jahre gewesen. Es habe totaler Stillstand geherrscht. Eine Neuwahl sei daher der einzig
mögliche Ausweg aus dieser politischen Sackgasse. Sie käme nur ein Jahr zu spät, so Van der Bellen.
Die Verantwortung für das Scheitern hätten beide Regierungsparteien zu übernehmen. Beide Regierungsparteien
hätten nur ein Ziel verfolgt: Statt ihre Verantwortung in der Regierung wahrzunehmen hätten sie ausschließlich
versucht, sich gegenseitig möglichst viel Schaden zuzufügen.
FPÖ-Bundesparteiobmann HC Strache meinte, die ÖVP führe Österreich in ein dauerhaftes Neuwahlszenario.
Solche habe die ÖVP schon 1995 und 2002 provoziert. Was sie 2002 bei der FPÖ gemacht habe, mache sie
jetzt bei der SPÖ. Die ÖVP nehme das Land wegen machtpolitischer Überlegungen in einen parteipolitischen
Würgegriff, kritisierte Strache. Bezeichnend sei, daß man nicht einmal das Ergebnis des SPÖ-Präsidiums
abwarte, sondern sofort eine Neuwahl ausrufe. Dies zeige, dass es der ÖVP nur um Instabilität, Machtmissbrauch
und parteipolitisches Kalkül auf Kosten der Republik und ihres jeweiligen Partners gehe.
Strache forderte, daß die administrativen Kosten für die Neuwahl von ÖVP und SPÖ getragen
werden und mit der Wahlkampfkostenrückerstattung gegengerechnet werden sollten. Denn es sei nicht einzusehen,
dass die Bevölkerung die Zeche für die Unfähigkeit der Koalition zu tragen habe.
BZÖ-Chef Klubobmann Peter Westenthaler kündigte angesichts des Endes der Großen Koalition an, daß
das BZÖ jetzt im Parlament Allianzen für ein soziales Entlastungspaket suchen werde und kündigte
für die kommenden Parlamentstage Anträge des BZÖ - unter anderem für einen sofortigen Teuerungsausgleich,
für eine Pflegegelderhöhung, für eine Steuertarifsenkung und für eine Senkung der Mineralölsteuer
wie der Mehrwertsteuer auf Treibstoffe und Heizöle. Dies sei, so Westenthaler, ein „Last Exit Angebot“ speziell
an die SPÖ. Das BZÖ sei bereit ein soziales Entlastungspaket gemeinsam zu unterstützen. Das Angebot
liege am Tisch. Er appellierte an die SPÖ, dieses im Parlament mitzubeschließen, um nicht mit leeren
Händen in die Wahl zu gehen.
Das BZÖ ist für Westenthaler für Neuwahlen bestens gerüstet. Man habe bereits organisatorisch
und finanziell die notwendigen Weichen gestellt. Je schneller dieser Regierungsspuk vorbei sei und SPÖ und
ÖVP abgestraft würden, desto besser, so Westenthaler, der sich eine künftige Zusammenarbeit mit
allen demokratischen Parteien vorstellen kann, wenn die Bedingungen und Konditionen des BZÖ erfüllt würden.
Die Zeit des Ausschließens sei vorbei. Österreich befinde sich durch das Verhalten von SPÖ und
ÖVP in einer veritablen Staatskrise. In einer solchen ernsten Situation dürfe sich keine Partei ihrer
Verantwortung verschließen. Das BZÖ würde die Ärmel aufkrempeln und arbeiten.
In der Tat tauchten da und dort Überlegungen auf, sozusagen in den letzten parlamentarischen Arbeitstagen
den noch- oder nicht-mehr Koalitionspartner gemeinsam mit der Opposition zu überstimmen, hier boten sich vor
allem Fragen eines Teuerungsausgleichs oder der Gesundheitsreform an; als besonders reizvoll stellte sich da auch
die Abschaffung der Studiengebühren dar - ein Wahlversprechen, daß die SPÖ bis heute nicht umsetzen
konnte. Doch: sowohl die SPÖ als auch die ÖVP ließen verlauten, daß ein Passus im Koalitionspakt
das gegenseitige Überstimmen ausschließe. Und der Pakt gelte noch, schließlich sei die Regierung
bis zur Angelobung einer neuen noch im Amt. Dies konnte SP-Wissenschafssprecher Josef Broukal (er hatte die Studiengebühren
immer schon bekämpft) nicht verstehen und kündigte, verärgert, seinen Rückzug aus der Politik
an - und er wird wohl nicht der einzige bleiben.
Zum Zeitablauf ist noch anzumerken, daß der Beschluß im Parlament, den Nationalrat aufzulösen,
ein Fristenlauf einsetzt, der - aus heutiger Sicht - einen Wahltag im September 2008 vorsieht. Das können,
so sieht es das Gesetz vor, nur Sonntage sein und die fallen im September auf den 14., den 21. und 28.
Jedenfalls steht uns zwar ein kurzer, aber damit wohl eher heftiger Wahlkampf bevor, der den Tausenden Mitarbeitern
der Parteien - und wohl auch dem Wahlvolk - die Sommerruhe kräftig versauern wird. (mm) |