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Neutrinos wackeln am Kern-Zerfall |
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Wien (öaw) - Rätselhaft und mysteriös: Seit Neutrinos die Bühne der Physik betreten
haben, legen sie ihrer genauen Erforschung Steine in den Weg. Eine internationale Forschergruppe unter Beteiligung
des Stefan-Meyer-Instituts für subatomare Physik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW)
und der Technischen Universität München haben nun ein Verfahren entdeckt, das einen völlig neuen
Zugang zum Studium der schwer fassbaren Eigenschaften der Neutrinos ermöglicht. Sie berichten darüber
in der Fachzeitschrift "Physics Letters B". Die Forscher unter der Leitung von Paul Kienle (Stefan-Meyer-Institut für subatomare Physik der ÖAW und Technische Universität München) beobachteten im Zuge eines Experiments in den normalerweise exponentiellen Zerfallskurven radioaktiver Kerne periodische Modulationen. Sie zertrümmerten hochenergetische Samarium-152-Strahlen in einem Beryllium-Target und erzeugten dabei ionisierte Praseodym-140- und Promethium-142-Atome. Dabei entstanden radioaktive Kerne mit nur einem Elektron in der K-Schale. Diese jagten die Forscher dann durch den Experimentier-Speicherring der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt und ermittelten ihre Kernzerfallszeiten (Details zum Experiment). Zur Überraschung der Forscher folgten die Kerne beim Zerfall einem völlig neuen Zerfallsgesetz: Die Zerfallswahrscheinlichkeit war zeitlich nicht konstant, sondern wurde bei fortschreitender Zeit periodisch größer und kleiner. Die Forscher gehen davon aus, dass die Modulation der Zerfallswahrscheinlichkeit durch eine rätselhafte Eigenschaft der beim Zerfall emittierten Neutrinos zustande kommt, nämlich durch eine "Mischung" verschiedener Neutrinos mit sehr kleinen Massenunterschieden. Diese Entdeckung eröffnet einen völlig neuen Zugang zum Studium der schwer fassbaren Eigenschaften der Neutrinos. Radioaktive Kerne können auf unterschiedliche Arten zerfallen. Im vorliegenden Fall wurde das Elektron aus der K-Schale eingefangen und dabei durch Umwandlung eines Protons in ein Neutron ein Tochterkern ohne Elektron und ein Neutrino erzeugt. Durch den Nachweis des Tochterkerns kann auf Eigenschaften der Neutrinos geschlossen werden: "Der Vorteil dieses neuen Verfahrens zum Studium der Mischung von massiven Neutrinos ist der verlustfreie Nachweis des Tochterkerns in einem Speicherringexperiment im Vergleich zu der winzigen Nachweiswahrscheinlichkeit von Neutrinos in einem tausende Tonnen schweren Detektor wie sie bisher in den Neutrino-Oszillationsexperimenten verwendet wurden", erklärt Paul Kienle. Hintergrund: Die Neutrino-Revolution Im Jahr 1931 sagte der österreichische Physiker und spätere Nobelpreisträger Wolfgang Pauli ein neutrales Teilchen voraus, das beim schwachen Kernzerfall (ß-Zerfall) zusammen mit dem Elektron die Energie und den Impuls wegträgt, dem direkten Nachweis aber entkommt. Schon 1934 entwickelte Enrico Fermi eine Theorie des ß-Zerfalls mit Pauli's hypothetischem Teilchen, das er Neutrino (ital. "kleines Neutron") nannte, ein masseloses, neutrales Teilchen, das spurlos lange Wege in Materie durchlaufen kann. Erst 1959 gelang es, Antineutrinos (die Antiteilchen der Neutrinos) aus dem ß-Zerfall in einer "schwachen" Wechselwirkungsreaktion nachzuweisen: Ein Antineutrino wandelt in Kilotonnen schweren Detektoren mit fast verschwindender Wahrscheinlichkeit ein Proton in ein Neutron und Positron um, die nachgewiesen werden. 1962 wurde eine zweite Neutrino-Art (Myon-Neutrino) entdeckt, die zusammen mit dem schweren Geschwister des Elektrons, dem Myon, auftritt. Mitte der 1960er Jahre wurde nachgewiesen, dass die Sonne Neutrinos emittiert, wobei ein Defizit relativ zu den Voraussagen des Standard-Sonnen-Modells gefund en wurde. Dieses Rätsel wurde als "Sonnen-Neutrino-Problem" bekannt. Bis dahin wurde angenommen, dass Neutrinos masselose Teilchen sind und ihre Art nicht ändern können. Gribov und Pontecorvo schlugen vor, dass Neutrinos mit Masse sich auf dem Weg von der Sonne zur Erde von Elektronen-Neutrinos in Myon-Neutrinos umwandeln, wodurch die fehlenden Elektron-Neutrinos erklärbar wären. Das war der Beginn einer Revolution in der Neutrinoforschung auf der Grundlage der Mischung ihrer inzwischen bekannten drei Arten, den Elektron-, Myon- und Tau-Neutrinos und der Umwandlung in eine andere Art bei ihrer Ausbreitung. Vor zehn Jahren wurde in Japan mit einem 3000 Tonnen schweren Detektor in der 1000 Meter tiefen Kamioka-Mine die Umwandlung von Myon-Neutrinos aus der Erdatmosphäre in Tau-Neutrinos beobachtet. Das rätselhafte Verschwinden der Elektronen-Neutrinos aus der Sonne und der Myon-Neutrinos aus der Atmosphäre kann mit Hilfe eines quantenmechanischen Prozesses verstanden werden, den man "Neutrino-Oszillationen" nennt. Dabei wandelt sich unter bestimmten Bedingungen eine Art von Neutrinos bei ihrer Ausbreitung in Raum und Zeit periodisch in eine andere Art um. Voraussetzung dabei ist, dass die Neutrino-Arten unterschiedliche Massen besitzen und dass eine Neutrino-Art eine Mischung aus verschiedenen Massenzuständen ist und umgekehrt. Derzeit werden weltweit tausende Tonnen schwere, komplexe Detektoren in Untergrundlabors aufgebaut, um die mysteriösen Eigenschaften der Neutrinos mit Oszillationsexperimenten zu untersuchen. |
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