Österreichs Ausgaben für die Familienförderung gehören im Vergleich zu anderen
OECD-Ländern zu den höchsten
Wien (öaw) - Trotzdem hat es eine der niedrigsten Geburtenraten. Wesentliches Handikap ist nach
wie vor die erschwerte Vereinbarkeit von Kind und Karriere, diagnostizieren Forscher(innen) des Instituts für
Demographie der ÖAW im Rahmen einer internationalen, vergleichenden Studie zur Geburtenentwicklung sowie Familienpolitik
in Europa. Sie orten Handlungsbedarf.
Wie in anderen europäischen Ländern, haben sich in Österreich seit den frühen 1970er Jahren
Normen, Werte und die Einstellung zu Familie und Kinderkriegen gewandelt. Diese Entwicklung wird als "Second
Demographic Transition" bezeichnet. Alternative Lebensentwürfe zu Heim, Herd und Familie werden akzeptiert,
Kinderlosigkeit ist weniger negativ besetzt. Das höhere Ausbildungsniveau und die steigende Erwerbsquote von
Frauen lässt den Kinderwunsch nach hinten verschieben. Die Gründung einer Familie wird nicht mehr als
Pflichterfüllung gegenüber der Gesellschaft gesehen, sondern als Entscheidung, die geplant wird und für
die es für und wider abzuwägen gilt.
Geburtenrate stabilisiert sich
Auch wenn die österreichischen Frauen ihr erstes Kind immer später bekommen, sind sie bei ihrer
ersten Geburt jünger als die Frauen in den meisten westeuropäischen Ländern. Daher prognostizieren
die Forscher(innen) für die nächsten zwei Jahrzehnte eine weitere Verschiebung des Alters für das
erste Kind nach hinten.
Mit einer weiteren Abnahme der Geburtenrate (derzeit liegt sie in Österreich bei Frauen, die Mitte der 1970er
Jahre geboren sind, bei rund 1,6) rechnen die Forscher(innen) jedoch nicht. Verschiedene Faktoren, die die künftige
Geburtenentwicklung beeinflussen, werden sich ihrer Prognose zufolge gegenseitig ausbalancieren: "Abnehmende
Geburtenraten als Folge der 'Second Demographic Transition' werden teilweise durch Immigration ausgeglichen",
sagt Tomáš Sobotka vom Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
(ÖAW). Auch ein besserer Zugang zu Reproduktionstechnologien für kinderlose Paare, sowie eine Politik,
die die Vereinbarkeit von Kind und Berufstätigkeit fördert, könnten einen positiven Effekt auf die
Geburtenentwicklung in Österreich haben.
Kinder als Karriere-Handikap
"Die bisherige Familienpolitik in Österreich hat hauptsächlich den Rückzug junger Mütter
vom Arbeitsmarkt unterstützt, jedoch nicht eine bessere Vereinbarkeit von Kind und Karriere", so Tomáš
Sobotka. "Die mit Jänner 2008 in Kraft getretene Flexibilisierung des Kindergeldes ist ein Schritt in
die richtige Richtung."
Entsprechende Maßnahmen hätten Sobotka zufolge nicht nur eine positive Wirkung auf die Geburtenrate:
"Eine Steigerung der Erwerbsquote von Frauen ist - neben einem späteren Pensionseintrittsalter und einer
Stärkung älterer Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt - auch Teil der Lösung zur Sicherung des Sozialsystems
in der rapide alternden Gesellschaft."
Zur Studie "Childbearing trends and policies in Europe"
Im Rahmen der internationalen, vergleichenden Studie "Childbearing trends and policies in Europe"
erstellten Demographen unter Beteiligung des Instituts für Demographie der ÖAW Detailanalysen der Geburtenentwicklung
sowie der Familienpolitik der letzten Jahrzehnte in Europa. Koordiniert wurde die Studie vom Max-Planck-Institut
für demografische Forschung in Rostock. Die Rolle und die wechselseitigen Verflechtungen sozialer, ökonomischer
und politischer Einflüsse wurden untersucht sowie aktuelle Trends und Entwicklungslinien für die Zukunft
identifiziert. Erstmals wurden auch die ehemals sozialistischen Länder Europas im Detail analysiert.
Ziel der Großprojekts "Childbearing trends and policies in Europe" war, Daten koordiniert zusammenzuführen
und damit erstmals einen internationalen Vergleich auf einer wissenschaftlich fundierten Basis zu ermöglichen.
Im Mittelpunkt der Analysen standen der aktuelle Trend zu immer späteren Geburten und seine Folgen, die beginnenden
Veränderungen der Familiengröße weg von der Zwei-Kind-Familie, die Rolle moderner Verhütungsmittel
und der Veränderungen in den Familien- und Partnerschaftsstrukturen. Ebenfalls im Blickpunkt der Forscher
und Forscherinnen waren der Einfluss der Migration sowie politischer Maßnahmen auf die Geburtenentwicklung.
Die Studie deckt 86 Prozent der europäischen Bevölkerung ab. Jedes europäische Land mit mehr als
15 Millionen Einwohnern sowie eine Reihe kleinerer Länder - darunter Österreich - wurden untersucht.
Die Ergebnisse wurden gesammelt im Online-Journal "Demographic Research" veröffentlicht. Die Publikation
enthält auf rund 1200 Seiten acht Übersichtartikel und 19 Länderanalysen. Die Analyse für Österreich
wurde vom Institut für Demographie der ÖAW durchgeführt. |