Fenn - Das Dorf   

erstellt am
29. 07. 08

Von Caryll Churchill – Am Mittwoch, den 30. Juli um 20 Uhr, feiert das Stück von Caryl Churcill in der Pischl Fabrik Premiere
Telfs (volksschauspiele) - Fenn ist eine einförmige Sumpf und Moorlandschaft nordöstlich von London. "Teuerster Boden von England, äußerst fruchtbar, jedoch zu neblig zum Photographieren." Früher gehörte das Land den Bauern, heute ist es in der Hand von Großkonzernen - Imperial Tabacco, Esso, Gemeinnützige Lebensversicherung, ect.-und sie alle lieben diese hervorragende Erde.

Fenn ist das Dorf von Caryl Churchills gleichnamigem virtuos komponierten Stück, das als Reaktion auf die Folgen des Thatcherismus in England der 80er Jahre entstand. Erzählt wird die zunehmend ausweglose Situation der Landarbeiter und vor allem Landarbeiterinnen im Fenn. In der Schere zwischen Landwirtschaft und Großgrundspekulationen und gefangen in der Teufelsspirale von sinkenden Löhnen, steigenden Mieten und zermürbender Arbeit, wird die ökonomische Lage immer "prekärer" und die Familien und Beziehungsstrukturen immer absurder. In 21 Szenen spielen 6 Frauen und ein Mann 20 Rollen unabhängig von Geschlecht und Alter.

Zentrale Charaktere sind Liz und Frank. Liz verlässt ihren Mann und ihre beiden kleinen Töchter, um mit Frank zusammen zu sein. Sie träumt von einem Leben weit weg vom Fenn, doch leidet sie unter dem Verlust ihrer Kinder. Frank und Liz' Stationen ihrer unerfüllten, auf wenige zarte Momente beschränkten Liebe durchziehen das Stück wie ein roter Faden. Die Höhenflüge der Liebe machen den beiden Flachländern Angst. Zwei Menschen suchen nach einem Ausweg aus dem Fenn, den sie am Ende der Geschichte auch gefunden haben werden.

Episodenartig, wie aus dem Nebel, tauchen die Geschichten der anderen Charaktere auf und verschwinden wieder. Da ist Angela, 45 Jahre alt, die ihre 15jährige Stieftochter Becky quält, weil sie sonst nichts hat vom Leben. Da ist Shirley, die ihren Schmerz mit harter Arbeit betäubt, da ist der Bauer Tewson, der so unsterblich sein möchte wie die großen Konzerne, weil er dann wie sie keine Steuern zahlen muss, da ist May, die Mutter von Liz, die Sängerin werden wollte und daher nie singt. Da ist Alice, die ihr Glück in Jesus finden will und feststellt: "Wir sind alle ein Dreck, aber Jesus liebt uns trotzdem, deshalb ist es nicht so schlimm." Da ist auch Hoffnung in Form von Widerstand, verkörpert durch Nell. Ihr Engagement für Rechtmäßigkeit hat aber keinen Platz im Fenn, sondern wird als utopisches Gerede abgestempelt. Sie wird am Ende wie eine Pasolini- Figur auf Stelzen wandern, und damit weit über den Dingen stehen, über ihrem Schicksal genauso wie über der guten fruchtbaren Erde. Die Stelzen haben noch eine weitere Bedeutung. So, erzählt das Stück bereits in der ersten Szene, waren die Stelzen das Symbol für den Widerstand gegen die fremde Machtübernahme in vergangener Zeit. Über die Zukunft spricht man nicht mehr im Fenn, dafür umso mehr über die Vergangenheit. Die LandarbeiterInnen geben ihre Erinnerungen an Arbeit und Mühsal von Generation zu Generation weiter. Nur Nell erheitert die anderen mit einer Anekdote einer geglückten Flucht aus miesen Verhältnissen, und die gelang ausgerechnet ihrem eigenen Großvater. Darüber muss sogar sie selbst lachen.

Caryl Churchills Blick auf ihre Figuren ist unsentimental und deswegen voll Mitgefühl. Die rhythmisch genau komponierten Dialoge in Fenn wirken alltäglich, die Handlung wird leise und realistisch erzählt.


Caryl Churchills Theaterarbeit
Sie schreibt, "seit sie sich erinnern kann", sagt Caryl Churchill, anfangs waren es Kurzgeschichten und Hörspiele, doch schon während ihrer Oxforder Studienzeit entstanden ihre ersten Dramen. "Ich wollte etwas schreiben, was losgelöst von mir existieren und eigenes Leben entwickeln würde", so Churchill. Heute werden ihre Stücke an allen namhaften Bühnen der Welt gespielt, spätestens seit ihrem Welterfolg "Top Girls" ist die Autorin selber "on the top" der Liste jener Stückeschreiber, die es zu etwas gebracht haben.

"Dramatiker geben keine Antworten, sondern stellen Fragen", schrieb Caryl Churchill über ihre Arbeit am Theater. Tatsächlich bleiben in ihren Stücken diese Fragen immer offen, Churchills Anspruch an das Theater war niemals nur ästhetisch sondern auch sozialpolitisch und vor allem feministisch. Dabei verfährt sie aber nicht streng dogmatisch, sondern schreibt ihre Gesellschaftskritik subversiv in ihre Stücke ein. Sie interessierte sich für die Geschichte, die sich auf die Gegenwart legt und wie über diese gesprochen wurde und wird. So verarbeitete sie in ihren Stücken unter anderem wirtschaftliche Ereignisse und ihre Folgen für die Frauen, wie auch in ihrem Stück Fenn.

Churchill, die dieses Jahr ihren 70. Geburtstag feiert, blickt auf eine Vielzahl von Theater-, Radio- und Fernsehstücken zurück, die sie zu einer der wichtigsten Dramatikerinnen Englands gemacht haben. Brechts episches Theater und Becketts absurdes Theater prägten früh ihren Stil, mit dem sie in weiterer Folge immer weiter spielte. So experimentierte sie einerseits mit der Formensprache ihrer Stücke und andererseits mit dem Prozess bis zur Aufführung. Mit der unabhängigen Theatergruppe "Joint Stock Company" konzentrierte sie sich vor allem auf die Proben von Fenn, dabei verbrachte die Gruppe viel Zeit im Fenn mit den Landarbeiterinnen und Landarbeitern. Das Ergebnis manifestiert sich in Fragmenten, in denen dem Betrachter ein kurzer Einblick in das Leben verschiedener Landarbeiterinnen gewährt wird. Diese Momente legen aber die tiefen Gefühle, Ängste und Probleme frei.

http://www.volksschauspiele.at/
 
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