Indikator-Molekül ermöglicht erstmals Langzeitbeobachtung der Aktivität einzelner
			Nervenzellen 
			Martinsried (idw) - Wissenschaftler träumen schon lange davon, Nervenzellen im Gehirn direkt
			bei der Arbeit zu beobachten. So könnte zum Beispiel die Verarbeitung von Sinneseindrücken, die Veränderungen
			der Nervenzellen während eines Lernvorgangs, oder das Absterben von Nervenzellen im Alter und bei Krankheit
			untersucht werden. Die dazu nötigen Langzeitbeobachtungen der Aktivität einzelner Nervenzellen waren
			jedoch bislang nicht möglich. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie haben nun ein
			Molekül entwickelt, dass von den Zellen selbst gebildet wird und zuverlässig über viele Wochen hinweg
			die Aktivität einzelner Nervenzellen anzeigt.  
 
Das Gehirn bestimmt wer wir sind, was wir tun und wie wir die Welt wahrnehmen. Es ist daher kein Wunder, dass das
			Gehirn den Menschen schon immer faszinierte. Um zu verstehen wie das Gehirn funktioniert, muss man die "Sprache"
			der Nervenzellen verstehen - also das Muster ihrer elektrischen Aktivität interpretieren. Eine Schwierigkeit
			dabei ist, das Signal einer einzelnen Zelle aus den Signalen tausender Nachbarzellen herauszufiltern. Ein einzelnes
			Signal über viele Wochen hinweg zu verfolgen, ist nahezu unmöglich. Diese Beobachtungen wären jedoch
			wichtig um zu erforschen, wie sich die Aktivität einzelner Zellen im Laufe einer Krankheit, während der
			Entwicklung und des Alterns, oder auch während Lernprozessen verändern. Solche Untersuchungen gehörten
			bislang ins Reich der Utopie. 
 
Der Zellaktivität auf der Spur 
			In den letzten Jahren gab es jedoch wichtige Verbesserungen in den Untersuchungsmethoden. So wurden Fluoreszenz-Farbstoffe
			entwickelt, die die Aktivität einzelner Nervenzellen sichtbar machen. Die Grundlage dieser Farbstoffe sind
			synthetische Kalzium-Indikatoren, die auf die Bindung von Kalzium mit einer Veränderung ihrer Helligkeit reagieren.
			Kalzium kommt in jeder Nervenzelle vor und die Kalzium- Konzentration ändert sich, wenn eine Nervenzelle zum
			Beispiel ein elektrisches Signal weitergibt. Künstlich in eine Zelle eingebrachte Kalzium-Indikatoren können
			somit elektrische Signale der Zellen optisch sichtbar machen. Zusätzlich hebt der fluoreszierende Farbstoff
			die damit gefüllte Zelle aus der Masse der Nervenzellen hervor und macht sie mit all ihren Verästelungen
			sichtbar. Mit Hilfe der modernen 2-Photonen-Mikroskopie können so die Aktivität und auch die Anatomie
			der markierten Zellen direkt im Gehirn studiert werden. Jedoch verblassen die künstlichen Farbstoffe meist
			nach kurzer Zeit wieder, was Langzeitbeobachtungen verhindert. 
 
Eine Alternative zu den synthetisch hergestellten Farbstoffen sind genetisch kodierte Kalzium-Indikatoren. Diese
			Moleküle sind Proteine, die von einzelnen genetisch veränderten Nervenzellen selbst produziert werden.
			Ist die Nervenzelle aktiv, fluoreszieren die Indikator- Moleküle anstatt zuvor bläulich eher gelb. Störende
			Eingriffe von außen sind also nicht mehr nötig, um die Aktivität der Zellen sichtbar zu machen.
			Doch auch hier gibt es ein Problem: Im Vergleich zu den künstlichen Farbstoffen leuchteten diese genetisch-kodierten
			Indikator-Moleküle nur schwach und reagierten auch nur auf größere Änderungen in der Kalzium-Konzentration.
			So blieb eine schonende aber auch aussagekräftige Langzeitbeobachtung der Aktivität einzelner Nervenzellen
			weiterhin ein Wunschtraum. 
			 
 
TN-XXL: Die Antwort auf Forscherträume? 
			Dieser Traum scheint nun in Erfüllung zu gehen. Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für
			Neurobiologie ist es gelungen, einen deutlich verbesserten Kalzium-Indikator zu entwickeln. TN-XXL, so der Name
			des Moleküls, ist viel empfindlicher als alle seine Vorgänger und reagiert schon auf kleinste Änderungen
			in der Aktivität von Nervenzellen. Da TN-XXL ständig von den Nervenzellen nachgebildet wird, ist die
			Leuchtkraft kontinuierlich hoch. So kann die Aktivität einzelner Nervenzellen über viele Wochen hinweg
			im intakten Gehirn beobachtet werden. 
 
"TN-XXL sollte einigen Wirbel in den Neurowissenschaften verursachen", vermutet Oliver Griesbeck, der
			Leiter der Studie. Die nun erstmals mögliche Langzeitbeobachtung der Aktivität einzelner Nervenzellen
			ist eine wichtige Voraussetzung um zu verstehen, wie das Gehirn arbeitet und sich mit der Zeit verändert -
			sei es während seiner Entwicklung, des Alterns, oder um neue Informationen zu verarbeiten. Auch in der klinischen
			Forschung sieht Griesbeck Anwendungsmöglichkeiten für das neue Molekül: "TN-XXL kann zum Beispiel
			eingesetzt werden, um den Verlauf von Krankheiten oder die Effekte von Medikamenten im Körper zu verfolgen."
			Es sollte daher nicht lange dauern, bis TN-XXL neue Einblicke in die Arbeitsweise unseres Gehirns und auch unseres
			Körpers bringt. 
 
Originalveröffentlichung: Marco Mank, Alexandre Ferrão Santos, Stephan Direnberger, Thomas D. Mrsic-Flogel,
			Sonja B. Hofer, Valentin Stein, Thomas Hendel, Dierk F. Reiff, Christiaan Levelt, Alexander Borst, Tobias Bonhoeffer,
			Mark Hübener, Oliver Griesbeck A genetically encoded calcium indicator for chronic in vivo two photon imaging
			Nature Methods, 10. August 2008 |