6.092 Prüfungsverfahren eingeleitet
Wien (pk) - Im vergangenen Jahr wandten sich insgesamt 15.204 Bürgerinnen und Bürger mit
ihrem Anliegen an den Volksanwaltschaft. 6.092 Prüfungsverfahren wurden eingeleitet, 3.821 davon die Bundesverwaltung
betreffend. Dazu kommen in 61 Fällen so genannte amtswegige Prüfungsverfahren. Das geht aus dem jüngsten
Bericht der Volksanwaltschaft hervor, der vor kurzem dem Parlament übermittelt wurde.
Die Palette der Beschwerden ist breit und betrifft beinahe jeden Verwaltungsbereich. Sie reicht beispielsweise
von unverständlichen Pflegegeldeinstufungen über verschwundene Anträge bei Behörden und als
unnötig empfundene Coachingmaßnahmen für Arbeitslose bis hin zu Problemen mit Reisepässen
bei USA-Reisen und der nachträglichen Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Auch
allzu große Nachsicht von Behörden gegen Gewerbebetriebe, die gegen Auflagen verstoßen, und die
übermäßig lange Dauer von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren werden immer wieder moniert.
Es ist jedoch nicht immer die Verwaltung, die nach Meinung der Volksanwaltschaft für berechtigten Unmut bei
Bürgerinnen und Bürgern sorgt. Oftmals stellt sich im Laufe von Prüfungsverfahren heraus, dass die
Behörden korrekt gehandelt haben, die gesetzlichen Bestimmungen jedoch adaptierungsbedürftig sind. In
solchen Fällen sprechen die drei VolksanwältInnen legislative Empfehlungen an den Nationalrat aus.
Dass die Differenz zwischen Beschwerdefällen und eingeleiteten Prüfungsverfahren relativ groß ist,
ergibt sich daraus, dass an die Volksanwaltschaft häufig auch Beschwerden herangetragen werden, für die
sie nicht zuständig ist, etwa familienrechtliche Probleme zwischen Privatpersonen. So betrafen von den 15.204
Beschwerden lediglich 9.820 den Bereich der öffentlichen Verwaltung und damit den Kompetenzbereich der Volksanwaltschaft.
In 3.728 dieser Fälle konnte kein Prüfungsverfahren eingeleitet werden, weil die behördlichen Verfahren
noch im Laufen waren oder den Beschwerdeführern noch ein Rechtsmittel offen stand. Statistisch betrachtet
richten sich die meisten Beschwerden gegen das Sozialministerium und das Justizministerium, in der Bundesländerreihung
liegt Wien weiter an der Spitze.
785 berechtigte Beschwerden und 11 formelle Missstandsfeststellungen
Abschließen konnte die Volksanwaltschaft im Berichtsjahr 2007 6.691 Prüfungsverfahren, wobei es in 11
besonders schwer wiegenden Fällen kollegialer Missstandsfeststellungen und Empfehlungen bedurfte. Vier dieser
Fälle bezogen sich auf die Bundesverwaltung. Daneben wurde weiteren 785 Beschwerden die Berechtigung zuerkannt.
In einem Fall entschloss sich die Volksanwaltschaft dazu, eine Verordnung beim Verfassungsgerichtshof anzufechten.
Anlass dafür war einmal mehr der Ortstafel-Konflikt.
Die Empfehlungen und Missstandsfeststellungen im Bundesbereich betrafen Versäumnisse des Innenministers im
Bereich des Passwesens, die nachlässige Verfolgung von diskriminierenden Stellen- und Wohnungsanzeigen durch
die zuständigen Behörden, die mangelnde Förderung legasthenischer Kinder an Schulen und die nicht
durchgängige Verwendung diakritischer Zeichen bei der Namensschreibung durch Behörden.
In immerhin 3.333 Fällen sahen die drei VolksanwältInnen keinen Anlass für eine Beanstandung.
Die übrigen im Jahr 2007 erledigten Beschwerden wurden entweder zurückgezogen (494), erwiesen sich
bei genauerer Prüfung als unzulässig (933) bzw. als nicht in die Kompetenz der Volksanwaltschaft fallend
(1.045) oder waren zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung nicht geeignet (89).
Konkrete Beschwerden, Missstände und Empfehlungen
Der größte Teil des fast 500 Seiten starken Berichts der Volksanwaltschaft umfasst die Darstellung konkreter
Beschwerdefälle. Grundrechtsrelevante Fälle wie Diskriminierungen von Minderheiten, behinderten Menschen
und Frauen, unverhältnismäßig lange Verfahren oder Verletzungen des Datenschutzes werden dabei
in einem eigenen Berichtsteil besonders hervorgehoben.
Unter anderem berichtet die Volksanwaltschaft etwa von einem Fall, in der ein 14-jähriger Österreicher
gleichsam über Nacht zu einem Fremden wurde. Sein österreichischer Vater hatte nach der Ehescheidung
von seiner philippinischen Frau erfolgreich die Vaterschaft des 14-Jährigen bestritten, dieser verlor daraufhin
rückwirkend mit Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft. Eine Neuverleihung ist teuer und
langwierig und, wie die Volksanwaltschaft schreibt, angesichts des verschärften Staatsbürgerschaftsrechts
vielleicht gar nicht möglich.
In einem anderen Fall musste eine fünfköpfige Familie eine USA-Reise stornieren, weil die Mutter und
eines der Kinder bereits am österreichischen Flughafen zurückgewiesen wurden. Die beiden waren im Besitz
eines Reisepasses, der zwischen dem 26. Oktober 2005 und dem 15. Juni 2006 ausgestellt wurde, und hätten daher
– im Gegensatz zum Rest der Familie – ein Visum für die USA beantragen müssen. Weder für neuere
Pässe (enthalten biometrische Daten) noch für ältere (für sie gelten Übergangsbestimmungen)
ist dies erforderlich.
Verantwortlich für den Missstand ist nach Meinung der Volksanwaltschaft eindeutig das Innenministerium, da
es im Hinblick auf die Einführung "biometrietauglicher" Pässe säumig gewesen sei. Den
US-Behörden kann ihr zufolge hingegen kein Vorwurf gemacht werden, sie haben die österreichischen Behörden
zeitgerecht informiert. Der Empfehlung der Volksanwaltschaft, alle betroffenen Passinhaber – nach Angaben des Innenministeriums
ca. 200.000 Personen – über die Sachlage zu informieren und einen kostenlosen Austausch der Reisepässe
anzubieten, kam der Innenminister in beiden Punkten nicht nach.
Starker Anstieg der Beschwerden im Bereich des Fremdenrechts
Insgesamt wurden aus dem Arbeitsbereich des Innenministeriums dem Bericht zufolge 481 Beschwerdefälle an die
Volksanwaltschaft herangetragen, wobei Volksanwältin Terezija Stoisits einen ungewöhnlich starker Anstieg
bei fremdenrechtlichen Beschwerden verzeichnet. Allein 194 Fälle betrafen diesen Bereich. Stoisits führt
das nicht zuletzt auf die Umsetzung der neuen gesetzlichen Bestimmungen zurück.
Besonders große Probleme verursachen etwa die erforderliche Beantragung von Aufenthaltstiteln im Ausland,
die auch für EhepartnerInnen österreichischer StaatsbürgerInnen gilt, sowie die strikten Vorgaben
bei der Beurteilung, ob für einen Aufenthaltstitel ausreichende Unterhaltsmittel vorliegen. Mehrere Beschwerdeführer
sind an dieser Hürde knapp gescheitert, skizziert der Bericht, den Behörden fehlt jedoch jeglicher Spielraum.
Ähnliches gilt für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, für den zum Beispiel
ein kurzfristiger Sozialhilfebezug nunmehr zum Stolperstein werden kann. Auch das fehlende Antragsrecht für
humanitäre Aufenthaltstitel wird von der Volksanwaltschaft als unbefriedigend erachtet.
Verpflegung von Zivildienern: Harsche Kritik an Vorgangsweise
Harsche Kritik übt die Volksanwaltschaft in Zusammenhang mit der in Folge eines Erkenntnisses des
Verfassungsgerichtshofs notwendig gewordenen Nachzahlung von Verpflegungskosten an ehemalige Zivildiener. "Trotz
bereits im Jahr 2001 erkennbarer Schwierigkeiten haben es weder der Gesetzgeber noch der Innenminister über
einen Zeitraum von mehreren Jahren geschafft, eine vergleichsweise simple rechtliche Situation ordentlich zu regeln",
halten die drei VolksanwältInnen fest. Ihrer Meinung nach steht der Gesamtaufwand in keinem vernünftigen
Verhältnis zum Ergebnis – eine sofortige Finanzierung aller geltend gemachten Ansprüche hätte kaum
mehr Kosten, dafür aber "weniger Ärger mit der Rechtsstaatlichkeit" gebracht. Laut einer parlamentarischen
Anfrage haben mehr als 30.000 ehemalige Zivildiener Nachzahlungen erhalten, in rund 1.000 Fällen musste sich
das Innenministerium mit Berufungen befassen.
Alte Problemfelder: Hubschraubertransporte, Unterhalt, Gewerberecht
Auch viele bereits in früheren Berichten der Volksanwaltschaft aufgezeigte Problemfelder tauchen im aktuellen
Bericht wieder auf. So wurde die Volksanwaltschaft etwa auch 2007 wieder mit zahlreichen Beschwerden über
teure Rettungshubschraubertransporte nach Schiunfällen, Problemen bei der Durchsetzung von Unterhalt und Unterhaltsvorschuss
und der Benachteiligung von Familien mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft konfrontiert.
Gleiches gilt für behördliche "Hürdenläufe", die behinderte Menschen bzw. ihre Angehörigen
bewältigen müssen, um Zuschüsse zu behinderungsbedingten Anschaffungen zu bekommen. Die Volksanwaltschaft
fordert daher nach wie vor eine zentrale Anlaufstelle für die Anliegen von behinderten Menschen, wie es sie
etwa im Bereich des Gewerberechts bereits gibt. Ebenso bleibt die Forderung der Volksanwaltschaft nach sichereren
Hausbrieffachanlagen und ihre Kritik am Ausbau des vereinfachten Betriebsanlagenrechts aufrecht.
Was den letzten Punkt betrifft, merkt Volksanwältin Terezija Stoisits an, dass die unzureichende Berücksichtigung
des Nachbarschaftsschutzes bei Erstgenehmigungen von Betriebsanlagen häufig zeit- und kostenaufwändige
Folgeverfahren nach sich zieht, die auch das Unternehmen selbst massiv belasten können. "Ein umsichtiges
Ermittlungsverfahren" bei der Erledigung eines Ansuchens um Betriebsanlagengenehmigung erspare der Behörde,
dem Unternehmen und den NachbarInnen ein für alle Seiten aufwändiges Sanierungsverfahren, heißt
es im Bericht unter Verweis auf mehrere konkrete Fälle.
"Dauerbrenner" lange Gerichtsverfahren
Ein "Dauerbrenner" bei der Volksanwaltschaft ist auch die Dauer mancher Gerichtsverfahren. Nicht
immer ist dafür die Überlastung des Gerichtspersonals und der beauftragten Sachverständigen verantwortlich,
manchmal bleibt ein Akt, wie der Bericht festhält, auch ohne nachvollziehbaren Grund längere Zeit liegen
oder landet versehentlich in der Aktenablage. Überdies nutzen die Gerichte die Möglichkeiten, die sie
bei Säumigkeit von Gutachtern haben, oft nicht aus. Im Bericht dokumentiert ist etwa ein Fall, bei dem erst
nach sieben Jahren über einen Antrag auf Unterhaltserhöhung entschieden wurde.
In den Justizbereich fallen aber etwa auch die Beschwerde eines Bürgers, der aufgrund der ungeprüften
Übermittlung einer fehlerhaften IP-Adresse zu Unrecht wegen Betrugs angeklagt wurde, sowie die Beschwerde
eines Grazers, der wegen einer Namensverwechslung mit zwei Exekutionsverfahren konfrontiert war. Berechtigte Beschwerden
von Strafgefangenen betrafen etwa die irrtümliche Verabreichung des Suchtmittelersatzstoffes Methadon und
das unberechtigte Öffnen von Briefen.
Führerscheinentzug wegen Einnahme eines Hustenmittels
Aus dem Verkehrsbereich ist ein Fall dokumentiert, bei dem einem Autofahrer wegen vermeintlichen Drogenkonsums
der Führerschein entzogen wurde. Gleichzeitig erhielt er eine Strafvorschreibung in der Höhe von 600
€, noch bevor das Ergebnis des Harnprobe-Schnelltests durch eine Auswertung des Blutbilds überprüft wurde.
Tatsächlich hatte der Autofahrer den Hustensaft "Paracodein" eingenommen.
Mangelernährung in Krankenhäusern
Im Gesundheitsbereich mahnt die Volksanwaltschaft aufgrund immer wieder auftretender Fälle von Mangelernährung
in Krankenhäusern ein umfassendes Konzept zur Erhebung des Status quo und eine Aufwertung der Ernährungstherapie
ein. Außerdem fordert sie klare Regelungen hinsichtlich der Leistungsverpflichtung der Krankenversicherungsträger
für Ernährungsprodukte im Interessen der betroffenen PatientInnen. Große Versorgungslücken
sieht die Volksanwaltschaft auch bei der psychotherapeutischen Behandlung.
Pensionsbescheide: Volksanwaltschaft mahnt Erläuterungen ein
Dringenden Handlungsbedarf sieht die Volksanwaltschaft bei der Erläuterung von Pensionsbescheiden.
Ihrer Meinung nach stellt es Willkür dar, dass bei der Pensionszuerkennung nicht automatisch auch die Berechnung
der Pensionsbemessung in einfacher, zusammenfassender Form zur Kenntnis gebracht wird. Wenn lediglich auf besonderen
Wunsch und nur bei persönlichen Vorsprachen die Pensionsberechnungsdaten herausgegeben werden, sei das Rechtschutzinteresse
der Parteien nicht ausreichend gewahrt, betonen die VolksanwältInnen.
Gleichfalls als reformbedürftig wertet die Volksanwaltschaft das geltende System der Stellungspflicht. Schwer
behinderte Menschen, die keinesfalls für den Wehrdienst tauglich sind, sollen in Zukunft keine Vorladung zur
Stellung erhalten, verlangt sie mit Hinweis auf einen konkreten Beschwerdefall, bei der das Militärkommando
Niederösterreich trotz Vorlage des Behindertenausweises und Pflegegeldeinstufung 7 ärztliche Atteste
vom Betroffenen eingefordert hat.
Anhand eines weiteren konkreten Falles, bei dem es um eine missbräuchliche Adoptionsvermittlung eines Kindes
aus Äthiopien ging, zeigt die Volksanwaltschaft bestehende Probleme und Sicherheitslücken im Bereich
der Adoption von Kindern aus der Dritten Welt auf.
Rückgang der Beschwerden über AMS und über Führerscheinbefristungen
Gebessert hat sich die Situation hingegen im Bereich des Arbeitsmarktservice, auch wenn es immer noch zahlreiche
Beschwerden über als unnotwendig empfundene Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitsuchende
gibt und die Volksanwaltschaft weiter darauf drängt, diese möglichst genau auf die einzelnen Zielgruppen
zuzuschneiden. So ist das AMS etwa – in Entsprechung einer VwGH-Judikatur – davon abgegangen, Sanktionen gegenüber
arbeitslosen Menschen zu verhängen, die eine Teilnahme an gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten
oder sozialökonomischen Betrieben verweigern. Ausdrücklich hebt Volksanwalt Peter Kostelka auch die gute
Kooperation der Volksanwaltschaft mit dem AMS hervor, die nicht zuletzt dazu führt, dass der Beschwerdegrund
bei Beschwerden, die sich als berechtigt erweisen, regelmäßig behoben wird. |
Als wesentlich herausgestellt hat es sich der Volksanwaltschaft zufolge, den Betroffenen den Sinn von Berufsorientierungs-
und Aktivierungsmaßnahmen genau zu erklären. Außerdem spricht sie sich dafür aus, bei der
Ausschreibung von Schulungen die Qualifizierung der zum Einsatz kommenden TrainerInnen im Vergleich zum Preis stärker
zu gewichten. Immer wieder stünden TrainerInnen selbst nur in prekären Beschäftigungsverhältnissen,
bringt die Volksanwaltschaft vor, zudem kämen vielfach nur unerfahrene BerufseinsteigerInnen zum Einsatz.
Zurückgegangen sind auch die Beschwerden über ungerechtfertigte Führerscheinbefristungen. Ebenso
konnte über die Errichtung von Lärmschutzmaßnahmen beim Autobahnknoten Steinhäusl eine erste
Einigung erzielt werden.
Solidarfonds zur Patienten-Entschädigung: Lösung zeichnet sich ab
Ein Lösung zeichnet sich laut Bericht in Bezug auf den bei der Ärztekammer eingerichteten Solidarfonds
zur Entschädigung von PatientInnen ab, die aufgrund des schuldhaften Handelns freiberuflich tätiger Ärzte
Schäden erlitten haben. Nach einem entsprechenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom Oktober 2007
hat die Ärztekammer der Volksanwaltschaft zufolge Bereitschaft signalisiert, die restriktiven Satzungsbestimmungen
zu überarbeiten. Gleichzeitig haben jene fünf Beschwerdeführerinnen, die durch rechtswidriges Verhalten
eines Kärntner Gynäkologen schwere Gesundheitsschädigungen erlitten haben, – vier Jahre nach dem
rechtskräftigen Urteil gegen den Mediziner – je 7.500 € aus dem Solidarfonds erhalten.
Immissionsschutzgesetz-Luft: Rückerstattung von Strafgeldern
Im Vollzugsbereich des "Lebensministeriums" konnte die Volksanwaltschaft unter anderem erreichen, dass
eine Autofahrerin eine bereits bezahlte Strafe zurückerhielt, weil das nach dem Immissionsschutzgesetz-Luft
in Teilen der Steiermark verfügte Tempo-Limit ungenügend gekennzeichnet und daher nicht erkennbar war.
Auch anderen AutofahrerInnen wurden die Strafgelder in Folge von zwei Entscheidungen des Unabhängigen Verwaltungssenats
zurückerstattet. Die meisten Beschwerden im Bereich des Lebensministeriums betrafen wasserrechtliche Bestimmungen
(132), 10 Beschwerden wurden in Zusammenhang mit Agrarförderungen eingebracht. 9 Beschwerden betrafen den
Bereich Forstrecht und 27 den Bereich Umwelt.
Kindergeld: Problem der Rückforderung nicht vollends gelöst
Noch nicht vollends gelöst sieht die Volksanwaltschaft das Problem der Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld.
Zwar gebe es mittlerweile Richtlinien in Bezug auf eine bundesweit einheitliche Vorgangsweise bei bestimmten Härtefällen,
nach wie vor müssten Familien, denen nicht bewusst gewesen sei, dass sie die Zuverdienstgrenze überschreiten,
aber mit Rückforderungen rechnen, heißt es im Bericht. So führt die Volksanwaltschaft etwa zwei
konkrete Fälle an, in denen das Kinderbetreuungsgeld zurückgefordert wurde, obwohl die Mütter im
Bezugszeitraum keiner Erwerbstätigkeit nachgingen. Sie haben lediglich von ihrem jeweiligen Dienstgeber das
Urlaubsentgelt für offenen Resturlaub ausbezahlt bekommen, weil dieser nicht wollte, dass sie mit Anspruch
auf Resturlaub aus der Karenzzeit zurückkehren. Von der Volksanwaltschaft gefordert wird auch die Ausklammerung
der Witwen- bzw. Witwerpension aus der Zuverdienstgrenze beim Kinderbetreuungsgeld.
Weitere konkrete Problemfelder
Weitere konkrete Problemfelder betreffen etwa die Verschlechterung von Schulbusverbindungen im ländlichen
Raum, die Frage der Kostentragung für das Aufspüren von Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg,
Studienverzögerungen beim Medizinstudium durch teilnehmerbeschränkte Lehrveranstaltungen vor allem an
der Medizinischen Universität Wien sowie Qualitätsmängel im ÖBB-Personenverkehr (z.B. mangelnde
Informationen über Zugverspätungen, überfüllte Züge etc.).
Außerdem spricht die Volksanwaltschaft Medienberichte über grobe Mängel in der Verwaltung bei der
Vernichtung von Festplatten an. Die VolksanwältInnen richten an die Ministerien den dringenden Appell, dafür
zu sorgen, dass sensible Daten auf ausgemusterten Festplatten nicht in die Hände Unbefugter gelangen. Die
im Juni 2007 vorgelegte Bundesrichtlinie zur Datensicherung vor der Entsorgung oder Weitergabe von EDV-Datenträgern,
wird von ihr begrüßt.
Was die beispiellose Serie von tödlichen Unfällen an unbeschrankten Bahnübergängen im Jahr
2007 betrifft, hoffen die VolksanwältInnen, dass mit bereits gesetzten und eingeleiteten Maßnahmen eine
deutliche Verringerung der Unfallzahlen erreicht werden kann.
Reformbaustelle Pflegegeld
Wie die vergangenen Berichte enthält auch der 31. Bericht der Volksanwaltschaft eine ganze Reihe legislativer
Anregungen. So sehen die drei VolksanwältInnen etwa dringenden Handlungsbedarf in Bezug auf die Pflegegeld-Einstufung
behinderter Kinder. Da der normale Betreuungsaufwand für gleichaltrige Kinder in Abzug gebracht wird, kommt
in der Praxis auch bei schwerst behinderten Kindern in den seltensten Fällen eine höhere Pflegegeldstufe
zur Anwendung, veranschaulicht der Bericht.
Allerdings nimmt die Volksanwaltschaft in diesem Zusammenhang auch die für die Pflegegeldgewährung zuständigen
Stellen und die begutachtenden ÄrztInnen in die Pflicht, die ihrer Meinung nach die geltenden rechtlichen
Bestimmungen und die Judikatur oft unrichtig auslegen und die komplexen Bedingungen der Pflege eines schwer kranken
Kindes unterschätzen. So verweist sie auf den Fall eines zweieinhalbjährigen Buben, der von Geburt an
am ganzen Körper spastisch gelähmt und praktisch bewegungsunfähig ist, regelmäßig umgelagert
werden muss, an einer Schluck- und Kaustörung leidet, nicht sprechen kann und nahezu taub ist, jedoch nur
Pflegegeld der Stufe 2 bezieht.
Bei der Pflegegeldeinstufung benachteiligt werden nach Meinung der Volksanwaltschaft aber auch psychisch behinderte
Personen. Diese müssten oft rund um die Uhr betreut werden, um eine Eigen- oder Fremdgefährdung zu verhindern,
wird zu bedenken gegeben.
Überhaupt ist es für die Volksanwaltschaft unverständlich, dass Untersuchungen zur Erhebung des
Pflegebedarfs oft nur wenige Minuten dauern. Sie mahnt deshalb generell die Vorgabe und die Einhaltung von Qualitätsstandards
und eine bessere Information der medizinischen Sachverständigen ein. Einer Untersuchung des Rechnungshofs
zufolge hat etwa die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft im Jahr 2005 von 535 Klagsverfahren
in Pflegegeldangelegenheiten nur 36 % für sich entschieden; häufig wurde die unzureichende Qualität
der ärztlichen Begutachtungen beanstandet. Auch für das oft lange Warten auf Pflegegeld und für
die unzureichende Begründung von Pflegegeldbescheiden hat die Volksanwaltschaft kein Verständnis.
Sozialversicherung: VA mahnt Lockerung des Antragsprinzips ein
Im Bereich der Sozialversicherung spricht sich die Volksanwaltschaft für eine Lockerung des strengen Antragsprinzips
aus. Dieses Prinzip benachteiligt vor allem jene Menschen, die aus Unkenntnis der Rechtslage ihre Ansprüche
gegenüber einem Sozialversicherungsträger erst verspätet geltend machen, heißt es im Bericht.
Obwohl die Voraussetzungen für die Leistungszuerkennung auch schon vor Antragstellung vorlagen, können
Leistungen nicht rückwirkend ausbezahlt werden.
Hinsichtlich der Gewährung von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe urgieren die VolksanwältInnen ein
Einschleif- bzw. Anrechnungsmodell. Damit soll verhindert werden, dass bereits bei einer minimalen Überschreitung
der Geringfügigkeitsgrenze das gesamte Arbeitslosengeld gestrichen wird. Beschäftigungsverhältnisse
auf Teilzeitbasis seien oftmals ein Sprungbrett für eine reguläre Vollzeitbeschäftigung, argumentieren
die VolksanwältInnen, oftmals könne damit aber kein zur Bestreitung des Lebensunterhalts ausreichendes
Einkommen erzielt werden.
Weitere legislative Anregungen
Eine gesetzliche Klarstellung mahnt die Volksanwaltschaft auch in Bezug auf die Rundfunkgebühr ein. Sie zieht
die Rechtsmeinung der GIS in Zweifel, wonach die Rundfunkgebühr auch dann fällig ist, wenn mangels Anschaffung
einer DVB-T-Box die ORF-Programme nicht empfangen werden können. Die geltende Rechtslage sei aber nicht eindeutig,
halten die VolksanwältInnen fest, weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Verfassungs- bzw. der
Verwaltungsgerichtshof in konkreten Beschwerdefällen zu einer eine Zahlungspflicht bejahenden Rechtsauffassung
gelangen. Auch in Bezug auf die Ausweitung des ORF-Angebots für gehörlose und hörbehinderte Menschen
ist nach Meinung der Volksanwaltschaft noch viel zu tun.
Zu den legislativen Anregungen der Volksanwaltschaft gehören weiters die Gewährung der Familienbeihilfe
an Präsenz- und Zivildiener, die Valorisierung des Pflegegelds, die Schaffung eines bundeseinheitlichen Modells
zur Anstellung von Pflegeltern, ein besserer Schutz für von Gästelärm betroffene Anrainer im Gewerberecht,
die Einführung einer Art Grundsicherung für Minderjährige, die Erweiterung der Berufskrankheiten-Liste
um berufsbedingte Wirbelsäulenschäden und Krankheiten pschyosozialer Natur und eine Liberalisierung des
Schulsprengelsystems. Aber auch verbesserte Zugangsmöglichkeiten zur Invaliditäts- bzw. Erwerbsunfähigkeitspension
für Personen, die für die Pensionsanerkennung "zu gesund", aber für den Arbeitsmarkt als
nicht mehr ausreichend leistungsfähig angesehen werden, die Schaffung von Anrainerrechten bei der Errichtung
von Handymasten, eine Kostenreduktion für befristete Lenkberechtigungen behinderter Kfz-Lenker, eine verpflichtende
Mindesthöhe für das Anbringen von Verkehrszeichen im Bereich von Gehwegen zur Vermeidung von Verletzungen
sehbehinderter und blinder Personen, die rückwirkende Zuerkennung von Unfallrenten, eine Ausweitung des Leistungsbereichs
des Hepatitis-C-Fonds, die Anpassung der Topographieverordnung für Kärnten an die Judikatur des VfGH,
ein generelles Ausstellungsverbot für Singvögel und Schritte zur Vermeidung der Doppelverrechnung des
Spitalkostenbeitrags bei Überstellung in ein anderes Krankenhaus werden moniert.
Außerdem drängt die Volksanwaltschaft in Anlehnung an eine Forderung des Rechnungshofs darauf, Richtlinien
zur Öffentlichkeitsarbeit der Ministerien auszuarbeiten, um unzulässige Eigenwerbung hintanzuhalten.
Auch die Bestimmung, wonach die ärztliche Berufsausübung in Österreich an den Besitz der Staatsbürgerschaft
eines EWR-Landes bzw. der Schweiz gebunden ist, soll ihr zufolge fallen.
Es sei nicht nachvollziehbar, dass Menschen, die ihr Medizinstudium in Österreich absolvieren und hier beruflich
tätig sein wollen, ein Turnusplatz verwehrt wird, halten die VolksanwältInnen fest und verweisen auf
den Fall eines Absolventen des Medizinstudiums aus dem ehemaligen Jugoslawien, der seit seiner Kindheit in Österreich
lebt und trotz einer unbeschränkten Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung nun seine ärztliche Ausbildung
nicht fortsetzen kann.
Grundrechtsteil: Recht auf korrekte Schreibweise des Namens
Im Grundrechtsteil des Berichts geht die Volksanwaltschaft unter anderem auf die EDV-technisch nicht immer mögliche
zeichengetreue Wiedergabe des Familiennamens ein. Sie macht geltend, dass diakritische Zeichen volle orthographische
Bedeutung haben, und zieht aus verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen den Schluss, dass die korrekte Schreibweise
des Namens verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Ihr zufolge ist es daher als Missstand zu qualifizieren,
wenn es ein Behörde unterlässt, die eingesetzte Soft- bzw. Hardware zu adaptieren. Das Bundeskanzleramt
bzw. das Finanzministerium haben laut Bericht zugesagt, den Elektronischen Akt (ELAK) sowie sämtliche IT-Verfahren
der Finanzverwaltung Schritt für Schritt entsprechend zu modifizieren.
Ebenfalls als grundrechtsrelevanten Missstand der Verwaltung wertet die Volksanwaltschaft, dass die Behörden
bei der Anwendung des Diskriminierungsverbots gemäß EGVG (Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen)
völlig uneinheitlich vorgehen. Verletzungen des Diskriminierungsverbots werden von den Behörden häufig
als Bagatelldelikte gesehen und dementsprechend nicht ausreichend verfolgt, kritisiert der Bericht. So wurde etwa
die Verteidigung eines Gasthausbesitzers, dass er deshalb an Schwarze keine Speisen und Getränke ausschenke,
weil es im Grätzel ein massives Drogenproblem gebe, als "glaubhaft und entschuldbar" beurteilt.
Auch diskriminierenden Wohnungs- und Stelleninseraten wird oft nur unzureichend oder gar nicht nachgegangen. Die
Volksanwaltschaft empfiehlt der Bundesregierung deshalb, für eine wirksame und bundesweit einheitliche Vollziehung
des Diskriminierungsverbots Rechnung zu tragen, wobei ihr zufolge bereits erste entsprechende Maßnahmen gesetzt
wurden.
Ausdrücklich aufmerksam macht die Volksanwaltschaft auch darauf, dass es gegen das Diskriminierungsverbot
gemäß Gleichbehandlungsgesetz verstößt, wenn Stellenbewerberinnen nur deshalb eine Stelle
nicht bekommen, weil sie ein Kopftuch tragen.
In eigener Sache verweist die Volksanwaltschaft auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH), wonach
das Beschwerderecht an die Volksanwaltschaft nicht durch die Amtsverschwiegenheit eingeschränkt ist. Ein Bediensteter
des Verteidigungsministeriums war – nach Meinung des VwGH widerrechtlich – disziplinarrechtlich belangt worden,
weil er einer persönlichen Beschwerde bei der Volksanwaltschaft wegen "Mobbing" an seiner Dienststelle
als Beleg auch Unterlagen angeschlossen hatte, die den Vermerk "geheim" trugen.
198 Sprechtage, kostenlose Servicenummer
Die Volksanwaltschaft hält regelmäßig Sprechtage ab – 2007 waren es 198 – und bietet via Internet
(www.volksanwaltschaft.gv.at) ein Online-Beschwerdeformular an. Für Rat- und Hilfesuchende stehen außerdem
täglich zwischen 8 Uhr und 16 Uhr ein telefonischer Auskunftsdienst (Tel. 01/51505-100) bzw. eine kostenlose
Service-Nummer (0800/223 223) zur Verfügung.
Bedauern äußert die Volksanwaltschaft darüber, dass der ORF die Sendereihe "Volksanwalt –
Gleiches Recht für alle" neu konzipiert hat. Der neue Sendungstitel - "Bürgeranwalt" -
und die inhaltliche Erweiterung der Sendung haben nach Meinung der drei VolksanwältInnen die Außenwahrnehmung
der Volksanwaltschaft beeinträchtigt. Auch die Zuschauerzahlen sind zurückgegangen: von durchschnittlich
405.000 im Jahr 2006 auf durchschnittlich 344.000.
Im internationalen Bereich ist die Bewerbung der Volksanwaltschaft um den Sitz des Generalsekretariats des Internationalen
Ombudsmann-Instituts (I.O.I.)hervorzuheben, die auch vom Nationalrat unterstützt wird. Das I.O.I. ist der
Dachverband von rund 130 nationalen und regionalen Ombudsstellen.
Für den Bericht 2007 zeichnet – neben Volksanwalt Peter Kostelka und Volksanwältin Terezija Stoisits
– noch die nunmehrige Innenministerin Maria Fekter verantwortlich; sie wurde mittlerweile von Gertrude Brinek als
Volksanwältin abgelöst. |