... und es stehen Spekulationen auf der Tagesordnung, wer denn nach erfolgter Wahl mit wem und wer - vor allem
- mit wem nicht könnte.
Die Nationalratswahl ist wohl die umfassendste Meinungsumfrage, die es - ohne Zuhilfenahme eines der routinierten
Institute - zur innenpolitischen Situation eines Landes gibt. Die Berechtigten geben in der Wahlzelle ihre Meinung
dazu ab, welche der angetretenen Parteien ihrer Meinung nach den für sie besten Weg einschlagen, um soziale
Sicherheit, wirtschaftliches Fortkommen, friedliches Leben zu sichern (oder zu erreichen, wenn die präferierte
Partei nicht gerade selbst an der Macht ist). Wahlversprechen beeinflussen natürlich massiv, auch wenn man
uns glauben machen will, daß „kein Mensch“ mehr darauf reinfalle. Wonach, bitteschön, sollte man sich
den sonst richten, wenn nicht nach einer Wegbeschreibung für die kommenden Jahre? Und es sind deren fünf,
denn die noch amtierende Koalition hat die Dauer der Legislaturperiode um ein Jahr erhöht.
Wahlversprechen geben aber auch überhöhte Forderungen wider, die sich an einen möglichen späteren
Koalitionspartner richten - damit sich der schon auf harte Verhandlungen einstellen kann. Tritt der mittlerweile
auszuschließende Fall ein, daß eine der wahlwerbenden Parteien vom Wähler mit absoluter Mehrheit
beauftragt wird, ihre Ziele umzusetzen, ist des durchaus möglich, daß dann Wahlversprechen eingehalten
werden. Unter der aktuellen Voraussetzung, daß am 28. September möglicherweise zehn (!) Parteien auf
dem amtlichen Stimmzettel stehen werden, ist daran nicht zu denken. Keine Partei wird ohne Unterstützung einer
zweiten - ja voraussichtlich sogar einer dritten - eine stabile Regierung bilden können. Von der Großen
Koalition natürlich abgesehen.
Nach der Frage „was würden Sie wählen, wäre die Wahl bereits am kommenden Sonntag“, würden
laut einer von "profil" in Auftrag gegebenen OGM-Umfrage 31% der Österreicher ihr die ÖVP (minus
2 Prozentpunkte im Vergleich zu vor vier Wochen) wählen, 26 % die SPÖ, die im selben Zeitraum damit 4
Prozentpunkte verloren hätte. Mit 17 % (minus 1 Prozentpunkt) könnte demnach die FPÖ rechnen, die
Grünen mit 13% (ebenfalls minus 1 Prozentpunkt). Das BZÖ konnte 1 Prozentpunkt zulegen und hält
derzeit bei 4%.
Nun könnte man meinen, die Mehrheit für Schwarz und Rot (immerhin 57 Prozent nach OGM) würde jedes
Problem lösen. Eine Imas-Umfrage ergab aber, daß knapp zwei Drittel der Österreicher eine Neuauflage
der rot-schwarzen Koalition nach der Wahl ablehnen, 62 Prozent wünschen sich eine andere Regierung, nur elf
(!) Prozent wollen wieder die Große Koalition. Abgesehen davon, daß jede Regierung in irgendwelchen
Augen (seien es die Opposition und/oder Medien) ohnehin immer alles falsch, zu spät, zu früh, zu sehr
oder zu wenig ambitioniert tut. Besonders deutlich wurde dies jüngst, als der SP-VP-Koalition nach Bekanntgabe
deren Scheiterns vorgeworfen wurde, nur zu streiten und nichts zu arbeiten. Es könnten, sollten, müßten
noch möglichst rasch vor dem Ende der Legislaturperiode Gesetze beschlossen werden, der eine oder andere Kommentator
wußte auch, wie genau diese auszusehen hätten. Nun hat der Ministerrat vergangenen Woche einige Gesetze
beschlossen (z.B. zur Finanzierung der Pflege, Familienbeihilfte), schon wurde der Vorwurf laut, man habe eine
„Husch-Pfusch“-Einigung getroffen, verteile Wahlzuckerln und schütte - auf aller Kosten - das Füllhorn
über das Wahlvolk aus. Und es wird die Frage gestellt, „warum wählen wir überhaupt?“. „Die Karten
sollen neu verteilt werden“, lautet da eines der meist genannten Argumente. Sollte es nun wirklich nach dem 28.
September mehr als die derzeit fünf im Parlament vertretenen Parteien mit Klubstatus geben, wird die Bildung
einer stabilen Regierung um einiges schwieriger.
Eine „Ampelkoalition“, wie sie etwa nach der Bundestagswahl in Deutschland so oft im Gespräch war, wäre
in unserem Lande durchaus denkbar - allerdings nur theoretisch, denn unsere beiden großen Parteien SPÖ
oder ÖVP bräuchten, neben den Grünen (sie könnten an sich mit beiden) einen dritten Koalitionspartner
mit der FPÖ (an der SPÖ und Grüne aber nicht anstreifen wollen). Und da FPÖ und BZÖ nicht
miteinander können, scheint auch eine Mitte-Rechts-Koalition ausgeschlossen. Ein Einziehen zusätzlicher
Parteien (Liberales Forum oder Liste Dinkhauser) könnte zwar neue Varianten ermöglichen, die Findung
von Mehrheiten aber zusätzlich erschweren.
Nun ist die Form einer Minderheitsregierung ins Gespräch gerückt, die in Österreich aber keine Tradition
hat (resp. nur einmal gab: Die SPÖ unter Bruno Kreisky hatte damals 81, die ÖVP 78 und die FPÖ 6
Mandate. Die Verhandlungen mit der ÖVP scheiterten; die FPÖ unter Friedrich Peter unterstützte von
21. April 1970 bis 4. November 1971 Kreiskys Minderheitsregierung). Eine Partei tritt also an und versucht, im
Parlament die für Gesetzesbeschlüsse notwendigen Mehrheiten zu finden - und ist damit natürlich
dem Scheitern näher als in anderen Varianten. Ein einziger Mißtrauensantrag kann zur Neuwahl führen,
wenn sich kein duldender Partner findet, der dann - in diesem Falle unerwünschte - Mehrheiten verhindert.
Sowohl SPÖ-Vorsitzender Werner Faymann als auch ÖVP-Bundesparteiobmann Wilhelm Molterer haben über
diese Regierungsform schon laut nachgedacht und könnten sich diese durchaus für sich selbst vorstellen.
Dieses Suchen von Mehrheiten im Hohen Haus wird als durchaus reizvoll gesehen, vielfach wird von lebendigem Parlamentarismus
der freien Kräft gesprochen. Es könnte Faymann oder Molterer in die Lage versetzen, tatsächlich
viele der eigenen Vorhaben umzusetzen - und damit die Verantwortlichkeit dem Wähler gegenüber deutlicher
zum Ausdruck bringen. (mm) |