Sechs Wochen vor der Nationalratswahl ...  

erstellt am
18. 08. 08

... und es stehen Spekulationen auf der Tagesordnung, wer denn nach erfolgter Wahl mit wem und wer - vor allem - mit wem nicht könnte.

Die Nationalratswahl ist wohl die umfassendste Meinungsumfrage, die es - ohne Zuhilfenahme eines der routinierten Institute - zur innenpolitischen Situation eines Landes gibt. Die Berechtigten geben in der Wahlzelle ihre Meinung dazu ab, welche der angetretenen Parteien ihrer Meinung nach den für sie besten Weg einschlagen, um soziale Sicherheit, wirtschaftliches Fortkommen, friedliches Leben zu sichern (oder zu erreichen, wenn die präferierte Partei nicht gerade selbst an der Macht ist). Wahlversprechen beeinflussen natürlich massiv, auch wenn man uns glauben machen will, daß „kein Mensch“ mehr darauf reinfalle. Wonach, bitteschön, sollte man sich den sonst richten, wenn nicht nach einer Wegbeschreibung für die kommenden Jahre? Und es sind deren fünf, denn die noch amtierende Koalition hat die Dauer der Legislaturperiode um ein Jahr erhöht.

Wahlversprechen geben aber auch überhöhte Forderungen wider, die sich an einen möglichen späteren Koalitionspartner richten - damit sich der schon auf harte Verhandlungen einstellen kann. Tritt der mittlerweile auszuschließende Fall ein, daß eine der wahlwerbenden Parteien vom Wähler mit absoluter Mehrheit beauftragt wird, ihre Ziele umzusetzen, ist des durchaus möglich, daß dann Wahlversprechen eingehalten werden. Unter der aktuellen Voraussetzung, daß am 28. September möglicherweise zehn (!) Parteien auf dem amtlichen Stimmzettel stehen werden, ist daran nicht zu denken. Keine Partei wird ohne Unterstützung einer zweiten - ja voraussichtlich sogar einer dritten - eine stabile Regierung bilden können. Von der Großen Koalition natürlich abgesehen.

Nach der Frage „was würden Sie wählen, wäre die Wahl bereits am kommenden Sonntag“, würden laut einer von "profil" in Auftrag gegebenen OGM-Umfrage 31% der Österreicher ihr die ÖVP (minus 2 Prozentpunkte im Vergleich zu vor vier Wochen) wählen, 26 % die SPÖ, die im selben Zeitraum damit 4 Prozentpunkte verloren hätte. Mit 17 % (minus 1 Prozentpunkt) könnte demnach die FPÖ rechnen, die Grünen mit 13% (ebenfalls minus 1 Prozentpunkt). Das BZÖ konnte 1 Prozentpunkt zulegen und hält derzeit bei 4%.

Nun könnte man meinen, die Mehrheit für Schwarz und Rot (immerhin 57 Prozent nach OGM) würde jedes Problem lösen. Eine Imas-Umfrage ergab aber, daß knapp zwei Drittel der Österreicher eine Neuauflage der rot-schwarzen Koalition nach der Wahl ablehnen, 62 Prozent wünschen sich eine andere Regierung, nur elf (!) Prozent wollen wieder die Große Koalition. Abgesehen davon, daß jede Regierung in irgendwelchen Augen (seien es die Opposition und/oder Medien) ohnehin immer alles falsch, zu spät, zu früh, zu sehr oder zu wenig ambitioniert tut. Besonders deutlich wurde dies jüngst, als der SP-VP-Koalition nach Bekanntgabe deren Scheiterns vorgeworfen wurde, nur zu streiten und nichts zu arbeiten. Es könnten, sollten, müßten noch möglichst rasch vor dem Ende der Legislaturperiode Gesetze beschlossen werden, der eine oder andere Kommentator wußte auch, wie genau diese auszusehen hätten. Nun hat der Ministerrat vergangenen Woche einige Gesetze beschlossen (z.B. zur Finanzierung der Pflege, Familienbeihilfte), schon wurde der Vorwurf laut, man habe eine „Husch-Pfusch“-Einigung getroffen, verteile Wahlzuckerln und schütte - auf aller Kosten - das Füllhorn über das Wahlvolk aus. Und es wird die Frage gestellt, „warum wählen wir überhaupt?“. „Die Karten sollen neu verteilt werden“, lautet da eines der meist genannten Argumente. Sollte es nun wirklich nach dem 28. September mehr als die derzeit fünf im Parlament vertretenen Parteien mit Klubstatus geben, wird die Bildung einer stabilen Regierung um einiges schwieriger.

Eine „Ampelkoalition“, wie sie etwa nach der Bundestagswahl in Deutschland so oft im Gespräch war, wäre in unserem Lande durchaus denkbar - allerdings nur theoretisch, denn unsere beiden großen Parteien SPÖ oder ÖVP bräuchten, neben den Grünen (sie könnten an sich mit beiden) einen dritten Koalitionspartner mit der FPÖ (an der SPÖ und Grüne aber nicht anstreifen wollen). Und da FPÖ und BZÖ nicht miteinander können, scheint auch eine Mitte-Rechts-Koalition ausgeschlossen. Ein Einziehen zusätzlicher Parteien (Liberales Forum oder Liste Dinkhauser) könnte zwar neue Varianten ermöglichen, die Findung von Mehrheiten aber zusätzlich erschweren.

Nun ist die Form einer Minderheitsregierung ins Gespräch gerückt, die in Österreich aber keine Tradition hat (resp. nur einmal gab: Die SPÖ unter Bruno Kreisky hatte damals 81, die ÖVP 78 und die FPÖ 6 Mandate. Die Verhandlungen mit der ÖVP scheiterten; die FPÖ unter Friedrich Peter unterstützte von 21. April 1970 bis 4. November 1971 Kreiskys Minderheitsregierung). Eine Partei tritt also an und versucht, im Parlament die für Gesetzesbeschlüsse notwendigen Mehrheiten zu finden - und ist damit natürlich dem Scheitern näher als in anderen Varianten. Ein einziger Mißtrauensantrag kann zur Neuwahl führen, wenn sich kein duldender Partner findet, der dann - in diesem Falle unerwünschte - Mehrheiten verhindert. Sowohl SPÖ-Vorsitzender Werner Faymann als auch ÖVP-Bundesparteiobmann Wilhelm Molterer haben über diese Regierungsform schon laut nachgedacht und könnten sich diese durchaus für sich selbst vorstellen. Dieses Suchen von Mehrheiten im Hohen Haus wird als durchaus reizvoll gesehen, vielfach wird von lebendigem Parlamentarismus der freien Kräft gesprochen. Es könnte Faymann oder Molterer in die Lage versetzen, tatsächlich viele der eigenen Vorhaben umzusetzen - und damit die Verantwortlichkeit dem Wähler gegenüber deutlicher zum Ausdruck bringen. (mm)
 
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