Bern (idw) - Die prähistorischen Objekte, die seit 2003 auf dem Schnidejoch im Berner Oberland aus
dem Gletschereis aufgetaucht sind, haben sich als weit älter erwiesen als bisher angenommen. Sie stammen aus
der Zeit um 4500 v. Chr. und sind damit mindestens 1000 Jahre älter als die Gletschermumie Ötzi. Dies
wurde an einer internationalen Tagung von Archäologen und Klimawissenschaftern in Bern bekannt.
Seit die Gletscher schmelzen, gibt das Eis auf der ganzen Welt archäologisch hochinteressante Fundstücke
frei. Doch auch für die Klimaforschung liefern diese Gegenstände aus prähistorischer und frühgeschichtlicher
Zeit wertvolle Informationen. Erstmals sind nun in Bern Spezialistinnen und Spezialisten aus beiden Forschungsgebieten
zusammengekommen, um die Erkenntnisse, die sie aus diesen Funden gewonnen haben, auszutauschen. An der vom Oeschger
Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern und dem Archäologischen Dienst des Kantons Bern
organisierten Tagung nahmen 120 Forscherinnen und Forscher aus allen Ländern Teil, in denen bisher Gletscherfunde
dieser Art gemacht wurden: Kanada, Norwegen, Österreich, Italien, Schweiz und die USA.
Die ältesten Eisfunde in den Alpen
Zu den wichtigsten auf der Tagung präsentierten Forschungsergebnissen zählen neue Altersbestimmungen
der insgesamt über 300 Eisfunde auf dem Schnidejoch, einem auf 2756 Meter über Meer gelegenen Übergang
zwischen dem Berner Oberland und dem Wallis, der in klimatisch günstigen Zeiten als Verkehrsweg genutzt wurde.
Die 2003 bis 2007 entdeckten Objekte reichen von prähistorischen Kleidungsstücken aus Leder und Bast,
über einen Köcher und Pfeile, bis zu bronzenen Gewandnadeln und römischen Schuhnägeln. Nun
ist das Alter von 46 dieser Fundstücke an der ETH Zürich mit Hilfe der Radiocarbonmethode exakt bestimmt
worden. Dabei hat sich gezeigt, dass die Funde rund 1500 Jahre älter sind als ursprünglich angenommen.
"Wir wissen nun, dass es sich bei den Eisfunden vom Schnidejoch um die ältesten dieser Art in den Alpen
handelt", sagt Albert Hafner, der Verantwortliche des Schnidejoch-Projekts beim Archäologischen Dienst.
Archäologen und Klimaforschende arbeiten zusammen
Ursprünglich war die Tagung, die am Donnerstag und Freitag dieser Woche unter dem Titel "Ötzi,
Schnidi und die Rentierjäger: Eisfeldarchäologie und der Klimawandel des Holozäns" stattgefunden
hat, als Bestandesaufnahme der Schnidejoch-Forschung in kleinem Kreis gedacht. Doch das grosse internationale Interesse
am Thema liess das Treffen zu einem veritabeln wissenschaftlichen Symposium anwachsen ? das weltweit erste seiner
Art. Bis anhin gingen Archäologen und Klimaforscher bei ihrer Arbeit gewöhnlich getrennte Wege.
Wie die Berner Tagung zeigte, können die beiden Forschungsrichtungen aber durchaus voneinander profitieren.
"Dem Einfluss des Klimas auf geschichtliche Entwicklungen wie zum Beispiel Migrationsbewegungen wurde bisher
viel zu wenig Beachtung geschenkt", erklärt der Archäologe Albert Hafner. Und Martin Grosjean, Professor
für Geographie an der Universität Bern sowie Direktor des Oeschger Zentrums erklärt: "Die Schnidejoch-Funde
erlauben die bis anhin präziseste Rekonstruktion von Gletscherschwankungen im Alpenraum in prähistorischer
Zeit."
DNA-Analyse von 5000jährigen Lederfunden
Die an der Schnidejoch-Tagung vorgestellten Ergebnisse sorgten bei den Teilnehmenden nicht zuletzt aus
methodischer Sicht für Aufsehen. Angela Schlumbaum vom Institut für prähistorische und naturwissenschaftliche
Archäologie der Universität Basel zum Beispiel präsentierte eine DNA-Analyse von 5000jährigen
Lederfunden vom Schnidejoch ? ein weltweit einzigartiger Erfolg. Damit steht fest, dass die Hose, welche ein vermutlich
verunfallter steinzeitlicher Berggänger bei seinem Marsch zwischen dem Berner Oberland und dem Wallis trug,
aus dem Leder einer Hausziege gefertigt worden war. |