Historiker schreiben Geschichte dieser Völkergruppe neu
Wien (scinews) - Seit über 1.500 Jahren eilt den Vandalen der Ruf eines einheitlichen, zerstörungswütigen
Volkes voraus. "Absolut zu unrecht, denn basierend auf wissenschaftlichen Fakten gab es kein wanderndes, einheitliches
und fertig formiertes Volk der Vandalen, noch waren die jeweils als Vandalen bezeichneten Völkergruppen unzivilisierte
Kulturzerstörer", das erklären die Historiker Univ.-Prof Walter Pohl und Roland Steinacher vom Institut
für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien am Freitag
anlässlich des soeben im Verlag der ÖAW erschienenen wissenschaftlichen Werkes "Das Reich der Vandalen
und seine Vorgeschichte(n)".
Gemeinsam mit Historikern und Archäologen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Tunesien, Ungarn
und den USA arbeiten die Wiener Forscher an einer neuen, umfassenden Geschichte der Vandalen. Sie wollen damit
eine Forschungslücke schließen. "Die Geschichte der Vandalen war lange ein Stiefkind der Forschung
oder wurde als Projektionsfläche vermeintlich lange wirkender ´germanischer` Identitäten missbraucht.
In ähnlicher Manier haben französische Forscher das vandalische Königreich in Afrika hervorgehoben,
um eine abendländisch-westliche Vergangenheit in ihrem arabischen Kolonialgebiet Tunesien zu betonen. Bei
beiden Zugängen wird eurozentrisch argumentiert und ein vermeintlich einheitliches Volk als Projektionsfläche
für eigene Interessen benützt. Wir dagegen verstehen ethnische Identitäten nicht als von vornherein
gegeben, sondern begreifen Ethnizität als historischen Prozess, der in der Transformation der römischen
Welt nicht auf Europa beschränkt werden kann", betonen Pohl und Steinacher.
Ethnische Identität als politisches Instrument
Die Entstehung und Entwicklung jener Völkergruppe, die 406 n. Chr. ins Römische Reich eindrang,
ist bis heute nicht restlos geklärt. Fest steht allerdings nach den bisherigen Forschungsergebnissen des internationalen
Teams, dass die Vandalen keine biologisch determinierte Gemeinschaft waren, sondern ein Verbund aus mobilen Gruppen
verschiedener Provenienz. Ab 409 n. Chr. errichteten diese Verbände kurzlebige Herrschaftsgebiete in Spanien
sowie im römischen Nordafrika (dem Gebiet des heutigen Tunesien) von 429 bis 533 n. Chr. ein längeres
Regnum als militärische Elite. "Ethnische Identität war ein politisches Instrument, das meist bunt
gemischte Gruppen, die sich eventuell alter Namen bedienten und ins Imperium kamen, benutzten, um sich eine eigene,
politische und soziale Stellung zu geben und so eine Rolle spielen zu können. Das gilt für die Vandalen
in besonderem Mass", erklärt Steinacher.
Vandalismus: Eine Erfindung des Humanismus
In dem wissenschaftlichen Werk "Das Reich der Vandalen und seine Vorgeschichte(n)", das im Verlag
der ÖAW erschienen ist, legen die Historiker dazu nun erste Ergebnisse vor. In dem 337-seitigen Werk, herausgegeben
von Roland Steinacher und Guido M. Berndt vom "Institut zur Interdisziplinären Erforschung des Mittelalters
und seines Nachwirkens" (IEMAN) mit Sitz im deutschen Paderborn, sind neueste, internationale Forschungsergebnisse
zu Herkunft, Geschichte und Bedeutung der Vandalen für ein wissenschaftliches Publikum aufbereitet. In dem
Buch wird auch die Geschichte des Begriffes "Vandalismus" aufgegriffen und belegt, dass die Vandalen
und Goten erst rund tausend Jahre nach dem Niedergang des hoch zivilisierten Königreiches in Afrika von italienischen
und französischen Humanisten als sprichwörtliche Kulturzerstörer stilisiert wurden. "Auf Basis
historischer und archäologischer Fakten ist ein solches Bild natürlich nicht haltbar", stellt Steinacher
klar.
Die im Buch publizierten Beiträge basieren auf einer internationalen Tagung, die vor drei Jahren in Wien stattfand.
Das ÖAW-Institut für Mittelalterforschung leistete bereits bisher mit dem 2005 abgeschlossenen Forschungsprojekt
zur "Historischen Ethnographie der Vandalen" wichtige Beiträge. Dieses Projekt wurde vom Fonds zur
Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) ebenso wie das nun publizierte Buch gefördert. Die moderne
Erforschung der Vandalen ist ein Teilaspekt der Forschungsarbeiten am Institut für Mittelalterforschung zur
Entstehung der Völker Europas. Bis Jänner 2010 läuft derzeit in Wien das FWF-Projekt "Geschichte
der Vandalen". Dieses soll durch eine, den neuesten Erkenntnissen der Alten und Mittelalterlichen Geschichtsforschung
angemessenen, Geschichte der Vandalen in Buchform abgeschlossen werden.
Publikation: Berndt, Guido M.; Steinacher, Roland (Hrsg.), Das Reich der Vandalen und seine (Vor-)
Geschichten, Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. Denkschriften
366, Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 13, Wien 2008. |