Saarbrücken (idw) - Ein Verfahren, das Biochemiker der Saar-Universität vor wenigen Jahren zur
Identifizierung von Daunen und Federn entwickelt haben, hat nun auch neue Erkenntnisse über die Lebensumstände
des Steinzeitmenschen Ötzi gebracht: Forscher des Instituts für Technische Biochemie und der Firma Gene-Facts
analysierten Kleidungsproben der 5300 Jahre alten Gletschermumie. Die Ergebnisse untermauern die These, dass Ötzi
Angehöriger einer Bauern- und Viehzüchtergesellschaft war - und nicht einer kulturell früher angesiedelten
Jäger- und Sammlergesellschaft.
Als Wanderer 1991 in den Ötztaler Alpen eine 5300 Jahre alte Gletschermumie fanden, war das eine Sensation
für die Wissenschaft: Die Mumie, die unter dem Namen "Ötzi" weltbekannt wurde, entstammt der
Kupfersteinzeit, der letzten Periode der Jungsteinzeit (4400-2200 v.Chr.). Ötzi, im Eis perfekt konserviert,
war in Alltagskleidung und mit kompletter Ausrüstung offensichtlich mitten aus dem Leben gerissen (ermordet)
worden. Das bot die einmalige Chance, die Lebensumstände eines Steinzeitmenschen der alpinen Umgebung in allen
Einzelheiten zu erforschen.
Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Frage nach dem soziokulturellen Hintergrund jener Zeit: War Ötzi Mitglied
einer Jäger- und Sammlergesellschaft, die kulturell älter ist, oder gehörte er eher einer Hirten-
und Bauerngesellschaft an, die sich der Jäger- und Sammlerkultur anschloss und die als kulturell höher
bewertet wird? - Zur Klärung dieser Frage untersuchten die Wissenschaftler des Instituts für Technische
Biochemie der Saar-Universität unter der Leitung von Professor Dr. Elmar Heinzle und in Zusammenarbeit mit
der Firma Genefacts nun mehrere Kleidungsproben der Eismumie: Wären die Kleider vor allem aus Wildtierarten
gefertigt, so würde das auf die ältere Jäger- und Sammlerkultur hindeuten, ergäben die Analysen
dagegen domestizierte Tierarten, so wäre dies ein Hinweis auf die fortschrittlichere Hirten- und Bauerngesellschaft.
Die Saarbrücker Wissenschaftler analysierten vier Kleidungsproben von Ötzi: das Oberleder seiner Mokassins,
seine Leggings oder "Beinlinge" und seinen Mantel (zwei Proben). Ergebnisse: Das Oberleder der Schuhe
wurde aus Rinderfell gemacht, während die drei anderen Proben von Schafen herstammen. Diese Resultate unterstützen
die soziokulturelle Theorie, die in ihm einen Angehörigen der weiter entwickelten Bauern- und Viehzüchtergesellschaft
sieht und nicht der früher angesiedelten Jäger- und Sammlergesellschaft.
Die Analyse der Kleidungsproben beruht auf einer proteinchemischen Methode, die Dr. Klaus Hollemeyer vor wenigen
Jahren am Institut für Technische Biochemie unter der Leitung von Prof. Dr. Elmar Heinzle in Kooperation mit
Wolfgang Altmeyer von der Firma Gene-Facts entwickelt hat. Sie sorgte im Januar 2007 weltweit für Aufmerksamkeit,
als man mit ihr einen Pelzskandal in den USA aufdeckte, bei dem echte Felle von Marderhunden als künstliche
Pelze deklariert worden waren. Ursprünglich für die Identifizierung von Federn und Daunen zur Qualitätskontrolle
in der Bettwarenindustrie entwickelt, stellte sich schnell heraus, dass auch die tierische Herkunft von Haaren
bzw. Fellstücken ermittelt werden kann. Dies gelingt auch, wenn die Felle gegerbt und sogar gefärbt sind.
Die Forscher erstellten daraufhin Bibliotheken mit den Peptidmustern von unterschiedlichsten Referenztieren und
die entsprechenden mathematischen Auswertekriterien.
Für die Analyse wird eine kleine Haar- oder Fellprobe enzymatisch verdaut und die aus den Haareiweißen
entstehenden Peptid-Spaltstücke nach ihrer Molekülgröße mittels der MALDI-TOF-Massenspektrometrie
geordnet. Es bilden sich typische Muster der Spaltstücke, die von Tierart zu Tierart unterschiedlich sind.
Die Muster von unbekannten Proben werden dabei mit Mustern bekannter Tierarten, die in eigenen Bibliotheken des
Saarbrücker Instituts gespeichert sind, verglichen und mittels mathematischer Algorithmen die Ähnlichkeiten
der Muster bestimmt. Identische Muster bedeuten dabei eine sichere Identifizierung. Zum Mustervergleich wurden
300 verschiedene Tierproben vermessen und gespeichert.
Das Verfahren, das unter dem Namen "SIAM-Methode" (Species- Identification of Animals using MALDI-TOF-MS)
entwickelt wurde und seit Herbst letzten Jahres unter Patentschutz steht, hat seinen Eignungstest für die
Ötzi-Proben bestanden - trotz des hohen Alters der Proben. Andere gängige Analysemethoden sind für
archäologische Proben eher ungeeignet; das gilt zum Beispiel für Verfahren, die auf einer Untersuchung
von Genmaterial beruhen: "Alterungs- und Zerfallsprozesse der DNA machen bei den mehr als 5000 Jahre alten
Ötzi-Proben den erfolgreichen Einsatz genetischer Methoden oft unmöglich", sagt Dr. Klaus Hollemeyer.
Das gleiche gelte für mikroskopische und elektronenmikroskopische Verfahren: Sie sind bei archäologischen
Proben mit häufig nicht mehr intakten Oberflächenstrukturen ebenfalls kritisch zu bewerten, so der Biologe.
Die Forschungsergebnisse sind am 19. August 2008 in der Online-Ausgabe des Fachjournals Rapid
Communication in Mass Spectrometry veröffentlicht worden. |