Wie wir uns verstehen 1 Mio. Euro für deutsch-finnisches Verbundprojekt Philosophen, Psychiater
und Neurowissenschaftler arbeiten zusammen
Bochum (universität) - Manchmal scheint es, als könnten wir Gedanken lesen: Wir wissen
genau, was unser Gegenüber meint, sogar noch bevor er es geäußert hat. Wie funktioniert das? Müssen
wir uns selbst verstehen, um Andere verstehen zu können? Kann man diese Prozesse an der Gehirnaktivität
ablesen - und darf man das? Warum funktioniert das Verstehen Anderer bei manchen Krankheiten nicht? Das vom Bundesforschungsministerium
(BMBF) mit rund einer Million Euro geförderte Verbundprojekt "Other Minds/Den Anderen verstehen: Neurophilosophie
und Neuroethik der Intersubjektivität" soll diese Fragen beantworten. Beteiligt sind drei deutsche und
drei finnische Forscher. Die deutschen Teilnehmer sind der Philosoph Prof. Dr. Albert Newen und der Psychiater
Prof. Dr. Georg Juckel von der Ruhr-Universität Bochum sowie der Neurowissenschaftler Prof. Dr. Kai Vogeley
aus Köln.
Mimik, Gestik, Körperhaltung, Sprache
Mit Intersubjektivität, deren neuronale und soziale Grundlagen die Forscher untersuchen werden, ist
nicht nur die sprachliche Kommunikation zweier Menschen gemeint, sondern auch die vorsprachliche Interaktion, die
mit Mimik, Gestik und Körperhaltung zum Ausdruck gebracht wird. Vorsprachliche Interaktion ist die Grundlage
sprachlicher Kommunikation und fließt als ein wesentlicher Aspekt in diese ein. Die vorsprachlichen, körperbasierten
Ausdrucksformen sind bisher in der Interaktionsforschung noch nicht hinreichend berücksichtigt worden.
Von Mindreading und Brainreading
Ziel des Verbundprojektes ist es, auf neurobiologische Erkenntnisse philosophische Theorien zu gründen,
zugleich aber auch durch philosophische Überlegungen zu neuen Experimenten anzuregen. Die Leitfragen sind:
Wie gelingt uns das Verstehen anderer Personen - von den Forschern "Mindreading" genannt? In welchem
Maße ist das Fremdverstehen mit einem Selbstverstehen verknüpft? Wie spiegelt sich das Selbst- und das
Fremdverstehen in der Gehirnaktivität? Ist es möglich, aus der neuronalen Aktivierung die Fähigkeit
oder sogar den Vorgang des Fremdverstehens herauszulesen - funktioniert also ein "brainreading"? Wenn
es möglich ist, in welchem Maße darf es dann verwendet werden? Können wir psychische Erkrankungen
wie Autismus und Schizophrenie auf der Basis dieser interdisziplinären Forschungen neu beschreiben und grundlegender
verstehen?
Deutsch-finnische Arbeitsteilung
Die deutschen Forscher werden sich vorwiegend der sozialen Kognition widmen, die finnischen dem "brainreading".
Beide Gruppen und der gesamte Forschungsverbund sind interdisziplinär besetzt. Der Forschungsverbund wird
von der Zusammenarbeit verschiedener Kompetenzen profitieren, die die theoretische und praktische Philosophie,
die kognitive Neurowissenschaft und die Psychiatrie abdecken. Die Forscher werden im Einzelnen 1. neue theoretische
Grundlagen über den Zusammenhang von Körper und Geist ausarbeiten, 2. diese vor allem für das Verständnis
von Intersubjektivität konkret anwenden und dabei insbesondere die Rolle von Emotionen für Intersubjektivität
aufzuklären suchen, 3. in Experimenten die neuronalen Grundlagen von Selbst- und Fremdverstehen erforschen,
4. die Möglichkeiten und Grenzen des Erfassens der geistigen Zustände eines Menschen mittels der Kenntnis
der Hirnzustände ("brainreading") systematisch aufzeigen, sowie 5. schließlich prüfen,
ob mit den theoretischen und empirischen Ergebnissen ein Fortschritt für das Verständnis psychischer
Erkrankungen zu gewinnen ist. Insgesamt trägt dieser Forschungsverbund theoretisch und empirisch zum Konzept
der Intersubjektivität bei und wird konzeptuell konkrete Forschungsbemühungen in der kognitiven Neurowissenschaft
unterstützen. |