Stuttgart (idw) - Bisher gehen ein Zehntel des weltweiten Verbrauchs an elektrischer
Energie schon in den Überlandleitungen durch deren Widerstand verloren. Zunehmend werden in Hochspannungsleitungen,
Motoren oder Generatoren deshalb Hochtemperatur-Supraleiter eingesetzt. Diese sind bei tiefen, aber relativ einfach
zu erzeugenden Temperaturen in der Lage, Strom ohne jeglichen Verlust zu transportieren. Den Mechanismus der Hochtemperatur-
Supraleitung haben Physiker jedoch trotz jahrelanger, weltweiter Forschung bis heute nicht verstanden. Wissenschaftlern
des 1. Physikalischen Institut der Universität Stuttgart, der Stanford University (U.S.A.), dem Laboratoire
Léon Brillouin (Frankreich), der Pusan University (Süd-Korea) und der Jilin University (China) gingen
diese offenen Fragen in einer weltweiten Zusammenarbeit nun mit Hilfe polarisierter Neutronen an und widerlegten
damit die bisherigen Theorieansätze. Über die Ergebnisse berichtet die Zeitschrift Nature in ihrer Ausgabe
vom 18. September 2008.*)
Um das enorme technologische Potenzial der Supraleitung voll nutzen zu können, ist es unumgänglich, daß
die physikalischen Prinzipien dieser Materialien verstanden werden. Eines der fundamentalen Probleme liegt hierbei
in deren metallischem Zustand. Ehe das Material supraleitend wird, beobachtet man einen sehr ungewöhnlichen
Zustand. Hierbei ist es nicht klar, ob dieser Zustand allmählich eingenommen wird, oder ob es sich bei dieser
charakteristischen Temperatur um eine scharfe Phasengrenze handelt. Diese Phase würde dann in Konkurrenz zur
Supraleitung treten.
Das internationale Wissenschaftsteam konnte nun an einem modellhaften Hochtemperatur-Supraleiter messen, bei wie
vielen Neutronen sich der Spin durch die Streuung umkehrt und wie sich dies ändert, wenn die Temperatur abgesenkt
wird. Diese Methode erlaubt detaillierte Aussagen über die magnetischen Eigenschaften eines Materials. In
den sehr präzisen und empfindlichen Messungen konnte erstmals festgestellt werden, daß die charakteristische
Temperatur durch das Auftreten einer ungewöhnlichen magnetischen Ordnung gekennzeichnet ist. Überraschenderweise
wird die Translationsinvarianz nicht gebrochen; das heißt, jeder kleinste Baustein des Kristalls ist gleich
magnetisch. Unterhalb der charakteristischen Temperatur zeigt sich der Magnetismus der Atome, doch in jeder Kristallzelle
jeweils in entgegengesetzter Richtung. Von außen ist dies nicht zu sehen: Der ganze Kristall bleibt weiterhin
unmagnetisch, weswegen das Phänomen bisher auch nicht entdeckt wurde.
Durch die aufsehenerregenden Ergebnisse sind jene Theorien widerlegt, die annahmen, daß es sich bei der charakteristischen
Temperatur nur um einen allmählichen Übergang, aber nicht um einen echten Phasenübergang handle.
Hierdurch ist nun der Weg frei geworden, für ein echtes Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung.
*) Veröffentlichung: Yuan Li, Victor Balédent, Neven Barišic;, Yongchan Cho, Benoit
Fauqué, Yvan Sidis, Guichuan Yu, Xudong Zhao, Philippe Bourges and Martin Greven: Unusual magnetic order
in the pseudogap region of the superconductor HgBa2CuO4+ ?, Nature 455, 18. September 2008. |