Hauptursache für Skepsis gegenüber den nationalen Gesundheitssystemen – Patientensicherheit
steht im Mittelpunkt des "European Health Forum Gastein 2008"
Gastein (mbdialog) - Ungenügende bzw. fehlende Fortschritte bei der Vermeidung von Fehlern bei
der medizinischen Behandlung in Spitälern und bei niedergelassenen Ärzten sind zu einem der wichtigsten
Qualitätsprobleme der nationalen Gesundheitssysteme geworden. "Patientensicherheit ist die Grundlage
für ein qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem", schrieb die Europäische Kommission den Mitgliedsstaaten,
denen sie in dieser Hinsicht bedeutende Versäumnisse attestiert, jüngst ins Stammbuch. Experten orten
bei der systematischen Bekämpfung von Fehlern im medizinischen Alltag großes Potenzial zur Verbesserung
der Gesundheitsversorgung. Aus diesem Grund ist "Patientensicherheit" heuer auch ein Leitthema des "European
Health Forum Gastein" (EHFG). Bei der 11. Auflage der wichtigsten europäischen gesundheitspolitischen
Fachveranstaltung widmen sich gleich mehrere Foren und Workshops den Möglichkeiten, diesem brennenden Problem
von verschiedenen Seiten zu Leibe zu rücken.
"Die Verantwortlichen nehmen die Dimension des Problems einfach nicht ernst genug", klagt EHFG-Präsident
Günther Leiner. "Politik, Wissenschaft, Ärzte und nicht zuletzt auch die Gesundheitsbehörden
konzentrieren sich viel zu sehr auf schlagzeilenträchtige Leistungen der Spitzenmedizin, statt die medizinischen
‚Hausaufgaben' zu erledigen." Dabei lägen die Verbesserungspotenziale nicht primär bei der Vermeidung
klassischer "Kunstfehler", sondern in den Bereichen Hygiene, Beschleunigung der Abläufe in Akutfällen,
Diagnosesicherheit, Abbau von Wartezeiten und ähnlichem. "So schön es ist, wenn eine neue Transplantationstechnik
für noch ein Organ ein Menschenleben rettet, so wenig dürfen wir deswegen übersehen, dass mit weit
geringerem Einsatz von Geld und medizinischer Kompetenz zehn anderen Patienten geholfen werden könnte, die
Opfer vermeidbarer und oft sehr banaler Fehler werden", so Leiner.
Viele Maßnahmen zur gezielten Verbesserung der Patientensicherheit wären dabei sogar ohne finanziellen
Mehraufwand möglich. Oft könnten mit einfachen Veränderung von Prozessen und Abläufen, bzw.
Sicherstellung einer effektiven Kommunikation zwischen allen Akteuren ausreichen, um beachtliche Verbesserungen
zu erzielen. "Hier brauchen wir zuallererst einmal nicht mehr Geld, sondern eine andere Einstellung zu diesem
Problemfeld", führt Leiner aus.
Leiners Kritik ist durch diverse Studien wissenschaftlich bestens untermauert. So zeigen mehrere Arbeiten, dass
rund zehn Prozent aller Spitalspatienten in irgendeiner Form von medizinischen Fehlern betroffen sind. Seit den
Achtzigern gibt es praktisch keinen Trend zum Besseren. Die in diesem Bereich bisher ausführlichste US-Studie
"To Err is Human" (1999) geht von 44.000 bis 98.000 Todesopfern als Folge von Fehlern in der medizinischen
Behandlung aus - mehr als die Opfer von Verkehrsunfällen, Aids oder Brustkrebs. Laut Angaben der Europäischen
Kommission ist bei durchschnitlich 10% der Krankenhauseinweisungen von Behandlungsfehlern auszugehen. Auch das
EHFG wird die Thematik in diesem Jahr aufgreifen und die Ergebnisse und Entwicklungen der vergangenen Jahre im
Bereich der medizinischen Behandlungsfehler präsentieren.
Den Patienten ist das Problem offensichtlich fast besser bewusst als den Verantwortlichen. Laut Eurobarometer betrachten
78 Prozent aller EU-Bürger mangelnde Patientensicherheit als gravierendes Problem der jeweiligen nationalen
Gesundheitssysteme. Experten erhoffen von der neuen EU-Richtlinie zu Patientenrechten wesentliche Fortschritte.
Auch die zunehmenden Möglichkeiten, Gesundheitsdienstleistungen im Ausland in Anspruch zu nehmen, erhöhen
den Druck, Qualitätsstandards in den Mitgliedsstaaten entsprechend zu verbessern.
"Die Hauptursache für die völlig unbefriedigenden Fortschritte auf dem Gebiet der Patientensicherheit
liegt darin, dass sich offenbar niemand wirklich dafür verantwortlich fühlt", erklärt Leiner.
"Das ist durchaus erklärbar, denn tatsächlich sind nur dann nachhaltige Erfolge möglich, wenn
Ärzte, Spitalsverantwortliche, Wissenschaftler und Gesundheitspolitiker das Problem gemeinsam angehen."
Dem European Health Forum, das mit seinem disziplinenübergreifenden Ansatz alle Gruppen an einen Tisch bringt,
kommt daher eine Schlüsselrolle bei der Weiterentwicklung wirksamer Strategien und insbesondere deren Umsetzung
zur Verbesserung der Patientensicherheit in der EU zu.
Veranstaltungen zum Thema Patientensicherheit beim EHFG 2008
Qualität und Sicherheit (Forum 6):
Eines der zentralen Foren des EHFG 2008 beleuchtet umfassend die aktuelle Situation und neue Initiativen
im Bereich der Qualitätssicherung und -verbesserung im Gesundheitswesen der EU-Staaten. Entscheidende Impulse
für höhere Qualitätsstandards könnten von Maßnahmen auf EU-Ebene ausgehen.
In zahlreichen weiteren Veranstaltungen spielen Fragen der Patientensicherheit eine wichtige Rolle:
Innovationen in der koordinierten Versorgung (Forum 5)
Möglichkeiten zur Qualitätsverbesserung durch verstärkten Einsatz innovativer Lösungen
aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie und daraus folgender besserer Abstimmung von Behandlungsprozessen.
Verbesserung der Patientensicherheit am Beispiel Thromboseprophylaxe (Workshop) Venenthrombosen fordern jährlich
eine halbe Million Todesopfer in europäischen Spitälern und verursachen bei vielen anderen Patienten
bleibende Schäden. Mit entsprechender Organisation und bei Einhaltung hoher Qualitätsstandards könnte
ein wesentlicher Teil der Fälle vermieden werden.
Antibiotikaresistente Keime (EU Präsidentschaftsworkshop )
Die Verletzung von Sicherheitsstandards begünstigt in hohem Maß die Entwicklung antibiotikaresistenter
Keime, die wiederum einen bedeutenden Risikofaktor für Spitalspatienten darstellen - Präsentation von
Maßnahmen zur Bekämpfung des Problems.
EU-Richtlinienentwurf zu Patientenrechten in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung (Workshop)
Patientensicherheit und Patientenrechte sind zentrale Bereiche bei der Erarbeitung eines Regelwerks für
die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen in anderen EU-Staaten (grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung).
Diese Richtlinie hat zum Ziel Patienten bei der Wahrnehmung der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung
zu unterstützen, die Sicherheit und Qualität dabei zu garantieren und bessere Zusammenarbeit zwischen
den nationalen Gesundheitssystemen zu fördern. |