Salzburg/London (universität) - Das internationale Forschungsprojekt EU Kids Online veröffentlichte
eine Vergleichsstudie zu Internetnutzung und -risiken von Kindern und Jugendlichen in 21 europäischen Ländern.
Ein Forschungsteam an der Universität Salzburg beteiligte sich unter der Leitung von Ingrid Paus-Hasebrink
an den Analysen. Zusammen mit Wissenschaftern aus ganz Europa werteten sie die Ergebnisse von über 250 empirischen
Arbeiten aus.
Basierend auf Daten aus mehr als 250 Studien zur Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen, der Regulierung
und Begleitung durch Eltern und Lehrer und der Wahrnehmung von Online-Risiken entwickelte das EU Kids Team eine
Länder-Gruppierung. Diese Klassifizierung spiegelt Ähnlichkeiten und Unterschiede hinsichtlich Online-Risiken
und -Möglichkeiten für Kinder und Jugendlich wider.
Österreich zählt zusammen mit Belgien, Dänemark, Irland und Schweden zu den Ländern mit mittlerem
Risiko. Besonders hoch ist die Wahrscheinlichkeit unangenehmer Erfahrungen im Netz für junge Menschen in Polen,
den Niederlanden und der Tschechischen Republik, gefolgt von Estland, Norwegen und Großbritannien. Weniger
häufig treten Risiken in Frankreich, Deutschland und Italien auf.
Insgesamt zeigt sich, dass in Ländern, in denen viele Kinder Zugang zum Internet haben, auch die Gefährdung
tendenziell hoch ist. Allerdings sind Online-Risiken auch in einigen Ländern mit geringer Verbreitung des
Internets vergleichsweise groß. Dabei handelt es sich vor allem um neue Mitgliedstaaten der Europäischen
Union. Kinder im Süden sind tendenziell weniger gefährdet, wenngleich Unterschiede zwischen südlichen
Ländern zu erkennen sind.
Neben dem Auftreten von unangenehmen Erfahrungen im Internet stellt sich auch die Frage danach, wie Kinder und
Jugendliche mit solchen Erlebnissen umgehen. Kinder in Estland und Bulgarien sind demnach besonders betroffen,
da dort die Risikowahrscheinlichkeit am höchsten und die Fähigkeit junger Menschen, Online-Probleme zu
bewältigen, am niedrigsten ist. In eingeschränktem Maße trifft dies auch auf Polen und die Tschechische
Republik zu.
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und Informationen zum EU Kids Online Projekt finden Sie auf
den nächsten Seiten. Der vollständige Bericht der Studie kann als pdf-File heruntergeladen werden (in
englischer Sprache) http://www.lse.ac.uk/collections/EUKidsOnline/Reports/ReportD3-2CrossnationalComparisonFINAL2.pdf
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Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse
Die Verbreitung der Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen unterscheidet sich innerhalb Europas deutlich.
Während in den Niederlanden, Dänemark, Estland und Norwegen ca. 70% der Menschen unter 18 Jahren das
Internet nutzen, sind es in Zypern, Bulgarien, Rumänien und Griechenland nur ein Drittel oder weniger. In
Österreich hat ca. die Hälfte aller Kinder das Internet schon einmal verwendet; dies entspricht in etwa
dem europäischen Durchschnitt.
In allen Ländern Europas steigt die Internetnutung mit dem Alter deutlich an. Die größten Zuwächse
sind bis ins mittlere Jugendalter zu verzeichnen, wo der Höhepunkt der Internetnutzung erreicht wird. Kinder
unter elf Jahren verwenden das Internet im Allgemeinen weniger als ihre Eltern, Jugendliche zwischen zwölf
und 17 Jahren hingegen mehr. Die weit verbreitete Annahme, Kinder seien ihren Eltern hinsichtlich digitaler Technik
überlegen, scheint also nur auf Teenager nicht aber auf Jüngere zuzutreffen.
Uwe Hasebrink vom Hans-Bredow Institut für Medienforschung in Hamburg und Leiter eines Teilbereichs der Studie
meint dazu: “Diese Ergebnisse zeigen, dass es für jüngere Kinder im Allgemeinen sinnvoll ist, wenn ihre
Eltern das Internet ausreichend verstehen und nutzen können, um ihnen den Umgang damit zu vermitteln. Dies
mag für Jugendliche nicht gelten. Obwohl die Internetnutzung unter den Erwachsenen zum Teil gering sein mag,
ist anzunehmen, dass viele Eltern über genug Internetkompetenz verfügen, um ihre Kinder anzuleiten und
eine vermittelnde Rolle auszuüben.“ (Freie Übersetzung aus dem Englischen)
Hohe Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen wird meist mit intensiver Nutzung zu Hause und niedrige Nutzungszahlen
mit Zugang in der Schule assoziiert. Überall in Europa nutzt aber ein ähnlich hoher Anteil an Kindern
das Internet zu Hause wie in der Schule. Je mehr Kinder das Internet zu Hause nutzen, desto mehr verwenden es also
auch in der Schule. Der Zugang und Gebrauch von Online-Medien scheint sich in europäischen Ländern gleichermaßen
über die Schule und die Familie zu verbreiten.
Wie zahlreiche Befragungen von Eltern und Kindern ergeben, nutzen junge Menschen das Internet vor allem als Bildungsressource,
zur Unterhaltung, zur Informationssuche und für soziale Kontakte zu anderen Jugendlichen. Die Gestaltung von
eigenen Inhalten oder konkrete Formen der gesellschaftlichen Partizipation spielen eine geringere Rolle.
„Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass jedes Kind sozusagen eine Leiter der Online-Möglichkeiten hinaufklettert,
angefangen mit der Suche nach Informationen, über Spiele und verschiedene Formen der Kommunikation bis hin
zu kreativen Tätigkeiten und gesellschaftlicher Partizipation. Kommunikation und Spiele sind daher nicht unbedingt
nur Zeitverschwendung und Unterhaltung, sondern stellen einen motivationalen Schritt auf dem Weg zu späteren
Aktivitäten dar.“ (Sonia Livingstone von der London School of Economics and Political Science, EU Kids Online
Koordinatorin; freie Übersetzung aus dem Englischen)
Die Ergebnisse der Analyse zeigen zudem, dass die Weitergabe persönlicher Daten das am meisten verbreitete
Risiko in Europa darstellt. Ungefähr die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen, die das Internet nutzen,
haben das schon gemacht. Der Kontakt mit pornographischen Inhalten kommt an zweiter Stelle (ca. 40% der Kinder
und Jugendlichen, die das Internet nutzen), gefolgt von der Konfrontation mit gewalttätigen und hasserfüllten
Inhalten (ein Drittel). Zudem wird einer von fünf bzw. sechs Jugendlichen mit Zugang zum Internet (je nach
Land) online belästigt, gemobbt oder verfolgt. Im Hinblick auf ungewünschter sexuelle Kommentare unterscheiden
sich die Staaten sehr: der Anteil der Kinder, die diese Erfahrungen gemacht haben, schwankt zwischen 10% (Deutschland,
Irland und Portugal) und rund 30% (Island, Norwegen, Großbritannien und Schweden). Ganz an der Spitze liegt
Polen mit 50%. Zu Österreich liegen dazu leider keine Daten vor. Eine der größten Gefahren birgt
das Treffen mit Fremden, die die Kinder online kennen gelernt haben. Dieses Risiko tritt aber am seltensten auf.
In den meisten Ländern liegt es bei ca. 9%; nur in Polen, Schweden und der Tschechischen Republik betrifft
dieses Problem 20% der Online-Kinder und -Jugendlichen.
In Österreich gibt es leider nur wenige Studien, die Online-Risiken für Kinder und Jugendliche untersuchen.
Dies gilt insbesondere für Kinder unter 10 Jahren. Interessante Ergebnisse zu niederösterreichischen
Kindern zwischen acht und bis 15 Jahren liefert die „Sozialforschungsstudie Informationstechnologie“, die 2001
von der Medienpädagogischen Beratungsstelle an der Niederösterreichischen Landesakademie von Ingrid Geretschlaeger
durchgeführt wurde und auf Anfrage erhältlich ist. Laut dieser Studie sind 37% der Zehn- bis 15-Jährigen
schon auf pornographische Seiten gestoßen, bei Jugendlichen mit Internetanschluss zu Hause sind es sogar
56%. Seiten mit rechtsradikalen Inhalten sind 11% der Jugendlichen begegnet und 15% besuchten Seiten mit Aufforderungen
zu Gewalt. Sehr groß ist der Anteil der Jugendlichen, die zumindest gelegentlich Kontakt zu Glücksspielseiten
haben, die zu Spielen mit Geldeinsatz auffordern. Dies trifft auf 26% aller Zehn- bis 15-Jährigen zu; bei
Jugendlichen mit Internetzugang zu Hause sind es sogar 40% der Jugendlichen mit Internetzugang zu Hause zu.
Neuere Daten aus dem Jahr 2005 zu älteren österreichischen Jugendlichen (elf bis 18 Jahre) liefert die
Jugendstudie elf/18 vom Institut für Jugendkulturforschung, die jedoch nur gegen Bezahlung zur Verfügung
steht. Demnach haben beinahe 60% der Jugendlichen in dieser Altersgruppe schon pornographische Seiten angesehen,
50% landeten auf Glückspielseiten, mehr als 20% hatten Kontakt mit Websites, die Drogen zum Kauf anbieten,
und immerhin 11% besuchten Selbstmordforen.
Der internationale Vergleich im Rahmen von EU Kids Online hat des Weiteren gezeigt, dass Eltern europaweit eine
große Bandbreite an unterschiedlichen Regulierungs- und Erziehungsmaßnahmen praktizieren, um die Internetaktivitäten
ihrer Kinder zu lenken und zu begleiten. Viele geben ihren Kindern Zeitbegrenzungen vor und diskutieren mit ihnen
über ihre Online-Aktivitäten und -Erfahrungen. Insgesamt kommt sozialen Maßnahmen (Nutzungsregeln,
Gesprächen, Vereinbarungen) eine wichtigere Rolle zu als technischen Lösungen wie Filtern oder Schutzsoftware.
In Gesamteuropa regulieren Eltern aus sozial höher gestellten Familien die Online-Nutzung ihrer Kinder tendenziell
häufiger, und Mädchen unterliegen öfter elterlicher Kontrolle und Vermittlung als Jungen. Hinsichtlich
des Alters lässt sich feststellen, dass elterliche Vorgaben bei jüngeren Kindern wenig ausgeprägt
sind, im Alter von zehn bis elf Jahren steigen Erziehungsmaßnahmen in Bezug auf das Internet an und in späterem
Teenageralter nehmen sie wieder ab.
Länderübergreifende Unterschiede hinsichtlich der Intensität der Internetnutzung der Kinder hängen
mit der generellen Verbreitung des Internets im jeweiligen Land zusammen. Die Dauer der Nutzung der Online-Dienste
ist ausschlaggebend für das Risiko, dem Kinder online ausgesetzt sind. Ausgiebigere Internetnutzung ist aber
keine Voraussetzung für große Gefährdung. Wie die EU Kids Online-Studie zeigt, ist in manchen Ländern
mit wenig intensiver Internetnutzung die Wahrscheinlichkeit, negative Erfahrungen zu machen, dennoch hoch (z.B.
Bulgarien). Auffälligerweise ist das Engagement von gemeinnützigen Organisationen und Initiativen im
Bereich Internetsicherheit in hoch gefährdeten Ländern eher gering.
Auch die technische Infrastruktur von Schulen sowie die Integration des Internets in den Lehrplan und die alltägliche
Lehrpraxis beeinflussen Online-Risiken und -Chancen. Es zeigt sich, dass Internetnutzung in Schulen vermehrt auf
„sichere“ Bereiche beschränkt wird, wodurch sich im schulischen Umfeld zwar die Risiken aber auch die Chancen
der Nutzung für Jugendliche reduzieren.
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Zum Projekt EU Kids Online
EU Kids Online (www.eukidsoline.net) ist ein Forschungsnetzwerk mit Mitgliedern aus 21 Ländern Europas, das
vom Safer Internet Plus Programm der Europäische Kommission gefördert und von Sonia Livingston und Leslie
Haddon an der London School of Economics and Political Science koordiniert wird. Das Projekt liefert den ersten
systematischen europäischen Vergleich von Forschungsergebnissen zu Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen
mit Online-Technologien.
Das österreichische EU Kids Online-Projekt wird von Univ.-Prof. Dr. Ingrid Paus-Hasebrink (Fachbereich Kommunikationswissenschaft
an der Universität Salzburg) geleitet. Weitere Mitglieder des Teams sind Mag. Christina Ortner, MMag. Andrea
Dürager und Mag. Dr. Christine Wijnen.
Neben österreichischen Forschern beteiligen sich Wissenschafter(innen) aus Belgien, Bulgarien, Dänemark,
Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Island, Irland Italien, Niederlande, Norwegen,
Polen, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik und Zypern an der Arbeit des Netzwerks.
EU Kids Online veröffentlichte bisher drei Berichte:
- Der erste Bericht analysiert die Verfügbarkeit von Daten zur Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen
in Europa und zeigt Forschungslücken auf.
- Der zweite Bericht vergleicht die Länder Portugal, Polen und Großbritannien hinsichtlich Einflussfaktoren
auf Online-Risiken und Chancen.
- Der dritte Bericht diskutiert methodische Herausforderungen bei der Erforschung des Internetumgangs von Kindern
aus länderübergreifender Perspektive.
Alle Berichte können unentgeltlich auf der Homepage von EU Kids Online http://www.lse.ac.uk/collections/EUKidsOnline/Reports/Default.htm abgerufen werden.
Zudem steht auf der Internetseite des Projekts eine Datenbank mit Informationen und Links zu sämtlichen Einzelstudien
zur Verfügung, die in der vergleichenden Analyse berücksichtigt wurden.
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