Wien (idw) - Blütenpollen haben einen artspezifischen, robusten Schutzmantel, der Wind, Wetter und
sogar der Zeit trotzt: Selbst nach Millionen von Jahren verrät die Oberflächenstruktur eines fossilen
Pollens, welche Blütenpflanze er einst verlassen hat. Der Stoff, aus dem die resistente Pollenhülle geschnitzt
ist, heißt Sporopollenin. Bisher ging man davon aus, daß alle Blütenpollen von dieser beständigen
Substanz umhüllt sind. Vor kurzem entdeckten BotanikerInnen der Universität Wien jedoch eine botanische
Sensation: Die Oberfläche von Aronstab-Blütenstaub besteht nicht aus Sporopollenin, sondern aus Polysacchariden
- plakativ gesagt sozusagen aus Zucker.
Bei der elektronenmikroskopischen Untersuchung eines scheinbar gewöhnlichen Blütenpollens aus der Familie
der Aronstabgewächse (Araceae, dazu gehören z.B. Dieffenbachia oder Philodendron) trauten Michael Hesse
und seine Kollegin Martina Weber ihren Augen nicht: Offensichtlich bestand die Pollenoberfläche nicht wie
sonst bei Blütenstaub aus der resistenten Pollenhülle Sporopollenin, sondern aus Polysacchariden - sprich
Zucker.
Stachlig oder glatt? Seit jeher herrschen in der Palynologie geteilte Meinungen über das Aussehen des Aronstabpollens.
Manche Lehrbücher beschreiben den Pollen als stachelbesetzt, andere wiederum als glatt. Hesses und Webers
überraschende Endeckung beweist nun, daß beide Beschreibungen zutreffen: Da die "süßen
Stacheln" vieler Araceae-Pollenkörner nicht lange halten, bevor sie zergehen wie Zucker im Kaffee, hängt
es vom Fundzeitpunkt bzw. der Probenaufbereitung ab, wie sich der Blütenstaub dem Blütenstaubsammler
präsentiert.
Kurzlebiger Pollen Aber damit sind noch lange nicht alle Rätsel um den "Ausnahmepollen" gelöst.
Ein Blütenpollen ist deshalb beständig, weil er zumindest so lange überdauern muß, bis er
die weibliche Blüte eines Artgenossen bestäubt hat. Mit seiner zuckrigen Oberfläche ist der Araceae-Pollen
jedoch extrem kurzlebig und selten mehr als einen Tag und eine Nacht funktionsfähig.
Form follows function Michael Hesse vom Department für Palynologie und Strukturelle Botanik an der Fakultät
für Lebenswissenschaften interessiert vor allem der Sinn hinter dieser evolutionären Ausnahmeregelung:
"Es muß einen funktionalen Zusammenhang zwischen der Kurzlebigkeit des Pollens und dem artspezifischen
Bestäubungsmechanismus der meisten Araceae- Gewächse geben." Diese Vermutung liegt deshalb nahe,
weil viele Vertreter der Familie Araceae im Laufe der Evolution eine sehr ungewöhnliche Methode entwickelt
haben, um ihre Fortpflanzung zu sichern: Sie locken Bestäuberinsekten buchstäblich in die Falle.
Pflanze fängt Insekten zur Bestäubung Die geniale Insektenfangvorrichtung der Aronstabgewächse unterscheidet
sich von Art zu Art, das Prinzip ist daßelbe: Das für viele Gattungen typische Hochblatt (Spatha) umschließt
den Blütenkolben (Spadix) wie ein Kessel. Während der Blütezeit strömen die Pflanzen einen
Geruch aus, der Fliegen und Käfer magisch anzieht.
Auf der Suche nach der Quelle des Geruchs rutschen die Insekten aus und fallen in den Grund des Kessels hinab,
wo sich die weiblichen Blüten befinden. Dort hält der Aronstab die Insekten fest, bis der Zweck ihrer
Gefangenschaft erfüllt ist.
Perfektes System Am nächsten Morgen dürfen die Tiere wieder hinaus ins Freie. Um zum Ausgang zu gelangen,
müssen sie jedoch an den männlichen Blüten vorbei, die nahe am Kesselrand sitzen und sich inzwischen
geöffnet haben - ein minutiös abgestimmtes Verfahren. In Freiheit werden die pollenbeladenen Insekten
bei der nächsten Kesselfalle erneut getäuscht, und das Spiel beginnt von vorne.
Die Kesselfallenhypothese In seinem neuen FWF-Projekt, in dem er eng mit dem Blütenmorphologen Anton Weber
(Tropenstation La Gamba) zusammenarbeitet, will Michael Hesse nun beweisen, daß der Araceae-Pollen seine
süße Oberfläche im Laufe der Evolution der verschiedenen Kesselfallenformen mehrfach und unabhängig
voneinander entwickelt hat. |