Aktuelle Tourismus-Trends vom Service-Design bis zur Creative City
Wien (rk) - Was erwartet den Tourismus angesichts der aktuellen Probleme des weltweiten Finanzsystems
und der Treibstoffkrise in der Luftfahrt? Was kann Wien einsetzen, um seinen Tourismus voranzutreiben? Welche Rolle
spielt dabei die neue Zielgruppe der "Kreativen"? Welchen Einfluss haben Stadtgestaltung und Events,
und was ist Service-Design? Diesen Fragen geht die Wiener Tourismuskonferenz 2008 auf den Grund, zu der der WienTourismus
gemeinsam mit der Stadt Wien und der Wiener Tourismuswirtschaft 08.10. ins Museumsquartier lädt. Beim vormittags
dazu abgehaltenen Pressegespräch gingen Tourismusdirektor Norbert Kettner und zwei der ReferentInnen -, Prof.
Birgit Mager von der Köln International School of Design und Robert Marijnissen, Leiter der Creative Cities
Amsterdam Area - bereits auf einige Kernpunkte ein.
"Mit mehr als 4 Milliarden Euro leistet Wiens Tourismuswirtschaft jährlich einen Beitrag von rund 6 %
zum Bruttoregionalprodukt unserer Stadt. Nach fünf Rekordjahren en suite stehen die Chancen auf ein sechstes
heuer sehr gut, denn von Jänner bis August liegen unsere Gästenächtigungen um 6,9 % über jenen
der Vergleichsperiode im Vorjahr, und die Netto- Nächtigungsumsätze der Hotellerie weisen von Jänner
bis Juli ein Plus von stolzen 18 % auf." So fasste Tourismusdirektor Kettner Wiens aktuellen touristischen
Status zusammen. "Diese Entwicklung lässt einige Leute schon davon schwärmen", setzte er fort,
"Wien würde das für 2010 angepeilte Ziel von 10 Millionen Nächtigungen bereits heuer erreichen.
Doch hier sollte man die Realität nicht aus den Augen verlieren: Wir stehen vor Rahmenbedingungen, die alles
andere als günstig sind: Weltweit ringen Fluglinien mit den Treibstoffkosten, unsere eigene nicht ausgenommen,
die Wirtschaftskrise in den USA wirkt global als Dämpfer für den Tourismus. Trotz dieser Voraussetzungen
den Rekord 2007 zu brechen, ist schon eine beachtliche Leistung. Ob wir dabei auch noch den Sprung von den vorjährigen
9,7 Millionen Nächtigungen auf 10 Millionen schaffen, ist derzeit ein völlig offenes Spiel."
Bettenangebot enorm gewachsen, Projekt 2015 schon in Arbeit
Die angesprochenen 10 Millionen Nächtigungen werden mit dem Projekt 2010 angestrebt, das die Wiener Tourismuswirtschaft
mit Experten aus anderen Wirtschaftsbereichen, aus Kultur und der Wiener Stadtverwaltung gemeinsam verfolgt. Sein
bisheriger Fortschritt und die starke Performance Wiens in den letzten Jahren haben Hotelinvestoren angezogen,
wodurch die Beherbergungskapazität der Stadt von 2003, als das Projekt 2010 startete, bis Ende 2008 von 39.600
auf 49.800 Betten angewachsen sein wird, das bedeutet um 25,6 %; und Ende 2010 werden es über 55.000 Betten
sein. - Um bei diesen Zuwächsen die Auslastung der Hotellerie auf gewohnter Höhe zu halten, sind 10 Millionen
Nächtigungen nicht genug.
Kettner dazu: "Wiens Hoteliers haben den verständlichen Wunsch, dass sich unser strategisches Ziel ab
sofort auf deutlich mehr ausrichtet. Dazu ist anzumerken, dass im Projekt 2010 die 10 Millionen stets als Untergrenze
gedacht waren, und wir uns kein Limit nach oben gesetzt haben. Weiters erinnere ich daran, dass Wien 2002, als
wir das Projekt 2010 entwickelt haben, bei knapp 7,7 Millionen Nächtigungen stand, und selbst die am Projekt
Beteiligten - auch Vertreter der Hotellerie - das Ziel von 10 Millionen acht Jahre später für reichlich
kühn gehalten und an seiner Erreichbarkeit ihre Zweifel geäußert haben. Doch bei aller Kühnheit
war das Projekt ein realistisches, weil es auf Basis konkreter Daten und Fakten erstellt wurde - globale Wirtschaftstrends,
reale Möglichkeiten lokaler Stadt- und Angebotsentwicklungen etc. wurden darin berücksichtigt. Es war
kein 'Wunschkonzert', das haben andere versucht und sind gescheitert. Auch unsere zukünftige Strategie kann
nicht von der alleinigen Devise 'so und so viele Nächtigungen brauchen wir, um die Auslastung sicherzustellen',
ausgehen, sondern muss aus realen Gegebenheiten in der bewährten Knochenarbeit abgeleitet werden. Mit der
befasst sich bereits die Strategiegruppe, die um Reprä- sentanten aus Gastronomie und Kreativwirtschaft erweitert
wurde. Die Zieldefinition wird auf das Jahr 2015 ausgerichtet sein und bei der Wiener Tourismuskonferenz 2009 präsentiert
werden, und zwar samt dem Konzept mit den dazugehörigen Maßnahmen. Soviel kann ich aber jetzt schon
vorwegnehmen: Das Ziel wird nicht minder ambitioniert sein als jenes des Wiener Tourismus-Konzepts 2010. Es wird
aber auch nicht minder seriös sein, und daher zu berücksichtigen haben, dass der Tourismus keine Ausnahme
von der Regel ist, dass es im Leben nicht immer nur bergauf geht. Unerledigte Punkte aus dem Projekt 2010 bleiben
auf der Agenda, und zusammen mit den neu zu erarbeitenden Inputs soll das Wiener Tourismuskonzept 2015 kein Wunschkonzert,
aber dennoch hitverdächtig sein."
Projekt 2010: Stand der Dinge
Bei der Tourismuskonferenz berichtet der Tourismusdirektor den aktuellen Stand der Kernanliegen im Projekt 2010.
Deren wichtigstes, die Erreichbarkeit Wiens, hat sich wiederum deutlich verbessert: Hochrangige Straßenverbindungen
nach Ungarn, Tschechien und der Slowakei sind großteils fertig bzw. in der End- phase des Ausbaus. Zu Wasser
verbindet der Twin City Liner Wien und Bratislava bereits mit zwei Schiffen (100.000 Passagiere allein im ersten
Halbjahr 2008). Für den Schienverkehr ist die Bahnhofsoffensive voll im Gange, ihr Hauptstück - die Errichtung
des neuen Hauptbahnhofs - läuft plangemäß, und der Hochge- schwindigkeitszug Railjet fährt
ab Dezember 2008 München-Wien- Budapest und ab 2009 Wien-Bregenz-Zürich. In der Luftfahrt geht der Sky-Link
Terminal des Flughafens im Herbst in Betrieb, die Low Cost Carriers haben ihr Passagieraufkommen im letzten Jahr
um 57 % auf rund 3,5 Millionen gesteigert und erbrachten bereits fast 19 % des Gesamtpassagieraufkommens am Flughafen.
Hier mischt sich jedoch ein großer Wermutstropfen in den Bericht, denn aufgrund der Entwicklung der Treibstoffpreise
könnte dieser Input bald drastisch sinken. Ebenso betroffen davon ist bekanntlich Austrian Airlines. Die heimische
Fluglinie hat durch den Ausbau ihres Angebots auf Kurz- und Mittelstrecken nach Osten sehr stark zu Wiens enormen
Nächtigungssteigerungen aus den neuen EU-Ländern, Russland und dem arabischen Raum beigetragen, war aber
gezwungen, eine Reihe von Langstreckenflüge einzustellen.
Sehr angespannt verfolgt die Wiener Tourismusindustrie die derzeitigen AUA-Verkaufsverhandlungen, denn von deren
Ausgang und der danach eingeschlagenen Linie hängt nicht nur Wiens Weiterentwicklung im Freizeittourismus
ab, sondern auch die Zukunft ganz Ostösterreichs als Wirtschaftsstandort mit allen Konsequenzen auf den Geschäfts-
und Kongresstourismus. Gerade diese beiden Bereiche sind bisher prächtig gediehen: Massive Betriebsansiedlungen
(115 Unternehmen 2007, + 55 % gegenüber 2006), offensive Wirtschafts- und Forschungspolitik der Stadt (78
Mio. Euro Investition für Forschungsagenden 2008) und ein florierendes Kongressgeschäft haben den Tourismus
kräftig angekurbelt. - Ein essenzielles Teilziel im Projekt 2010 ist es, den Anteil des Kongresstourismus
an Wiens Gesamtnächtigungsergebnis (2003: 10,1 %) auf 15 % zu steigern - 2007 betrug er bereits 14,7 %.
Kein Fortschritt war bei dem im Projekt 2010 sehr wesentlichen Punkt, das Budget der Österreich Werbung um
10 Millionen Euro jährlich zu erhöhen, erzielbar. Die Erfüllung dieser mittlerweile längst
von vielen österreichischen Tourismusorganisationen und -institutionen laufend erhobene Forderung ist unabdingbar
für einen konkurrenzfähigen Marketing- Auftritt Österreichs in Fernmärkten, aber auch europäischen
Ländern, wo bisher aufgrund Budgetmangels nicht effizient genug agiert werden kann. Dieses Anliegen gehört
zu den erwähnten "unerledigten Punkten" des Projekts 2010, an denen weiterhin zu arbeiten ist. Ausführlichere
Information zum aktuellen Stand im Tourismuskonzept 2010 sind der umfassenden Unterlage auf B2B.wien.info/wien2010
zu entnehmen.
Johann-Strauß-Medaillen für Verdienste um Wiens Tourismus
Prominente Gastreferenten zeigen bei der Tourismuskonferenz auf, was Wien als potenzielle "Treibmittel"
einsetzen kann, um weiterhin ein möglichst großes Stück vom Kuchen des Städtetourismus abzuschneiden.
Für die Konferenz wurde heuer ein neues Format entwickelt, in dem viele Teile des MuseumsQuartiers parallel
bespielt werden: In der Hofstallung findet das Eröffnungsplenum statt, das Fritz Strobl, Vorsitzender des
Finanz- und Wirtschaftausschusses des Wiener Gemeinderats und Landtags sowie Vizepräsident des WienTourismus,
einleitet und Kurzinterviews mit Wiens Wirtschaftskammer-Präsidentin Kommerzialrätin Brigitte Jank, sowie
Rudolf Kaske, Vorsitzender der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida umfasst. In diesem Rahmen verleihen
Strobl und Kettner auch Goldene Johann- Strauß Medaillen an Personen und Institutionen mit besonderen Verdiensten
um Wiens Tourismus
Die Dienstleistung als Designobjekt
Zum Workshop "Die Reise des Kunden: Service-Design gestaltet Erlebnisse" lädt Prof. Birgit Mager,
Inhaberin des Lehrstuhls für Service-Design an der Köln International School of Design, in die Barocken
Suiten. Sie zeigt, dass sich Dienstleistungen ebenso gestalten lassen wie Gebrauchsgegenstände. Bei der Pressekonferenz
erklärte sie: "Der Service-Design-Prozess verläuft in vier Phasen und ist eine interdisziplinäre
Arbeit, die in enger Kooperation mit Kunden und Anbietern erfolgt. Die Explorationsphase erforsch die Welt der
Kunden - ihre Wünsche, Erlebnisse und Erfahrungen, auf dieser Basis lotet die Kreationsphase Spielräume
für Neues aus. In diesem sehr kreativen, innovationsorientierten Schritt wird stark visuell gearbeitet, mit
Bildgeschichten, Service- Modellen und Prototypen. In der folgenden Reflexionsphase wird geordnet, bewertet, entschieden
und aus der kreativen Vielfalt ein strategisch durchdachtes, umsetzbares Konzept entwickelt, das dann in die Implementierungsphase
geht. In ihr wird der Veränderungsprozess der Dienstleistung durchgeführt - von der Kommunikation bis
hin zur Qualifikation. Das gewünschte Ergebnis im Tourismus sind Gäste-Erlebnisse und -Erfahrungen, die
den Rahmen des Alltäglichen überschreiten, begeistern und Erinnerungen kreieren, von denen Besucher noch
lange zehren und vor allem auch anderen erzählen. - Damit schafft sich der Anbieter hocheffiziente, glaubwürdige
Werbeträger."
Kreativität als Wirtschaftsfaktor und Gästemagnet und wie sich Städte inszenieren
Wie die Kreativwirtschaft den Städtetourismus beeinflussen kann, erfährt man bei zwei Referaten in der
MUMOK Lounge: Über praktische Erfahrungen in dieser Hinsicht berichtete, Robert Marijnissen, Leiter der Creative
Cities Amsterdam Area, einer der Referenten, bei der Pressekonferenz "Wir erleben gerade eine neue Gästeschicht:
intellektuell anspruchsvolle Reisende, die Amsterdam nicht nur wegen seiner Altstadt, der Kanäle oder Museen
mit alter Malerei besuchen, sondern hauptsächlich an seiner kreativen Atmo- sphäre, moderner Architektur
und zeitgenössischem Design interessiert sind. Sie wollen sich bei ihrem Städtetrip überraschen
und inspirieren lassen und mit ähnlich orientierten Einheimischen austauschen."
Diese Gäste zählen mittlerweile zu den sieben Hauptzielgruppen in Amsterdams Stadtmarketing, das sich
dafür eng mit der Kreativwirtschaft verknüpft hat. "Creative Cities Amsterdam Area ist ein Netzwerk",
so Marijnissen, "von Städten und Provinzen in Amsterdam und Umgebung, den jeweiligen Wirtschaftskammern
und Entwicklungsagenturen, das Kreativwirtschaft, Stadtentwicklung und Tourismus als Cluster ge- staltet und vermarktet.
Auch in unserem Geschäftstourismus sind die 'neuen' Gäste ein erheblicher Faktor geworden, weil sie von
einschlägigen Veranstaltungen - etwa der Amsterdam Fashion Week, dem Amsterdam Dance Event und der Creative
Company Conference angezogen werden. Sie nützen diese Events, um ihre Arbeiten zu zeigen, andere Kreative
zu treffen, Geschäftspartner zu finden usw. Gleichzeitig kommt zu diesen Anlässen das freizeittouristische
Publikum auch gerne, weil es dort die gewünschte Überraschung und Inspiration findet. So entsteht ein
Schneeballeffekt, der Amsterdam als Kreativwirtschaftsstandort wachsen lässt und als städtetouristische
Destination effizient positioniert - beides wiederum stärkt unsere Gesamtwirtschaft." Mehr über
diese "neuen Gäste", die aus der von Forschern sogenannten "kreativen Klasse" stammen,
hört man im Vortrag "Das Goldene Dreieck - Kreativität, Kulturtourismus und Stadt", den Tourismusforscher
Stephen Hodes von der Agentur LAGroup Leisure & Arts Consulting hält.
Wie sich Städte selbst darstellen, und was dabei zum Erfolg oder zum Flop geraten kann, ist in der Hofstallung
zu erfahren. Dr. Christian Mikunda, internationaler Berater für strategische Dramaturgie referiert über
"Die Dramaturgie der Stadt. Vom Stadtevent zum Stadtdesign" und Prof. Mag. Peter Zellmann, Direktor des
Wiener Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung, über den "Städtetourismus morgen. Eine
wachsende Kluft zwischen Authentizität und Inszenierung." Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums
Wien, thematisiert "Wie das Heutige ins Historische kommt. Architekturtourismus und seine Grenzen". |