EU-Ausschuss diskutiert Zusammenarbeit im Bereich Soziales
Wien (pk) - Der EU-Ausschuss des Bundesrats beschäftigte sich heute eingehend mit sozialen Themen.
Zunächst ging es um den Vorschlag für eine EU-Richtlinie, die Patientenrechte in der grenzüberschreitenden
Gesundheitsversorgung zum Inhalt hat. Der zweite Tagesordnungspunkt betraf das Engagement für ein soziales
Europa. Grundlage dafür ist eine Mitteilung der EU-Kommission. Auf EU-Ebene will man das bereits bestehende
Instrument zur Förderung der sozialen Entwicklung in der EU und in den Mitgliedstaaten, nämlich die "offene
Methode der Koordinierung" in den Bereichen Sozialschutz und soziale Eingliederung, stärken. Beide Tagesordnungspunkte
wurden einstimmig vertagt, da nach Auffassung der Bundesrätinnen und Bundesräte zu viele Fragen finanzieller
und organisatorischer Natur offen sind. Sie wollten daher noch Stellungnahmen aus Bund und Länder abwarten.
Der Ausschuss nahm auch den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung
ungeachtet der Religion, Weltanschauung, Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung wieder in Diskussion.
Dieser war in der Sitzung vom 22. Juli 2008 vertagt worden. Man wollte Stellungnahmen zahlreicher Rechtsträger
abwarten. Die Ausschussmitglieder kamen überein, sich der kritischen Haltung der Verbindungsstelle der Bundesländer
anzuschließen. Da die Stellungnahme jedoch noch nicht schriftlich vorlag, wurde der der Tagesordnungspunkt
abermals einstimmig vertagt.
Unkalkulierbare Patientenströme und finanzielle Nachteile für Krankenanstalten?
Nachdem die Gesundheitsleistungen aus der Dienstleistungsrichtlinie ausgeklammert worden waren, gab es
seitens der EU den Auftrag, Maßnahmen auszuarbeiten, um mehr Rechtssicherheit für PatientInnen zu gewährleisten.
Nun liegt ein Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte
in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung vor. Deren Ziel ist es, einen eindeutig abgesteckten Rahmen
dafür zu schaffen, welche Ansprüche die PatientInnen auf gesundheitliche Versorgung in einem anderen
Mitgliedstaat haben, beziehungsweise welche Beschränkungen die Mitgliedstaaten für eine solche Versorgung
im Ausland festlegen können und bis zu welcher Höhe die Kosten für grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung
erstattet werden. Darüber hinaus soll die europäische Zusammenarbeit, etwa in Bezug auf Anerkennung von
Verschreibungen aus dem Ausland, europäische Referenznetze, Qualität und Sicherheit konkretisiert werden.
Sollte der Vorschlag realisiert werden, so könnten PatientInnen in einem anderen Mitgliedstaat die gesundheitliche
Versorgung in Anspruch nehmen, die ihnen im Inland zugestanden wäre, und hätten einen Anspruch auf Kostenerstattung
in der Höhe jener Kosten, die für die Behandlung in ihrem Land erstattet würde. Allerdings trügen
sie das finanzielle Risiko für etwaige zusätzliche Behandlungskosten, heißt es in der Vorlage der
Kommission.
Die Stellungnahme der geladenen Experten dazu fiel skeptisch aus. Die Richtlinie sei nicht "das Gelbe vom
Ei" meinte etwa Sektionschef Dr. Auer vom Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend. Mag.
Pöschmann vom Städtebund sowie Dr. Kraft vom Amt der Vorarlberger Landesregierung sahen zu viele Unklarheiten
in Bezug auf die Verrechnung für die Krankenanstalten.
Dr. Auer erläuterte, dass sich für diejenigen PatientInnen, die in der EU eine Akutbehandlung benötigen,
nichts ändere. Für solche Fälle gebe es einschlägige und bewährte Rechtsinstrumente. Die
vorliegende Richtlinie würde nun jenen PatientInnen mehr Rechtssicherheit bringen, die ein Behandlung im Ausland
planen. Sie brauchten aber eine Vorwegbewilligung und würde nur jene Kosten ersetzt bekommen, die auch im
eigenen Land für die Leistung gezahlt werden. Das sei der Wunsch der Versicherungsträger gewesen. Schwieriger
stelle sich die Lage für die Krankenanstalten dar. Die Krankenanstalten müssten die Leistungen nämlich
nicht mit dem Versicherungsträger abrechnen, sondern mit den PatientInnen selbst. Leider gebe es noch immer
keine einheitliche Bewertung der einzelnen Punkte im Rahmen der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung
(LKF), beklagte Kraft.
Seitens des Städtebunds wurde die Richtlinie weitaus kritischer beurteilt. Pöschmann sah keine Möglichkeit,
anhand dieser Richtlinie Patientenströme zu steuern, was die Planbarkeit der Gesundheitsversorgung unmöglich
mache. Es gebe auch keine konkreten Vorschläge, wie die Verrechnung vor sich gehen soll, meinte er. In die
gleiche Kerbe schlug der Vertreter des Landes Vorarlberg, Dr. Kraft. Auch für ihn war es unklar, ob die Landeskrankenanstalten
die tatsächlich anfallenden Kosten und nicht nur die Sozialversicherungsbeiträge verlangen dürfen.
Auch müssten alle EU-BürgerInnen gleich behandelt werden, wodurch es zu Schwierigkeiten etwa bei kostengünstigen
Impfaktionen kommen könnte, meinte Kraft.
Sektionschef Auer teilte die Sorgen der Länder, was den Kostenersatz betrifft, stellte aber aus seiner Sicht
klar, dass nach den Vorschriften der LKF vorgegangen werden muss, also die Verrechnung des Sozialversicherungsanteils
sowie der Abgangsfinanzierung. Selbstverständlich müsse das in der Richtlinie klargestellt werden. Die
unterschiedliche Bewertung der LKF-Punkte sei aber ein Versäumnis der Länder, wiederholte er. Auer glaubte
jedoch nicht an große Patientenströme, da prinzipiell der Wunsch nach einer wohnortnahen Behandlung
bestehe. Daher werde es seiner Ansicht nach kaum Schwierigkeiten bei der Kapazitätsplanung geben. Der Wunsch
nach Behandlung im Ausland werde sich wahrscheinlich auf spezielle Fächer konzentrieren, und dies könnten
die Krankenanstalten auch als eine finanzielle Chance sehen, meinte er.
Bundesrat Franz Perhab (V) warnte dennoch vor einem möglichen Patiententourismus. Ausschussvorsitzender Gottfried
Kneifel (V) machte auf die ungeklärte Unterscheidung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung aufmerksam.
Bundesratspräsident Jürgen Weiss (V) sah keine Notwendigkeit für eine derartige Richtlinie und ortete
noch erhebliche Unklarheiten und Risiken finanzieller und organisatorischer Natur. Ähnlich äußerte
sich Bundesrat Albrecht Konecny (S), der es für unverantwortlich hielt, der Richtlinie zuzustimmen, bevor
nicht die Refundierung der Vollkosten gesichert ist.
Man kam überein, bis zum nächsten EU-Ausschuss eine diesbezügliche Ausschussfeststellung zu formulieren.
Der Tagesordnungspunkt wurde daher einstimmig vertagt.
Wie wirken sich sozialpolitische EU-Ziele auf die Länder aus?
Wie die Gesundheitspolitik fällt auch die Sozialpolitik in den nationalen Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten
der EU. Um die soziale Entwicklung in der EU und in den Mitgliedstaaten besser fördern zu können, hat
die EU im Jahr 2000 als Instrument die "offene Methode der Koordinierung" (offene Koordinierungsmethode,
OKM) in den Bereichen Sozialschutz und soziale Eingliederung entwickelt. Laut vorliegender Mitteilung der EU-Kommission
an das EU-Parlament, an den Rat, an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie an den Ausschuss
der Regionen soll diese Methode nun ausgebaut werden. Die EU-Kommission erwartet sich davon einen wichtigen Beitrag
zur Durchführung der erneuerten Sozialagenda und eine Stärkung des erneuerten Engagements für ein
soziales Europa.
Dr. Brigitte Zarfl vom Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz erläuterte dazu, der Lissabon-Prozess
konzentriere sich nur auf Wachstum und Beschäftigung. Deshalb sei es notwendig gewesen, auch den Sozial- und
Umweltbereich in den europäischen Kontext aufzunehmen, weshalb man sich für die Form der informellen
Zusammenarbeit entschieden habe. Zentrale Themen in diesem Zusammenhang seien die Armutsbekämpfung, die Pensionen
sowie die Gesundheit und Langzeitpflege. Im Rahmen der offenen Koordinierungsmethode gebe es nun einen regen Austausch
über gemeinsam festgelegte Zielsetzungen und Prozesse, die in die Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten
fallen. Die Kommission habe ab 2007 mit einer sozialen Bestandsaufnahme begonnen, was als Grundlage diente, eine
neue Sozialagenda vorzubereiten. Der Prozess der offenen Koordinierungsmethode habe sich als sinnvoll erwiesen
und zur Einbeziehung regionaler Akteure und der Zivilgesellschaft geführt. Nun sollen Vorschläge erarbeitet
werden, wie man die Zusammenarbeit verbessern und vertiefen könne. In der kommenden Woche werde es eine interministerielle
Sitzung geben, um eine Stellungnahme auszuarbeiten, informierte Zarfl.
Dr. Kraft vom Amt der Vorarlberger Landesregierung bewertete die Mitteilung der Kommission kritisch. Er argwöhnte,
die Kommission könnte die Möglichkeit erhalten, Zielvorgaben festzusetzen und zu evaluieren, was für
die Länder einen unnötigen bürokratischen Aufwand bedeute. Sie müssten sich dann rechtfertigen,
warum sie Zielvorgaben nicht erreicht haben, die sie gar nicht selbst mitbestimmt haben. Auch Mag. Troper, ebenfalls
vom Städtebund, mahnte zur Vorsicht hinsichtlich finanzieller Auswirkungen. Dem entgegnete Dr. Zarfl, dass
die Ziele von Kommission und Mitgliedsstaaten gemeinsam beschlossen werden.
Angesichts der unklaren Situation schlug Bundesrat Albrecht Konecny (S) vor, die interministerielle Stellungnahme
abzuwarten und den Tagesordnungspunkt zu vertagen. Auch Bundesratspräsident Jürgen Weiss (V) sowie Bundesrat
Franz Perhab (V) äußerten Zweifel an der Effizienz prozentueller Vorgaben aufgrund der unterschiedlichen
Standards in den Mitgliedstaaten. Weiss hinterfragte, ob es tatsächlich nur einvernehmlich festgelegte Ziele
gibt.
Auch dieser Tagesordnungspunkt wurde einstimmig vertagt. |