Festveranstaltung mit Bundespräsident Fischer im Parlament
Wien (pk) - Im Nationalratssitzungsaal fand am 17.10. eine Festveranstaltung aus Anlass "30
Jahre Weisser Ring" statt. 1978 wurde auf Initiative von Anwälten, Journalisten und Politikern der Weisse
Ring gegründet, um Verbrechensopfern effektive Hilfe anzubieten und die Gesellschaft auf die spezifische Situation
von Verbrechensopfern aufmerksam zu machen. Der Weisse Ring ist die größte heimische Opferhilfeorganisation
und die einzige, die in Österreich flächendeckend allen Opfern strafbarer Handlungen offen steht.
Begrüßt wurden die Gäste – unter ihnen die ehemaligen MinisterInnen Lore Hostasch und Nikolaus
Michalek – von der Präsidentin des Nationalrates Barbara Prammer, die u.a. auf die Leistungen dieser privaten
Organisation verwies und besonders die Installierung des Opfernotrufes (0800 112 112), der zentralen Anlaufstelle
für alle Belange, die Opfer betreffen, hervorhob. Sie unterstrich in ihrer Rede auch den wichtigen Dialog
zwischen Politik und Zivilgesellschaft. Im Hinblick auf die Verbrechensopfer sei die Arbeit des Weissen Ringes
unverzichtbar, sagte sie und hofft auf eine weitere konstruktive Zusammenarbeit.
Udo Jesionek, der Präsident und – wie Barbara Prammer sagte – das Herz des Weissen Rings leitete seine Ausführungen
mit einem kurzen historischen Rückblick ein und erinnerte daran, dass ohne Geld und ausschließlich mit
ehrenamtlichen Mitarbeitern diese Organisation auf die Beine gestellt wurde. Heute sei der Weisse Ring die einzige
flächendeckende Opferhilfeorganisation, die allen Opfern strafbarer Handlungen kostenlose und unbürokratische
Betreuung und Beratung zukommen lässt. Derzeit habe der Weisse Ring 300 ehrenamtliche MitarbeiterInnen aus
allen Berufsgruppen, und seit 1. September 2008 sei der Weisse Ring auch mit dem Aufbau eines "Kompetenzzentrums
Opferhilfe" betraut. 17.000 Opferkontakte gab es im Vorjahr, 4.500 Opfer wurden – teilweise sehr zeitintensiv
– betreut. Jesionek nutzte die Gelegenheit, um auf die offenen Wünsche des Weissen Ringes hinzuweisen. Dazu
zählen die schonende abgesonderte Einvernahme aller emotional betroffenen Opfer, die Ausdehnung der Prozessbegleitung
im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes, welches zwischen den beiden derzeitigen Regierungsparteien akkordiert ist,
sowie die Schaffung eines Opferentschädigungsvorschussgesetzes, das einen staatlichen Vorschuss auf gerichtlich
festgestellte Schadenersatzansprüche dann gewähren soll, wenn der Verurteilte seinen Verpflichtungen
nicht nachkommt.
Bundespräsident Fischer für wirksamere Verbrechensprävention
Bundespräsident Dr. Heinz Fischer illustrierte die oft schrecklichen Folgewirkungen eines Verbrechens für
die Opfer: Verletzungen, Dauerschäden, Berufsunfähigkeit und finanzielle Notlage. Dazu komme die "sekundäre
Viktimisierung" als Folge behördlicher Aktivitäten und Gerichtsverfahren sowie manchmal die Tendenz
der Öffentlichkeit, dem Opfer eine Mitschuld am Verbrechen zuzuschreiben.
Erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts habe sich die Viktimologie, die wissenschaftliche
Beschäftigung mit der Situation von Verbrechensopfern als eigenständige Wissenschaft etabliert, führte
der Bundespräsident aus. Dann habe auch der Staat den Handlungsbedarf erkannt und 1972 mit dem Verbrechensopfergesetz
einen wichtigen Schritt gesetzt, dem weitere Verbesserungen folgten.
Anlass für den heutigen Festakt ist die Gründung des "Weissen Ringes" im Jahr 1978. Nach speziellen
Hilfseinrichtungen für Kinder und Frauen war der Weiße Ring die erste Organisationen, die in Österreich
mit dem Ziel einer umfassenden Opferhilfe in Österreich gegründet wurde, erinnerte der Bundespräsident.
Viele Verbesserungen für Verbrechensopfer habe die Strafprozessnovelle 2005 gebracht, insbesondere die Verpflichtung
zur Gewährung psychosozialer und juristischer Prozessbegleitung. Auf diesem Gebiet liege auch ein wesentlicher
Schwerpunkt der Arbeit des Weissen Ringes, hob der Bundespräsident hervor und dankte der Hilfsorganisation
für die Organisation von Schulungen und Seminaren für Exekutive und Justiz.
Der Weisse Ring ist die einzige flächendeckende Opferhilfe-Organisation in Österreich, die - mit einem
Existenzminimum von nur vier hauptberuflichen Mitarbeiterinnen, aber sehr vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern verschiedenster Berufsgruppen - in allen neun Bundesländern Landesleitungen und teilweise
auch Außenstellen eingerichtet hat. An dieser Stelle hob der Bundespräsident den Präsidenten des
Wessen Ringes Udo Jesionek hervor, der sich nach einer eindrucksvollen Laufbahn als Jurist, Richter, Präsident
des Jugendgerichtshofes, Präsident der Österreichischen Richtervereinigung und Professor an der Universität
Linz seit seinem Ausscheiden aus der aktiven Richterlaufbahn zur Gänze dem Weissen Ring zu Verfügung
stellt. Der Bundespräsident dankte Präsident Jesionek für dessen Idealismus und Engagement.
In seinen weiteren Ausführungen ging Bundespräsident Fischer auf die offenen Wünsche ein, die der
Weisse Ring trotz der vielen Verbesserungen der letzten Jahrzehnte habe. Das im September 2005 beschlossene Forderungsprogramm
des Weissen Ringes richte sich an erster Stelle auf die Verbesserung der wirtschaftlichen Opferhilfe. Der Staat
sollte Straf- und Bußgelder möglichst zur Gänze für die Entschädigung von Ansprüchen
der Verbrechensopfer zur Verfügung stellen.
Das Verbrechensopfergesetz sollte, so der Weisse Ring, auf alle Opfer von Gewalt ausgedehnt werden, auch dann,
wenn sie keine erhebliche Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben. Außerdem
schlage der Weisse Ring die Einführung eines Schmerzengeldvorschusses sowie weitere Verbesserungen im Strafrecht,
im Strafprozessrecht sowie im Zivil- und Exekutionsverfahren vor und trete auch für eine bessere Koordination
des Opferschutzes im Rahmen der geplanten Staatsreform ein. Er, Fischer, hoffe, dass manche der vom Österreich-Konvent
angedachten Lösungen in der Realität umgesetzt werden können, sagte der Bundespräsident an
dieser Stelle.
Gegen Ende seiner Festansprache zitierte der Bundespräsident dann den Punkt "Prävention" aus
dem Forderungsprogramm des Weissen Ringes:
"Wenn es gelingt, die Zahl der Verbrechen einzuschränken, gibt es weniger Opfer. Es wäre daher an
der Zeit, die vereinzelt erarbeiteten Präventionsprogramme der öffentlichen Gebietskörperschaften,
aber auch anderer Organisationen zu evaluieren und gezielte Maßnahmen der Verbrechensvorbeugung einzuleiten."
Er wünsche sich, dass die Tragweite dieses kriminalpolitischen Programms in das Bewusstsein aller Verantwortlichen
eindringe, sagte der Bundespräsident und wies auf die oft missverstandene Vision einer "Gesellschaft
ohne Gefängnisse" hin, die Christian Broda bewegt habe. Es gelte in zäher Kleinarbeit und Schritt
für Schritt auf die Prävention von Verbrechen hinzuwirken, lautete der Appell des Bundespräsidenten.
Dabei bleibe die klassische Frage, ob im Falle eines Verbrechens der Einzelne oder die Gesellschaft versagt habe
oder in welchem Verhältnis diese beiden Faktoren stehen, stets aktuell. Je wirksamer die Prävention,
desto weniger Verbrechen und Verbrechensopfer - und umso weniger Gefängnisse werden benötigt, zeigte
sich Bundespräsident Heinz Fischer überzeugt.
Zum Schluss dankte Fischer dem Weissen Ring und seinen MitarbeiterInnen, insbesondere den ehrenamtlichen MitarbeiterInnen,
für ihre verdienstvolle Tätigkeit und bat sie, ihren Idealismus, ihre Einsatzbereitschaft und ihr Engagement
aufrecht zu erhalten. Mögen die berechtigten Forderungen des Weißen Ringes Eingang in das Arbeitsprogramm
der neuen Bundesregierung und in die Konzepte der politischen Parteien finden, schloss Bundespräsident Heinz
Fischer.
Bundesministerin Heidrun Silhavy stattete dem Weißen Ring Dank im Namen der Frauen ab. Täglich riefen
30 Personen den Opferruf des Justizministeriums an, zwei Drittel davon seien Frauen. Für viele von ihnen komme
dem Weißen Ring eine besondere Rolle als Clearing- und Begleitungsstelle zu. Damit helfe der Ring mit seiner
Vorgangsweise den Opfern in einem besonders wichtigen Stadium auf besondere Weise.
Vor 30 Jahren seien die ersten Frauenhäuser eingerichtet worden, mittlerweile gebe es ein flächendeckendes
Netz von Gewaltschutzeinrichtungen, man sei also gut aufgestellt und könne Opfer bestmöglich betreuen,
was vor allem auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Weißen Rings zu danken sei.
Gewaltprävention sei von großer Wichtigkeit, doch solange es noch Verbrechen gebe, sei Opferschutz eine
besondere gesellschaftliche Aufgabe. Die Ministerin verwies auf die derzeitigen legistischen Arbeiten, so sei ein
weiteres Opferschutzgesetz in Vorbereitung. Abschließend dankte die Ministerin den Aktivisten des Weißen
Rings für 30 Jahre Engagement und Idealismus.
Sodann wies ein Vertreter des Justizministeriums auf die enge Zusammenarbeit zwischen Ministerium und Weißem
Ring hin und würdigte das verdienstvolle Wirken des Ringes, um weiters aus der aktuellen Arbeit des Ministeriums
zu berichten. Ein Vertreter des Sozialministeriums dankte dem Ring für sein beispielgebendes Wirken und seine
vorbildliche Unterstützung von Opfern. Die Zusammenarbeit zwischen Ministerium und Ring sei gleichfalls vorbildlich
und trage so zur bestmöglichen Unterstützung der Opfer bei, wofür dem Ring zu danken sei. Schließlich
beleuchtete ein Vertreter des Innenministeriums die Thematik aus der Sicht des Ressorts, ehe Jan van Dijk von der
Universität Tilburg die Forschungsschwerpunkte der Viktimologie darlegte. |