WIFO erachtet Entlastungen von 4 bis 6 Mrd. Euro als notwendig
Wien (wifo) - Die dramatische Verschärfung der weltweiten Finanzkrise lässt befürchten,
daß die Konjunktur in Österreich stärker gedämpft wird als bisher angenommen. International
akkordierte Schritte zur Stabilisierung des Finanzsystems müssen durch nationale Maßnahmen ergänzt
werden. Diese sollten nicht auf den Finanzsektor beschränkt bleiben. Das WIFO schlägt vor, die Steuerreform
auch als Instrument der Konjunkturbelebung zu nutzen, und plädiert für einen "großen Wurf",
der über eine Inflationsanpassung des Tarifs hinausgeht. Neben einer massiven Entlastung der Steuerpflichtigen
sind auch Strukturänderungen des Steuersystems notwendig. Als Optionen zur teilweisen Finanzierung einer Entlastung,
die über eine Nettoentlastung von 3 Mrd. Euro hinausgeht, kommen folgende Maßnahmen in Frage: Einsparungen
von Staatsausgaben, die Beseitigung von Ausnahmen sowie die Erschließung neuer Steuerquellen, wenn das Defizit
nicht weiter steigen soll.
Die Bundesregierung hat für die kommende Steuerreform ein Volumen von 3 Mrd. Euro vorgesehen und geplant,
sie ohne Gegenfinanzierung umzusetzen. Es wurden bereits mehrere Maßnahmen beschlossen, die auf diese Steuerreform
angerechnet werden, sodaß insgesamt nur mehr 2,7 Mrd. Euro, davon etwas mehr als 1 1/2 Mrd. Euro für
eine Tarifreform, zur Verfügung stehen. Berechnungen des WIFO zeigen, daß eine Senkung von Lohn- und
Einkommensteuer in diesem Umfang nicht einmal ausreicht, um den realen Einkommensverlust aufgrund der Inflation
von etwa 2 Mrd. Euro seit der letzten Anhebung der Tarifgrenzen auszugleichen. Für eine dringend gebotene
Reform der derzeitig wachstums- und beschäftigungsfeindlichen Struktur des Steuersystems verbleibt damit kein
Spielraum.
Das WIFO plädiert daher für ein größeres Volumen der steuerlichen Entlastung und zeigt
Optionen auf, die eine umfassendere Steuerreform ermöglichen. Einige der vom WIFO zur Diskussion gestellten
Reformoptionen können bereits kurzfristig die Kaufkraft der privaten Haushalte erhöhen und somit den
Inlandskonsum stützen: So bringt die Einführung eines Absetzbetrages auf Sozialversicherungsbeiträge
von 650 Euro für Erwerbstätige und 200 Euro für Pensionsbezieherinnen und Pensionsbezieher bereits
im November für das laufende Jahr eine Entlastung von rund 600 Mio. Euro, wenn er für Jahreseinkommen
bis 25.000 Euro gilt.
Darüber hinaus zeigt das WIFO Möglichkeiten auf, die beschäftigungs- und wachstumshemmende Struktur
des Steuersystems in eine nachhaltige, die Beschäftigung und das Wachstum fördernde Richtung zu verbessern.
Anders als von der Bundesregierung bisher geplant, wird eine Gegenfinanzierung als notwendig erachtet, um substanzielle
positive Effekte auf die Nachfrage, die Beschäftigung und das Wachstums zu bewirken.
Eine über die bisherigen Ansätze hinausgehende Steuerreform sollte folgende Optionen zur Steuerentlastung
berücksichtigen:
- Tarifreform: Zur Vermeidung der "kalten Progression" könnten die Tarifzonen in der Lohn- und
Einkommensteuer an die Verbraucherpreisentwicklung angepasst werden. Gezielte Entlastungen können durch Senkung
der Lohn- und Einkommensteuersätze erreicht werden. Um das untere Drittel der Einkommen zu entlasten, sollten
die Sozialversicherungsabgaben herabgesetzt werden. Die Einführung eines Freibetrags anstelle der Sechstelbesteuerung
bewirkt die Angleichung von Effektiv- und Tarifsatz, ohne daß Personen mit niedrigem Einkommen zusätzlich
belastet werden. Je nachdem, ob einzelne Maßnahmen oder eine Kombination gewählt wird, ist eine jährliche
Entlastung von 2 bis 5 Mrd. Euro möglich.
- Standortförderung: In der Unternehmensbesteuerung könnte die Neutralität der Eigenkapitalaufbringung
gegenüber der Fremdfinanzierung auch durch steuerliche Maßnahmen (z. B. die teilweise Absetzbarkeit
von kalkulatorischen Eigenkapitalzinsen oder die Einschränkung der Absetzbarkeit von Fremdkapital) unterstützt
werden. Die Zusammenführung der arbeitgeberseitigen Lohnnebenkosten zu einer einheitlichen Arbeitgeberabgabe
könnte Einsparungen im Bereich der Lohnverrechnung bis zu 150 Mio. Euro ermöglichen. Eine zusätzliche
Senkung dieser Arbeitgeberabgabe würde den Faktor Arbeit steuerlich entlasten. Eine Maßnahme zur Standortverbesserung
wäre auch die Schaffung einer einheitlichen Unternehmensbesteuerung unabhängig von der Rechtsform. Ein
mutiger Schritt zur Stärkung des Forschungsstandortes Österreich wäre, anstelle mehrerer Instrumente
nur noch eine Forschungsprämie vorzusehen. Deren sachlicher Umfang sollte allerdings erweitert und die Prämie
von 8% auf 12% erhöht werden; das würde im Jahr zwischen 200 und 300 Mio. Euro kosten.
- Familienförderung: Reformen der Familienförderung dürfen nicht dem Ziel der Hebung der Beschäftigung
entgegenstehen und eine Verkürzung der Erwerbstätigkeit nach sich ziehen. Der finanzielle Aufwand für
Kinder könnte durch höhere Absetzbeträge stärker berücksichtigt werden. Die Kosten der
Kinderbetreuung durch Kindergärten oder zertifizierte Tagesmütter könnten durch steuerliche Absetzbarkeit
oder durch Dienstleistungsschecks zusätzlich verringert werden. Betreuungskosten, die Unternehmen tragen,
könnten als Betriebsausgabe gelten und bei den Beschäftigten steuerfrei sein.
Folgende Optionen zur Gegenfinanzierung im Bereich der Steuern würden das Entlastungsvolumen für
den Faktor Arbeit erhöhen:
- Umweltsteuern: Um aus Umweltsteuern zusätzlich 1 Mrd. Euro pro Jahr aufzubringen, schlägt das WIFO
drei alternative Optionen vor: Die Mineralölsteuer auf Treibstoffe könnte um 0,10 Euro je Liter erhöht
werden; eine CO2-Steuer auf fossile Energieträger in der Höhe von 30 Euro je Tonne CO2 könnte eingeführt
werden, wenn gleichzeitig etwa ein Drittel des Steueraufkommens an energieintensive Unternehmen rückvergütet
wird; die Elektrizitätsabgabe könnte von bisher 0,015 Euro je kWh auf 0,0275 Euro je kWh angehoben werden.
Durch Kombination dieser Maßnahmen könnte daßelbe Volumen auch mit niedrigeren Steuersätzen
erzielt werden.
- Grundbesteuerung: Die Grundsteuereinnahmen halten mit der Entwicklung des Immobilienvermögens zu Marktpreisen
nicht Schritt. Zusätzliche Einnahmen von bis zu 1 Mrd. Euro pro Jahr wären zu erzielen, selbst wenn für
Eigenheime, die Land- und Forstwirtschaft und Betriebe großzügige Ausnahmen gewährt werden.
- Besteuerung des Vermögenszuwachses: Im internationalen Vergleich ist der Finanzierungsbeitrag der vermögensbezogenen
Abgaben in Österreich niedrig und hat sinkende Tendenz. Zur Umkehrung dieser Entwicklung scheint es sinnvoll,
realisierte Veräußerungsgewinne zu besteuern. Dabei sollten Veräußerungsverluste innerhalb
der gleichen Einkunftsart gegengerechnet sowie selbst genutztes Wohnungseigentum und Altersvorsorge in angemessenem
Ausmaß ausgenommen werden. Selbst in diesem Fall sind jährliche Einnahmen von 200 Mio. Euro zu erwarten.
- Umsatz- und Verbrauchsteuern: Die Anhebung der Tabaksteuer und der Alkoholsteuern sowie der Besteuerung von
Glückspiel und Glückspielautomaten erhöht für den Staat nicht nur den Einnahmenspielraum zur
Senkung beschäftigungs- und wachstumshemmender Abgaben, sondern verringert auch gesellschaftlich unerwünschte
Begleiterscheinungen des Konsums dieser Güter, sodaß daraus eine doppelte Dividende realisiert wird.
Eine Anhebung der Mengensteuer pro 1.000 Zigaretten von derzeit 26,69 Euro um 20 Euro würde Einnahmen von
etwa 300 bis 500 Mio. Euro jährlich bringen.
- Streichung von Ausnahmen und Begünstigungen: Zahlreiche Ausnahmen und Begünstigungen schmälern
die Steuerbasis. Die Steuerbegünstigung der ersten zehn Überstunden pro Monat oder des Alleinverdienerabsetzbetrags
für Kinderlose sowie die Begünstigung von Stock Options könnten entfallen, um zusätzliche Einnahmen
zu erschließen.
Ein Gegenfinanzierungspotential ergibt sich nicht nur durch die Erhöhung von Steuern oder die Streichung
von steuerlichen Ausnahmen, sondern darüber hinaus durch Vereinfachungen, Steigerung der Effizienz oder den
Abbau von Staatsausgaben und durch Einmaleffekte wie z. B. Privatisierungen.
Das WIFO empfiehlt, eine große Reform anzustreben, die eine deutliche Nettoentlastung und gleichzeitig
eine wachstumsfördernde, beschäftigungsfreundliche und kaufkraftstärkende Abgabenstruktur erreicht.
Es ist Aufgabe der Politik, die genaueren Ziele der Steuerreform festzulegen, ihr Volumen zu bestimmen und aus
den skizzierten Optionen ein konsistentes Gebäude zu erarbeiten.
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