Walter Arlen im Parlament ausgezeichnet   

erstellt am
14. 10. 08

Komponist und Musikkritiker Arlen: Die Kunst hat mich mit Österreich versöhnt
Wien (pk) - Die Überreichung des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich an den 1939 vor den Nazis aus Wien geflohenen, jetzt in Los Angeles lebenden Musikkritiker, Lehrer und Komponisten Walter Arlen am Nachmittag des 13.10. im Parlament gab Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und Bundesministerin Claudia Schmied Gelegenheit, einem großen Österreicher jüdischer Herkunft zu danken, der die Verbindung zu seiner Heimat nie abreißen ließ und große Verdienste als Kritiker, Komponist und Lehrer erwarb, der jungen Menschen die Musik nahebrachte und ihnen ihre Hintergründe erklärte.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer schilderte die dramatische Lebensgeschichte Walter Arlens, würdigte seine großen Leistungen und erinnerte die Festgäste an die Aufführung der "Humorske", einer Komposition Walter Arlens, beim Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 5. Mai 2008. Mit großem Einsatz und viel Verständnis habe Professor Arlen ein junges Orchester mit seiner Musik vertraut gemacht und es auf seinen Auftritt im Hohen Haus vorbereitet. Das Goldene Ehrenzeichen für Professor Walter Arlen sei eine späte Anerkennung für einen großen Österreicher, sagte die Präsidentin, die dem Musiker auch für seine häufigen Besuche in Österreich dankte, "bei denen er vieles von dem wiederbringt, was Österreich damals verloren hat".

"Die Kunst hat mich mit Österreich versöhnt" - mit diesem Satz Walter Arlens leitete Bildungsministerin Claudia Schmied ihre Ansprache ein und unterstrich die Bedeutung der Kunst bei der notwendigen Erinnerung der Vergangenheit. Es sei notwendig, sich immer wieder bewusst zu machen, was in den Jahren zwischen 1938 bis 1945 in Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur geschehen sei. Denn nur so sei die Botschaft wahrer Menschlichkeit an die jungen Menschen glaubwürdig, nur so könne es gelingen, die Verdrängung und den Zwang zu überwinden, die Vergangenheit zu wiederholen, sagte Bundesministerin Schmied. Für Walter Arlen sei die Musik immer eine Brücke zwischen seiner neuen Heimat Los Angeles und seiner alten Heimat Wien gewesen. Für Österreich sei es eine Ehre, dass Walter Arlen das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik annehme, schloss Bundesministerin Schmied.

Mit der Verleihung dieses Ehrenzeichens sah Walter Arlen "einen Kreis der Versöhnung" geschlossen. Das "Bitte komm zurück!" Österreichs sei ihm eine große Freude gewesen, sagte Walter Arlen, der sich vollständig mit seiner Heimat versöhnt zeigte. In sehr persönlichen Worten sprach der Musiker über sein bewegtes Leben, seine Arbeit und seine Familie und gedachte insbesondere seiner Großmutter, die in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager ermordet wurde. Am Schluss seiner Dankesworte wandte sich Walter Arlen mit einer besonderen Bitte an Nationalratspräsidentin Prammer und Bildungsministerin Schmied: Gustav Mahler, der am Grinzinger Friedhof begraben sei, sollte am Wiener Zentralfriedhof, an der Seite Beethovens und Schuberts seine letzte Ruhestätte finden.

Für den musikalischen Rahmen der Feierstunde sorgten Andrea Linsbauer am Flügel und die Sängerin Irene Wallner. Ihre Darbietung der "Shakespeare Sonette" Nr. 1 und 2 für Klavier und Gesang wurden vom Publikum mit viel Beifall bedacht.

Vertreibung, Erfolg und Versöhnung - das Leben Walter Arlens
Wie Nationalratspräsidentin Barbara Prammer ausführte, wurde Walter Arlen am 31. Juli 1920 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Wien geboren. Seine Großeltern hatten 1890 in Ottakring ein Warenhaus mit dem Familiennamen "Dichter" eröffnet, das sich in den dreißiger Jahren zum größten Kaufhaus außerhalb des Gürtels entwickelte. Der hochbegabte Walter Arlen besuchte ein Wiener Gymnasium und verfasste mit zehn Jahren seine ersten Kompositionen. Ende der dreißiger Jahre nahm das Leben des späteren Musikkritikers, Pädagogen und Komponisten eine dramatische Wendung. Nach der Machtergreifung der Nazis im März 1938 drangen SA-Männer in die Wohnung der Familie ein, misshandelten Walter, raubten Schmuck und Geld und verschleppten den Vater ins KZ. Das Kaufhaus "Dichter" wurde bald darauf um ein Drittel seines Wertes an einen Ariseur verkauft.

Im April 1939 floh Walter Arlen Über Großbritannien in die USA. Die anderen Familienmitglieder gelangten mit dem aus dem KZ Buchenwald freigekauften Vater nach Großbritannien, wo die Mutter sich in einem depressiven Anfall das Leben nahm. Erst Ende der vierziger Jahre traf Walter Arlen wieder mit seiner Schwester und seinem Vater in Chikago zusammen. Dort studierte Walter Arlen Orgel bei Leo Sowerby sowie Komposition bei John Vincent und Lukas Foss, schloss Studien am Peabody College und der University of Los Angeles ab, war Assistent bei dem berühmten Kompositionslehrer Roy Harris und arbeitete in der Folge an Universitäten in den USA und in Italien. Als Musikkritiker kooperierte Walter Arlen ab 1952 eng mit Albert Goldberg von der Los Angeles Times. Von 1969 bis 1990 baute Arlen die Musikabteilung der Loyola Marymont University in Los Angeles auf und unterrichtete dort als Professor. Seit 1986 widmet sich Walter Arlen, der heute in Los Angeles lebt, seinen eigenen Kompositionen.

Der Weg der Versöhnung mit der ehemaligen Heimat war für Walter Arlen und seine Schwester Edith Arlen-Wachtel, einer in den USA erfolgreichen Soziologin, steinig. Für das Kaufhaus erhielten die Geschwister von der Republik in den fünfziger Jahren einen Betrag, der gerade die Anwaltskosten ihrer erfolglosen Restitutionsbemühungen abdeckte. Beim Versuch, sich im Jahr 1965 die alte Wiener Wohnung der Familie anzuschauen, sei er "einfach hinausgeworfen worden", erzählte Walter Arlen in einem Zeitungsinterview.

Das Kaufhaus der Familie Dichter war 1945 von einem Arisierungsprofiteur namens Oskar Seidenglanz übernommen und in "Kaufhaus Osei" umbenannt worden. Ab 2005 nutzte die Masc Foundation das Gebäude und rief 2006 die "Sammlung Dichter" ins Leben. Im Jahr 2006 nahmen Walter und Edith Arlen an der Eröffnung des Projekts "Säulen der Erinnerung" teil, mit dem die Künstlergruppe "grundstein" am Ottakringer Yppenplatz, in der Nähe des ehemaligen Kaufhauses "Dichter", mit künstlerisch gestalteten Plakaten die NS-Zeit thematisierte, einen Film über den jüdischen Sportklub Hakoah zeigte und ein Gesprächskonzert mit Kompositionen von Walter Arlen aufführte. Derzeit wird auf dem Grundstück des ehemaligen Kaufhauses ein Wohnhaus errichtet, das den Namen "Dichter Hof" tragen soll. Der Kunst gelang, was die Republik lange verabsäumt hat - die Versöhnung der Geschwister Edith und Walter Arlen mit ihrer Heimat Österreich.
 
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