Wien (öaw) - Mit dem JEM JEOL 2100F hat am Erich-Schmid-Institut für Materialwissenschaft der
ÖAW und dem Department Materialphysik der Montanuniversität Leoben in Leoben das leistungsstärkste
Transmissionselektronenmikroskop Österreichs seinen Betrieb aufgenommen. Das Mikroskop erreicht eine Auflösung
unter 0,14 Nanometer und kann somit Materialien auf Atomebene untersuchen.
Ein Transmissionselektronenmikroskop (TEM) bildet zu untersuchende Proben mit Hilfe von Elektronenstrahlen direkt
ab. Dazu werden Elektronen durch Anlegen hoher Spannung beschleunigt und gerichtet durch die Probe geschickt. Die
Elektronen werden in der Probe gestreut und das dadurch entstandene Bild mit Hilfe der Objektivlinse und weiterer
Linsensysteme millionenfach vergrößert. Die mögliche Auflösung eines TEM wird nicht durch
die Wellenlänge des Elektronenstrahls bestimmt, sondern dadurch wie genau die Linsenfehler der Objektivlinse
korrigiert werden können - vor allem die so genannte sphärische Aberration, die dadurch entsteht, daß
die Elektronenstrahlen in der Linsenmitte schwächer gebrochen werden, als an den Linsenrändern.
Auflösung im Atombereich
Je besser die Linsenfehlerkorrektur, desto genauer die Abbildung. Das neue Gerät für die Materialforschung
in Leoben ist mit einem so genannten Cs-Korrektor ausgestattet. Das ist ein kompliziertes Linsensystem, das die
sphärische Aberration korrigieren kann. "Cs-Korrektoren wurden erst in den letzten Jahren entwickelt
und sorgten für einen Durchbruch in der Erhöhung der möglichen Auflösung", erklärt
der TEM-Experte Zaoli Zhang vom Erich-Schmid-Institut für Materialwissenschaft (ESI) der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Nun lassen sich sogar die Atome verschiedener Elemente in der Abbildung
unterscheiden, was ohne Cs-Korrektor kaum möglich war.
Materialveränderungen live im Detail mitverfolgen
Spezielle Probenhalter ermöglichen Experimente unter großer Hitze und Kälte (von minus
196°C bis plus 1000°C) sowie unter mechanischer Belastung. Integrierte chemische Analyse-Geräte wie
ein Energiefilter für die durch die Probe modifizierte Elektronenstrahlung (Elektronenenergieverlustspektroskopie,
EELS) und ein Röntgenspektrometer für die elementspezifische emittierten Röntgenstrahlung (EDX)
erlauben die simultane Untersuchung lokaler mechanischer und chemischer Eigenschaften des Materials und vor allem
ihrer Veränderungen im Verlauf eines Experiments.
Dadurch können bis ins Detail Veränderungen von Materialen unter Belastung live mitverfolgt werden. Das
ist für die Materialentwicklung ein wesentlicher Punkt: Materialien müssen oft unter extremen Bedingungen
funktionieren, zum Beispiel in Eisenbahnschienen aus hochfestem Stahl die sich aufgrund der starken Belastung durch
Güterzüge im Bereich des Rad-Schiene Kontakts verformen und letztendlich durch Strukturänderungen
(siehe Bild 2 im Anhang) sogar versagen könnten. Ein anderes Beispiel sind Magnesiumlegierungen die aufgrund
der Gewichtseinsparung im Vergleich zu Stahl in der Automobilindustrie eingesetzt werden, und Temperaturbelastungen
von mehreren hundert Grad über viele Jahre ertragen müssen. Durch die Detail-Analyse können die
Forscher genau erkennen, wo die Schwachstellen eines Materials liegen, die behoben werden müssten.
Leistungsstärkstes Mikroskop Österreichs
"Das JEM JEOL 2100F ist das derzeit einzige mit Cs-Korrektor ausgestattete Transmissionselektronenmikroskop
in Österreich", sagt ESI-Direktor Gerhard Dehm. Die Finanzierung des rund 2,1 Millionen Euro teuren Gerätes
erfolgte zum Großteil über die ÖAW und die Montanuniversität Leoben. Weiters halfen bei der
Finanzierung der Europäische Fonds für regionale Entwick lung sowie durch das Institut eingeworbene Forschungsmittel.
Erich-Schmid-Institut für Materialwissenschaft
Das Erich-Schmid-Institut für Materialwissenschaft (ESI) der ÖAW in Leoben beschäftigt sich
mit der Erforschung komplexer Materialien von der Makro- bis zur Nanodimension. Ziel der Forschung am ESI, ist
es ein grundlegendes Verständnis der Werkstoffeigenschaften in Abhängigkeit der Struktur und des Aufbaus
von Materialien zu erhalten. Hierzu werden elektronenmikroskopische Methoden, Röntgen- und Synchrotronverfahren
eingesetzt sowie in-situ Experimente entwickelt, um neue Einblicke in die Entstehung und Wechselwirkung von Materialdefekten
zu erhalten. |