Die Themen: Regierungsbildung, Europafragen, Transit, Energiepolitik
Wien (pk) - Die aktuellen Bemühungen um die Bildung einer neuen Bundesregierung in Österreich
sowie Fragen zur Europa-, Energie- und Transitpolitik standen am Vormittag des 29.10. im Mittelpunkt einer intensiven
Aussprache zwischen Mitgliedern der parlamentarischen Freundschaftsgruppen der Schweiz und Österreichs im
Hohen Haus. Die herzliche Begrüßung der Gäste und die Leitung des einstündigen Gesprächs
oblag Bundesratspräsident Jürgen Weiss, der unisono mit dem Schweizer Delegationsleiter Bruno Frick die
gute Nachbarschaft zwischen den beiden Ländern und deren gute Zusammenarbeit unterstrich. Auf österreichischer
Seite nahmen FPÖ-Klubobmann Hans-Christian Strache, Bundesrat Stefan Schennach (G) sowie die Abgeordneten
Anna Franz (V), Sigisbert Dolinschek (B) und Hermann Krist (S) an der Unterredung teil.
Das spezielle Interesse der Schweizer Parlamentarier galt dem Stand der Regierungsbildung und den Koalitionsverhandlungen
zwischen SPÖ und ÖVP. Bundesratspräsident Weiss sprach von ergebnisoffenen Verhandlungen, in denen
derzeit die Gemeinsamkeiten ausgelotet würden, wobei er nach wie vor gravierende Meinungsverschiedenheiten
in der Frage einer Volksabstimmung über EU-Themen ortete. Abgeordneter Krist (S), der das klare Bekenntnis
seiner Fraktion zu Europa unterstrich, konnte sich nicht vorstellen, dass diese Frage ein unüberbrückbares
Problem bei den Koalitionsverhandlungen darstellen könnte. Für Abgeordneten Hans-Christian Strache (F)
schien eine S-V-Koalition möglich, wobei er es angesichts der globalen Finanzkrise und der drohenden Rezession
für vernünftig hielt, über die Möglichkeit einer Konzentrationsregierung und den Ausbau der
direkten Demokratie nach Schweizer Vorbild nachzudenken. Einem europäischen Bundesstaat erteilte Strache eine
Absage und hielt von daher die Abhaltung einer Volksabstimmung über den Vertrag von Lissabon für geboten,
der in diese Richtung weise. Die Hoffnung auf einen neuen Regierungsstil, den sie mit gutem Willen für realisierbar
hielt, formulierte Abgeordnete Anna Franz (V).
Bundesrat Stefan Schennach (G) nahm wie Hans-Christian Strache an, dass SPÖ und ÖVP sich zu einer neuerlichen
Regierungsarbeit finden werden, wobei auch er sich erleichtert darüber zeigte, dass die Regierung in den nächsten
fünf Jahren keine Zwei-Drittel-Mehrheit haben werde, wodurch es notwendig sei, Reformen gemeinsam mit der
Opposition umzusetzen. Um Entscheidungen über Europafragen nicht von nationalen Tagesverfassungen abhängig
zu machen, bekannte sich Schennach zu europäischen Volksabstimmungen mit doppelter Mehrheit. Dadurch würde
der EU-Verfassungsvertrag lesbarer werden. Mehr Klarheit im Vertrag von Lissabon wünscht sich auch Abgeordneter
Sigisbert Dolinschek (B), der in Österreich eine Bundesstaatsreform für vordringlich hielt.
Auf Dolinscheks Frage nach den Schweizer Anstrengungen zur Bewältigung des Alpentransits berichteten die Eidgenossen
von ihren ambitionierten Tunnelbauten, die bis 2019 fertig gestellt werden und bekundeten angesichts wachsender
Transitvolumina ihr Interesse an einem Ausbau der österreichischen Bahntransitkapazitäten, "damit
die Schweiz wieder mehr Platz für den Transport ihrer eigenen Güter bekommt". Die Realisierbarkeit
der in Diskussion stehenden Alpentransitbörse wurde innerhalb der Schweizer Delegation differenziert gesehen.
Vielfältige Meinungen kamen innerhalb der Schweizer Delegation auch beim Thema Kernkraft zum Ausdruck, das
angesichts des auslaufenden Moratoriums für den Neubau von Kernkraftwerken in der Schweiz derzeit große
Aktualität habe. Lob erntete Österreich für sein Engagement bei den erneuerbaren Energieträgern
- Österreich baue derzeit achtmal mehr Solaranlagen als die Schweiz, erfuhren die österreichischen Parlamentarier. |