Zum 70. Jahrestag des Novemberpogroms  

erstellt am
10. 11. 08

 Prammer eröffnet Gedenkveranstaltung
"Wiederbetätigungsverbot ist Grundpfeiler der zweiten Republik und von großer symbolischer Bedeutung"
Wien (sk) - "In der ersten Hälfte des heurigen Gedenkjahres haben wir Gedenkveranstaltungen absolviert, die an den März 1938 erinnern sollten. Besonders wichtig ist auch die Auseinandersetzung mit dem 9. November und den Tagen danach. Die Gewalttätigkeiten und Erniedrigungen gegenüber Jüdinnen und Juden haben jedoch schon lange, bevor die Wehrmacht die österreichische Grenze überschritten hatte begonnen", führte SPÖ-Nationalratspräsidentin Barbara Prammer am 09.11. bei der von ihr initiierten Gedenkveranstaltung im Parlament aus. Anwesend waren auch der Botschafter des Staates Israel, Dan Ashbel, SPÖ-Staatssekretär Andreas Schieder, die Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofes Brigitte Bierlein, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Ariel Muzicant und sein Generalsekretär Raimund Fastenbauer.

Die Veranstaltung sei in Zusammenarbeit mit der israelitischen Kultusgemeinde, der österreichischen Gesellschaft für Literatur, dem Jüdischen Museum Wiens und dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands entstanden, erklärte Prammer. Themenbezogene literarische Texte wurden von Schauspielerinnen und Schauspielern des Volkstheaters gelesen und Filmausschnitte gezeigt.

Der Antisemitismus sei schon lange vor dem Einzug der Nationalsozialisten in Österreich verankert gewesen. "Manche Österreicherinnen und Österreicher möchten das nicht gerne sehen, aber das ist österreichische Geschichtsrealität", unterstrich Prammer. Sie zitierte den Historiker Saul Friedländer, der von einer Explosion des Sadismus am 9. November 1938 spricht.

"In Wien wurden 42 Synagogen zerstört und in Brand gesetzt, tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden geplündert und beschlagnahmt und über 6.000 Menschen wurden inhaftiert. Von diesen wurden 3.700 in das Konzentrationslager Mauthausen deportiert. Nur wenige haben überlebt. Diese Tätigkeiten der Nationalsozialisten fanden bei vielen Wienern Zustimmung und etliche haben sich auch selbst beteiligt", erklärte die Nationalratspräsidentin.

"Gute Arbeit des Nationalfonds bei Entschädigungszahlungen"
Ein klares Bekenntnis der Republik seien die Entschädigungszahlungen. "Der Nationalfonds hat hier sehr gute Arbeit geleistet. Von den 20.600 gestellten Anträgen seien nur noch 300 Fälle unbearbeitet. In absehbarer Zeit kann es also zu den Endzahlungen kommen", stellt die Nationalratspräsidentin fest. Diese positiven Zeichen einer konstruktiven Aufarbeitung der Geschichte werde jedoch durch Zwischenrufe aus dem rechten Lager gestört. Diese kritisieren das Wiederbetätigungsverbot in Österreich und verlangen teilweise dessen Aufhebung. "Das offizielle Österreich und die Zivilgesellschaft haben hier ein klares Nein als Antwort zu geben", stellte Prammer klar.

Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Ariel Muzicant zeigte sich erfreut, daß "heute über 100 Veranstaltungen in ganz Österreich stattfinden, um dem Pogrom zu gedenken." Er sprach Nationalratspräsidentin Prammer und dem offiziellen Österreich seinen Dank aus und forderte, daß eine klare Trennlinie gezogen werden müsse zwischen der in der Demokratie gewährleisteten freien Meinungsäußerung und Wiederbetätigung im Sinne des Rechtsextremismus. Nationalratspräsidentin Prammer schloss mit einem Zitat von Jean Paul Sartre: "Der Antisemitismus soll nicht zu jener Kategorie von Gedanken gezählt werden, die das Recht auf freie Meinungsäußerung schützt."

 

 Deutsch: Mahnung und Auftrag zugleich!
‚Nie wieder' heißt gleichzeitig auch ‚Wehret den Anfängen'!
Wien (spw) -
70 Jahre sind seit der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 vergangen. Die Novemberpogrome markieren den Beginn der gezielten Auslöschung der jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten. Die Erinnerung an dieses schreckliche Ereignis und eine besonderes dunkle Zeit in der jüngeren österreichischen Geschichte zu bewahren, ist heute wichtiger denn je! "Der Jahrestag ist mit einer wichtigen Mahnung verbunden: Niemals vergessen! Selbstverständlich bedeutet die Erinnerung auch, gegen alle demokratiefeindlichen und rassistischen Tendenzen aktiv aufzutreten! Niemals wieder darf ein Klima aus Hass und Intoleranz entstehen", betonte der Wiener SPÖ-Landesparteisekretär, LAbg. Christian Deutsch.

Die Erinnerung an die Novemberpogrome sei sowohl ein Anlass innezuhalten und sich des antifaschistischen Erbes der Zweiten Republik zu vergewissern, gleichzeitig Auftrag, für demokratische Werte, Humanität, Toleranz und Respekt aktiv und kompromisslos einzutreten und sich für ein friedliches Zusammenleben einzusetzen, so Deutsch, und abschließend: "Vor allem aber muß die Erinnerung lebendig gehalten werden. Das ist Teil unserer Verantwortung vor der Geschichte, die sich aus dem Holocaust ableitet. ‚Nie wieder' heißt gleichzeitig auch ‚Wehret den Anfängen'!"

 

 Spindelegger warnt vor Verharmlosung und Instrumentalisierung
Zweiter Nationalratspräsident: Ehrfurcht und Demut vor den Opfern
Wien (övp-pk) - "Am 9. November vor 70 Jahren wurden Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte zerstört und Juden mißhandelt - nicht irgendwo, sondern im Herzen unseres Landes. Dies war der beschämende Auftakt zu einer historisch beispiellosen Vernichtung von Menschen und ich neige mein Haupt in Ehrfurcht und Demut vor den Opfern dieser Jahre. Nie wieder darf Derartiges in unserem Land passieren." Das sagte anlässlich des 70. Jahrestages des Novemberpogroms der Zweite Nationalratspräsident Dr. Michael Spindelegger, der am 09.11. an der Gedenkfeier der Israelitischen Kultusgemeinde im Wiener Stadttempel teilgenommen hat.

Spindelegger warnte im Vorfeld des Jahrestages vor Verharmlosung des Nationalsozialismus ebenso wie vor dessen politischer Instrumentalisierung: "Es muß einen Konsens aller politischen Parteien geben, alles zu tun, um Derartiges für die Zukunft auszuschließen", so Spindelegger, der daran erinnerte, daß viele Österreicherinnen und Österreicher am Pogrom beteiligt waren: "Die Pogromnacht des Jahres 1938 war keine alleinige Aktion organisierter Nazi-Kommandos. Auch viele Menschen aus der Zivilbevölkerung waren an Übergriffen und Gewalt gegen Juden beteiligt."

Österreich sei in der Unabhängigkeitserklärung nach dem Zweiten Weltkrieg zwar zu Recht als erstes Opfer des Nationalsozialismus bezeichnet worden, was aber nichts daran ändere, "daß unser Volk Verantwortung trägt für all jene, die damals mitgemacht und Schuld auf sich geladen haben", so Spindelegger. "Wir haben hier eine kollektive Verantwortung." Daher gelte es, all jenen entschieden entgegen treten, die die damaligen Ereignisse, in welcher Form auch immer, verharmlosen oder gar schön zu reden versuchen", sagte der Zweite Nationalratspräsident abschließend.

 

 Plassnik: "Pogrom-Gedenken mit klarem Auftrag zu Wachsamkeit"
Außenministerin: Verantwortung für Entwicklung unserer Gesellschaft
Wien (bmeia) - "Die Ereignisse der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gehören zu den beschämendsten unserer Geschichte", erklärte Außenministerin Ursula Plassnik. "In den Novemberpogromen wurden Juden misshandelt, ermordet und in Konzentrationslager deportiert. Im gesamten damaligen Nazi-Reich wurden unzählige Synagogen beschädigt oder zerstört. Diese Untaten stehen für den Übergang von der Diskriminierung und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung zur systematischen Verfolgung mit dem Zivilisationsbruch des Holocaust."

Die Außenministerin erinnerte daran, daß die in der zynischen NS-Diktion "Reichskristallnacht" genannten Pogrome in Österreich von besonderer Härte der Behörden sowie großem Eifer der Kollaborateure und Mitläufer geprägt waren. In dieser Novembernacht wurden allein in Wien 42 Synagogen und Bethäuser verwüstet, 4600 Menschen ins KZ Dachau deportiert.

Plassnik: "Die Erinnerung mahnt uns, wachsam zu sein, den Anfängen zu wehren. Sie mahnt uns auch, das eigene Verhalten immer wieder kritisch zu hinterfragen. Österreicherinnen und Österreicher waren damals Täter, viele haben zugeschaut. Jeder hat Verantwortung für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Wir müssen genau hinschauen und sehen, wo es Diskriminierung gibt, um solchen Tendenzen mit Entschlossenheit, Solidarität und Toleranz gegenüber allen Religionen zu begegnen."

Die Außenministerin weiter: "Wer andere verfolgt oder diskriminiert, der ist auch ein Feind des eigenen Landes. Wir wollen in Österreich, in Europa und in der Welt ein Zusammenleben auf der Grundlage von gegenseitiger Anerkennung, von Toleranz und Respekt. Als Außenministerin und als Europaministerin bemühe ich mich, in Österreich und auf internationaler Ebene jene Institutionen zu stärken, die sich konsequent für die Achtung der Menschenrechte und für die Würde des Einzelnen einsetzen."

Die Außenministerin kündigte an, daß der österreichische Vorsitz der Internationalen Holocaust Task Force (ITF) gemeinsam mit dem OSZE- Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) anlässlich des 70. Jahrestages der Novemberpogrome einen Runden Tisch in der Wiener Hofburg unter dem Titel "Lessons learned? Holocaust remembrance and combating anti-Semitism in 2008" veranstaltet. Staatssekretär Hans Winkler wird am Abend des 10. November an einer Gedenk-Veranstaltung des Europäischen Parlaments teilnehmen.

 

 Glawischnig: "Geschichte Österreichs verpflichtet"
Glawischnig erinnerte daran, dass jüdisches Erbe in Österreich noch immer dem Verfall Preis gegeben wird
Wien (grüne) -
"Der 9. November 1938 ist wohl einer der schwärzesten Tage in der Geschichte Österreichs. Die Novemberpogrome bleiben als grausamer Beginn der systematischen Verfolgung von Österreichs Jüdinnen und Juden in Erinnerung, die kurz darauf in den Holocaust an den europäischen Juden mündete", erklärte die Klubobfrau und geschäftsführende Bundessprecherin der Grünen, Eva Glawischnig.

"Dieser Tag darf 70 Jahre danach nicht zum Symbol entwertet werden, er muss Auftrag an die Republik und an uns alle sein."

"Die geplante, systematische und brutale Zerstörung jüdischen Eigentums und die Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden sollte uns für immer ein Auftrag zu Wachsamkeit sein. Das heißt, wir müssen auch im Jahr 2008 alles daran setzen, dass Rechtsextremismus nicht in der Mitte der Gesellschaft landet, sondern dezidiert keinen Platz hat", so Glawischnig.

Glawischnig erinnerte daran, dass jüdisches Erbe in Österreich noch immer dem Verfall Preis gegeben wird. "Es ist überfällig, sich endlich den verfallenden jüdischen Friedhöfen anzunehmen. Nach dem Washingtoner Abkommen wäre Österreich zur Renovierung und Pflege der Friedhöfe bekanntlich verpflichtet.

Die Grünen fordern seit langem die Umsetzung des Abkommens, denn: "Was bei den Kriegsgräbern möglich ist, muss auch bei den jüdischen Friedhöfen möglich sein", erklärte Glawischnig.

 

Scham über "Unempfindlichkeit" von Christen bei der Pogromnacht
Katholische Aktion Österreich zum 70. Jahrestag der nationalsozialistischen Novemberpogrome von 1938
Wien (kap) - "Mit dem Ausdruck der Scham" hat die Katholische Aktion Österreich (KAÖ) anlässlich des 70. Jahrestages der nationalsozialistischen Reichspogromnacht am 9. November 1938 daran erinnert, "wie unempfindlich Christinnen und Christen in der Vergangenheit gegenüber der Verfolgung jüdischer Menschen und anderer Gruppen waren". Es habe zwar auch Gläubige gegeben, die ihrem Gewissen folgend Mut zum Widerstand fanden, "aber leider zu wenige", heißt es in einer KAÖ-Aussendung am 07.11..

Das Gedenken an diesen "Tag der Schande" sei "umso wichtiger, als auch heute Fremdenhass und Antisemitismus vorkommen, das Asylrecht nicht nur in unserem Land, sondern in ganz Europa immer härter gefasst wird und Politiker die Ängste der Menschen in populistischer, unverantwortlicher Weise für die eigenen Interessen missbrauchen", heißt es in der Aussendung weiter.


Derschmidt: "Sprachliche Vernebelung"
KAÖ-Präsidentin Luitgard Derschmidt kritisierte die in der gegenwärtigen Politik zu beobachtende "Methode der sprachlichen Vernebelung", bei der Dinge nicht direkt ausgesprochen, sondern "schöngefärbt" würden, "um den Menschen Sand in die Augen zu streuen". 1938 seien brutale und entwürdigende Übergriffe auf jüdische Menschen als "Reichskristallnacht" bezeichnet worden. "Heute erlaubt man sich rassistische und menschenverachtende Äußerungen unter dem Deckmantel der sozialen Sorge und spielt so Menschen gegeneinander aus, wertet ab und diskriminiert", so Derschmidt.

Die KAÖ-Präsidentin forderte demgegenüber Toleranz, gegenseitigen Respekt und Nächstenliebe als Wertebasis einer modernen, demokratischen Gesellschaft ein. Dazu könne jeder einzelne einen Beitrag leisten: Die KAÖ rief alle Menschen auf, sich in ihrem Sprachgebrauch und ihrem Handeln "kritisch zu beobachten" und menschenverachtenden Äußerungen anderer öffentlich entgegenzutreten.

Linz: Gedenkgottesdienst der Katholischen Aktion
Mit einem Gottesdienst gedachte die Katholische Aktion der Diözese Linz am Sonntag der Novemberpogrome des Jahres 1938. Bei dem Gottesdienst in der Pfarrkirche zum seligen Marcel Callo (einem französischen Arbeiterjugendlichen, der in Mauthausen ums Leben kam) berichtete die Historikerin Irmgard Aschbauer über die Brandschatzung der Linzer Synagoge. Jüdische Musik des Ensemble "Stark und Frejlach" unter der Leitung von Kurt Edlmair gab dem Gottesdienst eine besondere Note.

In seiner Predigt ging Pfarrer Christian Öhler, geistlicher Assistent der Katholischen Aktion der Diözese Linz, auf die "christliche Judenfeindschaft" in der Geschichte ein. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil habe sich viel verändert: "Die Christen sehen das Judentum endlich als ihre Wurzel". Ein weiterer Schritt sei nun, so Öhler, die Redeweise gegenüber Andersgläubigen sorgfältig zu prüfen. Vor der Linzer Synagoge erinnere eine Granitsäule daran: "Haben wir nicht alle denselben Vater, er hat uns alle geschaffen".

"Die schrecklichen Ereignisse in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938" sind und bleiben eine Mahnung an Kirche und Gesellschaft, aus der Geschichte zu lernen, heißt es in einer Stellungnahme des Vorstands der Katholischen Aktion der Diözese Linz. Wörtlich wird weiter festgestellt: "Im Gedenken an das Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung darf nicht übersehen werden, daß es auch heute noch verschiedenste Formen von Antisemitismus, Intoleranz und Menschenfeindlichkeit gibt. Sündenbock-Theorien und religiöse Vorurteile sowie eine zunehmende Gewaltbereitschaft gefährden den gesellschaftlichen Zusammenhalt".

Grundlegend für jede Gemeinschaft sei die gegenseitige Achtung und Wertschätzung. Diese selbstverständlichen Gebote für menschliches Zusammenleben "wurden im Nationalsozialismus außer Kraft gesetzt". Heute sei es notwendig, sich verstärkt auf ein friedliches Miteinander zu besinnen.

 

Baumpflanzung anlässlich des 70. Jahrestages des Novemberpogroms
Wien (kultusgemeinde) - Zwischen 1938 und 1945 ermordeten die Nationalsozialisten an die 65.000 jüdische Österreicher. Die Israelitische Kultusgemeinde hat daher am Campus der neu eröffneten Zwi-Perez-Chajes Schule einen symbolischen Ort des Gedenkens geschaffen. Am 70. Jahrestag des Novemberpogroms wurden 65 Bäume gepflanzt, die an die Ermordeten erinnern. Ein Baum wird symbolisch für jeweils 1000 Kinder, Frauen und Männer stehen.

Schulen - darunter auch die Zwi-Perez-Chajes Schule - übernahmen die Patenschaft für je einen 'Baum der Erinnerung', den sie anlässlich einer gemeinsamen Gedenkfeier gepflanzt und damit ein Zeichen der Erinnerung an die aus ihren Reihen vertriebenen und ermordeten Mitschüler/innen und Lehrer/innen gesetzt haben.

Die Amtsführende Präsidentin des Stadtschulrates für Wien, Susanne Brandsteidl, hat im Rahmen der Gedenkfeier die Patenschaft für einen 'Baum der Erinnerung' übernommen.
 

Wir übernehmen hier Stellungnahmen aller im Parlament
vertretenen Parteien – sofern vorhanden! Die Redaktion

 
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