Brüssel/Wien (oenb) - Die voranschreitende Integration des Binnenmarktes und intensive grenzüberschreitende
Geschäftsaktivitäten der Banken erfordern, dass die Aufsicht verstärkt „europäisch“ wird. Dies
forderte Gouverneur und Mitglied des EZB-Rates, Univ.-Prof. Dr. Nowotny, beim Belgian Financial Forum.
Das von einigen internationalen Großbanken favorisierte Konzept eines sogenannten „Lead Supervisors“ – die
Benennung einer Aufsichtsbehörde, die für die gesamte Aufsicht einer grenzüberschreitend tätigen
Bankengruppe zuständig ist – ist aus Sicht der OeNB jedoch abzulehnen. Der Lead Supervisor würde v.a.
in einer Fragmentierung des Aufsichtsrahmens und Bankgruppen-spezifischen Sonderlösungen resultieren, die
schlussendlich zu einer Wettbewerbsverzerrung für die Banken selbst führen. Im Ernstfall wäre zudem
auch ein effektives Krisenmanagement erschwert.
Der Gouverneur tritt demgegenüber in einem ersten Schritt für eine weitere Verstärkung der Kooperation
der nationalen Aufsichtsbehörden ein. Die konkrete praktische Zusammenarbeit bei der Aufsichtstätigkeit,
die v.a. im Rahmen von sogenannten „Colleges“ der Aufsichtsbehörden für die einzelnen Bankengruppen stattfindet,
ist hier durchaus noch ausbaufähig. So sollten verstärkt themenbezogen Aufsichtsteams gebildet und die
Aufgabenverteilung noch weiter optimiert werden. Auch die Harmonisierung des Rechtsrahmens wäre parallel dazu
weiter voranzutreiben.
Längerfristig sollte analog zum Europäischen System der Zentralbanken ein dezentral ausgestaltetes Europäisches
Bankenaufsichtssystem errichtet werden. Grundlegende Voraussetzungen dafür sind ein klares politisches Commitment
und wohl auch eine verstärkte politische Integration. Darüber hinaus müsste neben der Lösung
von technischen und rechtlichen Fragen insbesondere auch geregelt werden, wie in einem solchen System Krisenfälle
gelöst werden. Im Sinne einer zielgerichteten Weiterentwicklung der europäischen Bankenaufsichtsarchitektur
sollte daher ein Masterplan entwickelt werden, in dem die einzelnen Vorbereitungsschritte hin zu einem Europäischen
Bankenaufsichtssystem fixiert werden.
Zur aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung meinte der Gouverneur am Rande des Forums, dass er mit einer deutlichen
Abschwächung des Wirtschaftswachstums in Europa rechnet. Die von der Wirtschaftspolitik, Aufsehern und Zentralbanken
gesetzten, sehr substanziellen Maßnahmen, werden jedoch zu einer Stabilisierung der Wirtschaft führen.
Bezüglich der weiteren Inflationsentwicklung zeigte sich Gouverneur Nowotny optimistisch, dass diese tendenziell
zurückgehen wird. In diesem Zusammenhang wies der Gouverneur auf die Anfang Dezember erscheinenden Projektionen
der Experten des Eurosystems hin.
Gouverneur Nowotny verwies weiters auf die Flexibilität des Stabilitäts- und Wachstumspakts, innerhalb
dessen Rahmen eine koordinierte Fiskalpolitik der EU-Mitgliedstaaten zur Abfederung des Wirtschaftsabschwungs beitragen
sollte.
Das rasche Agieren von EU und IWF im Falle von Ungarn habe gezeigt, so Gouverneur Nowotny, dass diese Institutionen
sehr rasch, effektiv und solidarisch Hilfe bereitstellen können. Zusammen mit dem damit verbundenen Maßnahmenkatalog
wird dies zur Stabilisierung der ungarischen Volkswirtschaft beitragen. Die Aufstockung der EU-Zahlungsbilanzhilfe
auf 25 Mrd. Euro – wovon 6,5 Mrd Euro von Ungarn in Anspruch genommen werden, wurde von Gouverneur Nowotny ausdrücklich
begrüßt und eine weitere Aufstockung als präventive Maßnahme in den Raum gestellt.
Univ.-Prof. Dr. Nowotny verwies auch auf den Kohäsionsfonds, der Mittel für die zentral- und osteuropäischen
Mitgliedstaaten zur Verfügung stellt und der bislang nicht ausgeschöpft wird. Eine stärkere Ausschöpfung
würde, zusammen mit den Finanzierungsaktivitäten von EIB und EBRD, notwendige Investitionen unterstützen
und dazu beitragen, die bisherigen Erfolge der Region zu sichern und den weiteren Aufholprozess zu fördern. |