Wien (pr & d) - Daß Österreichs BewohnerInnen sich heute als echte ÖsterreicherInnen
fühlen, haben sie auch einem deutschen Auto zu verdanken: dem VW-Käfer. Dies ist das erste Ergebnis eines
Projektes des Wissenschaftsfonds FWF, das untersucht, inwiefern Konsumgüter die Bildung der österreichischen
Nation beeinflusst haben. Dabei zeigt sich, daß der "Volkswagen" in den entscheidenden Jahrzehnten
der Nationsbildung zum Identifikations- und Integrationsobjekt der ÖsterreicherInnen wurde. In einem nächsten
Schritt wird nun auch der Einfluss von Lebensmitteln auf diesen Prozess untersucht.
Daß der lahmende Autoabsatz in der derzeitigen Finanzkrise das Nationalgefühl der ÖsterreicherInnen
erschüttert, wird wohl kaum Bestätigung finden. Umgekehrt belegt ein Projekt des Instituts für Wirtschafts-
und Sozialgeschichte der Universität Wien zum Thema "Produkte und die Konstruktion der österreichischen
Nation" nun jedoch, daß die starke Präsenz und Verbreitung einer bestimmten Automarke in den Nachkriegsjahrzehnten
wesentlich den Aufbau eines österreichischen Gemeinschafts-Gefühls unterstützt hat.
Diese Leistung hat der deutsche VW-Käfer erbracht. Ein Produkt, das nicht inländisch war und am österreichischen
Markt auch nicht "austrifiziert" wurde, z. B. durch Österreich-betonte Werbung. Der Käfer war
jedoch das erste Auto, das für die breite Masse von ÖsterreicherInnen leistbar war und so einen Großteil
der Bevölkerung in den Prozess der Motorisierung integrierte. Dadurch ergab sich eine kollektive Identifikation
der ÖsterreicherInnen mit "ihrem" Volkswagen, was auch das allgemeine Wir-Gefühl stärkte.
Symbol auf vier Rädern
"Nach dem Krieg wollte sich Österreich zu einer modernen Nation nach westlichem Vorbild aufrüsten
und folgte dabei dem Vorbild der Konsumnation USA. Dabei galt das Auto und insbesondere der PKW als Kollektivsymbol
des gesellschaftlichen und technischen Fortschritts. Autos der breiten Bevölkerungsschicht zugänglich
zu machen, avancierte zu einem Beleg dafür, daß man sich auf dem Weg zu einer Mittelschichtnation mit
gehobener Kaufkraft befand", so Projektleiter Dr. Oliver Kühschelm.
1957 wurde in Österreich mit dem Steyr Puch 500, Modell Fiat, auch ein eigener "Volkswagen", ein
erschwingliches Auto aus heimischer Produktion, auf den Markt gebracht. Als Auto, das speziell auch zur Bewältigung
der alpinen Landschaft geeignet sei, sollte dieses Symbolcharakter für die ganze Nation haben. Das österreichische
Auto schlechthin, der wahre Volkswagen blieb jedoch der Käfer, wie das Projekt aufzeigt: Während der
Steyr Puch 1958, in seinem besten Jahr kurz nach seinem Markteintritt, nur einen Anteil von rund 12 Prozent an
den Neuzulassungen erreichte, hielt der Käfer lange bei einem Fünftel der Neuzulassungen und schaffte
zu seinen besten Zeiten bis zu 27 Prozent.
Deutschalnd – in oder out?
Damit war der VW-Käfer in Österreich mit Abstand der häufigste PKW und wurde durch seine starke
Präsenz auf den Straßen zu einem Symbol für Österreich, wie Dr. Kühschelm erläutert:
"Der Käfer wurde zu einem kollektiven Symbol für den gemeinsamen Autogebrauch der Bevölkerung
sowie den Fortschritt des Landes und unterstützte so maßgeblich den Aufbau des Nationalgefühls.
Gleichzeitig verkörpert er auch die Ambivalenz des österreichischen Nationsbildungsprozesses. Dieser
beruht beim ersten Blick auf einer Distanzierung zu Deutschland, bei näherer Betrachtung mischt sich jedoch
eine markante Wertschätzung für Deutsches darunter."
Im Rahmen des Projektes wurde bisher primär die Bedeutung von Autos untersucht, deren Erwerbung in der Regel
intensive Kaufüberlegungen vorangehen. In einem nächsten Schritt stehen nun auch Nahrungsmittel - relativ
billige Produkte von alltäglicher Notwendigkeit - im Fokus. So wird uns das FWF-Projekt in Zukunft auch wissen
lassen, wie Kaffee von Julius Meinl, Almdudler oder Fast Food von McDonalds das nationale Selbstverständnis
der ÖsterreicherInnen geprägt haben. |