Das Europäische Parlament hat am 19.11. seine Position zur Reform der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik
(so genannter GAP-Gesundheitscheck) bestimmt
Straßburg (europarl) - Im Vorfeld hatte es hitzige Debatten, insbesondere um die Milchquote
und die Reduzierung der Direktbeihilfen für größere Landwirtschaftsbetriebe, gegeben. "Die
GAP ist paradoxerweise die dauerhafteste, wahrscheinlich die erfolgreichste und sicher die am meisten kritisierte
aller europäischen Politiken", so Berichterstatter Luis Manuel CAPOULAS SANTOS (SPE, Portugal). Die vielen
Änderungen und Diskussionen verdeutlichen die Unterschiedlichkeit der Situationen, in denen sich europäische
Landwirte befinden.
Die Kommission hat Änderungen in drei wesentlichen Bereichen vorgeschlagen: Die Direktbeihilferegelung soll
für die Landwirte einfacher und effizienter gestaltet werden. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten
ihre Durchführungsmodelle ändern und in stärkerem Maße pauschale Beihilfebeträge anwenden.
Im Rahmen von Marktinstrumenten soll die Intervention, d.h. der öffentliche Ankauf von Erzeugungsüberschüssen,
ihre ursprüngliche Funktion als echtes Sicherheitsnetz zurückerhalten. Die Stilllegungsverpflichtung
wird abgeschafft und die Milchquoten laufen 2015 aus. Um den Erzeugern den Übergang zu erleichtern, sollen
die Quoten bis dahin schrittweise angehoben werden.
Zur Entwicklung des ländlichen Raums sollen die Direktzahlungen für die ländliche Entwicklung um
8 % erhöht werden.
Kürzung der Direktbeihilfen
Insbesondere die Reduzierung der Direktbeihilfen für größere Landwirtschaftsbetriebe zur
Finanzierung einer neuen Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums ("Modulation") war Inhalt
von kontroversen Diskussionen.
Der gefundene Kompromiss sieht vor, alle einem Betriebsinhaber in einem Kalenderjahr zu gewährenden Direktzahlungen,
die 10 000 Euro überschreiten, jedes Jahr bis 2012 um folgende Prozentsätze zu kürzen: 2009 und
2010 jeweils um 6 % sowie 2011 und 2012 um jeweils 7 %. Die Freigrenze von 10 000 Euro bewirke eine Entlastung
der mittelgroßen Familienbetriebe, so die Begründung.
Die Beträge, die sich aus der Anwendung der Kürzungen ergeben, werden folgendermaßen angehoben:
Beträge zwischen 100 000 und 199 999 Euro um 1 Prozent, Beträge zwischen 200 000 und 299 999 Euro
um 2 Prozent sowie Beträge von 300 000 Euro oder darüber um 3 Prozent.
Den Mitgliedstaaten soll mehr Flexibilität bei der Vergabe von nationalen Beihilfen für Landwirte eingeräumt
werden, denn: "Es wäre unangemessen, die Mitgliedstaaten dazu zu zwingen, ihre Programme zur Entwicklung
des ländlichen Raums anzupassen, falls sie den neuen Herausforderungen bereits entsprechend begegnen".
Anhebung der Milchquote um 1 % während der kommenden Jahre
Die Reform des Milchsektors ist einer der heikelsten Aspekte des Gesundheitschecks und führt aufgrund der
enormen Unterschiede bei den Produktionsbedingungen auf dem gesamten Gebiet der Union zu höchst unterschiedlichen
Positionen.
Die Anhebung der Milchquote führte somit zu kontroversen Debatten. Das Parlament folgte jedoch den Plänen
der Kommission: die Milchquote wird demnach um 1 % während der kommenden Jahre erhöht werden.
Die Mitgliedstaaten können allerdings befristete Quotenerhöhungen aufgrund unvollständiger Nutzung
der Milchquoten in anderen Mitgliedstaaten beantragen, sofern sie nachweisen können, dass es für ihren
Milchmarkt nach den Grundregeln voraussichtlich keine "sanfte Landung" geben wird.
Dazu berechnet die Kommission alljährlich die Menge der nicht genutzten Milchquoten. Die Kommission prüft
etwaige Anträge der Mitgliedstaaten auf zusätzliche Quotenerhöhungen und legt einen Vorschlag für
die befristete Zuteilung von Produktionsquoten zu Beginn jedes Wirtschaftsjahres vor.
Diese befristeten Quoten in einem bestimmten Wirtschaftsjahr müssen jedoch stets unter der Menge der in dem
vorhergehenden Wirtschaftsjahr nicht genutzten Quoten liegen
Milchfonds und Bericht über Lage auf dem Milchmarkt 2010
Die Gesamteinnahmen aus Zahlungen der Zusatzabgabe an die Union sowie die eingesparten Mittel aus dem Agrarhaushalt
sollten in den Milchfonds fließen, um Begleitmaßnahmen im Milchsektor gestalten zu können.
Vor dem 31. Dezember 2010 legt die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über
die Lage auf dem Milchmarkt vor. In dem Bericht wird zugleich die Effizienz der Verwaltungssysteme der Mitgliedstaaten
im Rahmen der Liberalisierung der Quotenregelung untersucht. Zusammen mit dem Bericht legt die Kommission gegebenenfalls
geeignete Vorschläge vor.
Besondere Unterstützungen
EU-Mitgliedstaaten sollen bis spätestens zum 1. Januar 2010 und danach im Zeitraum vom 1. Oktober 2011 bis
spätestens zum 1. Januar 2012 beschließen können, bis zu 15 % ihrer genannten nationalen Obergrenzen
zu nutzen, um gewisse Betriebsinhaber zu unterstützen. Hierbei handelt es sich um besondere Formen der landwirtschaftlichen
Tätigkeit, die dem Schutz und der Verbesserung der Umwelt dienen oder um Unterstützungen, um besonderen
Nachteilen zu begegnen, denen sich Betriebsinhaber in den Sektoren Milcherzeugnisse, Rindfleisch, Schaf- und Ziegenfleisch
sowie Reis in wirtschaftlich schwachen oder umweltgefährdeten Gebieten gegenüber sehen.
Die Mitgliedstaaten können bis zu 5 % ihrer Obergrenzen nutzen, um den Betriebsinhabern eine Stütze in
Form von Beiträgen zu Versicherungsprämien oder Fonds zu gewähren.
Neue Herausforderungen
Beim Gesundheitscheck geht es nicht um eine "Neuerfindung" der Gemeinsamen Agrarpolitik, er ist
vielmehr ein Versuch, diese Politik zu rationalisieren und zu modernisieren.
Das Parlament unterstützt die Analyse der Kommission, was die Notwendigkeit betrifft, neue Herausforderungen,
insbesondere in Bezug auf den Klimawandel, erneuerbare Energien, Wassermanagement und Schutz der Artenvielfalt
einzubeziehen. Jedoch solle den Mitgliedsstaaten mehr Flexibilität zugestanden werden. Ferner werden zusätzliche
Maßnahmen in den Bereichen Solar- und Windenergie sowie Erdwärme vorgeschlagen.
Beiträge deutschsprachiger Abgeordneter in der Debatte:
Markus PIEPER (CDU) verlangte, kleinere Betriebe von den zusätzlichen Mittelkürzungen stärker auszunehmen.
Es gehe darum, den Betrieben auf dem Weg in die Marktwirtschaft Planungssicherheit zu geben. Gerade die kleineren
Betriebe hätten mit den Marktturbulenzen der letzten Monate extrem zu kämpfen. "Uns muss hier der
Fehler im System bewusst werden. Wir können doch den Milchbauern einerseits nicht die Prämien kürzen
und dann den so finanzierten Milchfonds als Rettung anpreisen", so Pieper.
Es sei wichtig, dass alle Modulationsmittel in der Region verbleiben und unabhängig von Betriebsgröße
und Rechtsform zur Anwendung kommen, betonte Lutz GOEPEL (CDU). Mehr Flexibilität hieße mehr Möglichkeiten
zur Einführung weiterer Entkoppelung, Debatten hätten jedoch gezeigt, dass dies nicht in allen Bereichen
sinnvoll sei. "Neue Herausforderungen, die stärkere globale Beweglichkeit der Märkte, erfordert
neue flexible Instrumente". Hinsichtlich der Milchquote sei eine EU-weite Einführung von Investitionsförderungen
für Milchbauern nicht zu verachten, da dies den Kaufdruck auf die Betriebe entschärfe, so Goepel.
Friedrich-Wilhelm GRAEFE ZU BARINGDORF (Die Grünen) kritisierte, der Vorschlag der Kommission sei ein "lauwarmer
Vorschlag" und habe mit der aufgestellten Diagnose nichts zu tun. Die wichtigen Punkte Wasser, Klima, genetische
Vielfalt, regenerative Energien und Milch müssten bedient werden, jedoch sei die vorgeschlagene Therapie "geradezu
lächerlich". Im Milchsektor würde die Milch überlaufen und die Preise seien "katastrophal
gefallen". Es sei sinnvoller, erst dann über die Milch zu entscheiden, wenn eine Analyse des Marktes
vorliege.
Die gründliche Überprüfung der GAP sei keine grundlegende Reform, sondern ein weiterer wichtiger
Schritt zur Sicherung einer modernen, multifunktionalen und wettbewerbsfähigen Agrarpolitik, so Agnes SCHIERHUBER
(ÖVP). Das "soft landing" hinsichtlich des Ausstiegs aus der Milchquote sei ein wichtiger Aspekt,
eine Anhebung der Milchquote sei jedoch problematisch: "In einer Zeit, in der wir diesen hohen Milchüberschuss
haben, sollten wir vorsichtig sein", so Schierhuber. Wer den Lebensmittelpreis als Begründung für
eine Quotenaufstockung anführt, übersehe, dass die Verkaufspreise die gleichen wie vor 25 Jahren seien.
Elisabeth JEGGLE (CDU) sagte, die EU habe eine Verantwortung für 500 Millionen Verbraucher, für Landwirte
und für Betriebe. Sie bedankte sich bei der Kommission für die positiven Signale hinsichtlich der Einführung
eines Milchfonds. Sie sei der festen Überzeugung, "dass wir mit diesem Instrument helfen können".
Zwar sei sie mit dem Kompromiss nicht glücklich, könne jedoch "damit leben, weil der größte
Schaden von unseren Bauern abgewendet werden könnte, wenn wir die Direktzahlungen nicht so kürzen, wie
es die Vorschläge der Kommission vorsehen", so Astrid LULLING (EVP-ED, Luxemburg). Die Kürzungen
sollten so niedrig wie möglich ausfallen. Sie sprach sich zudem dafür aus, dass Gelder in einen Milchfonds
fließen sollen. |