Parlament: Menschen mit Lernbehinderung präsentieren Anliegen   

erstellt am
02. 12. 08

Demokratiewerkstatt lud Betroffene zu Spezialworkshops ein
Wien (pk) - Behinderte Menschen sind ExpertInnen in eigener Sache und sollen daher miteinbezogen werden, wenn darüber nachgedacht wird, wie ihre Lebenssituation verbessert werden kann. Dieser Überlegung folgend veranstaltete die Demokratiewerkstatt des Parlaments in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Komitee für Soziale Arbeit (ÖKSA) Spezialworkshops für lernbehinderte Menschen, in denen sich die Betroffenen mit dem Thema Diskriminierung auseinandersetzten und Anliegen an die Politik formulierten. Die Ergebnisse dieser Workshops – drei Videobeiträge, ein Radiobeitrag und eine Zeitung – wurden am 01.12. anlässlich des internationalen Tages der Menschen mit Behinderung, auf Einladung des scheidenden Zweiten Nationalratspräsidenten Michael Spindelegger im Parlament präsentiert.

Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr, rollstuhlfreundliche Fahrkartenautomaten, längere Grünphasen bei Fußgängerampeln, eine einheitliche Urlaubsregelung in den Behinderten-Werkstätten, größere Schriften, eine Rechtsbasis für Werkstätten- und Wohnräte und vor allem auch weniger Beleidigungen und Beschimpfungen auf der Straße, dafür mehr Freundlichkeit, das sind einige der Wünsche, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Workshops äußerten. Sie würden aber etwa auch gerne mitbestimmen, wenn neue BetreuerInnen aufgenommen werden, die sie bei der Bewältigung ihres Alltags unterstützen. Gut sei, dass sich seine Wohnung und sein Arbeitsplatz nicht am gleichen Ort befinden, meinte ein Teilnehmer, denn "auch Menschen mit Behinderung haben ein Recht, die Welt kennenzulernen".

Erika Stubenvoll, Vizepräsidentin des ÖKSA, hob bei der Eröffnung der Workshop-Präsentation die Notwendigkeit hervor, die Mitbestimmungsmöglichkeiten von Menschen mit Lernbehinderung zu stärken. Es gebe zwar viele Fortschritte im Umgang mit behinderten Menschen, meinte sie, man müsse aber noch viel lernen und viel verbessern. Noch immer werde häufig von anderen über Menschen mit Lernbehinderung entschieden. Als eine Möglichkeit für Betroffene, sich aktiv einzubringen, führte sie die im Rahmen des ÖKSA eingerichtete "Plattform intellektuelle Behinderung" an.

In Richtung der anwesenden PolitikerInnen äußerte Stubenvoll die Hoffnung, dass die heute von den WorkshopteilnehmerInnen präsentierten Anliegen offene Ohren finden. Es sei Aufgabe der Politik, die Rechte und Wünsche von Menschen mit Lernbehinderung zu berücksichtigen, bekräftigte sie.

Elisabeth Schindler-Müller, Leiterin der Demokratiewerkstatt, berichtete, dass die Initiative für die Spezialworkshops vom ehemaligen Behindertensprecher der ÖVP im Nationalrat, Franz-Joseph Huainigg, mit Unterstützung von SPÖ-Behindertensprecherin Christine Lapp, ausgegangen sei. Je eine Gruppe der "Lebenshilfe Österreich" und von "Jugend am Werk", insgesamt 31 Personen, haben an den ersten Workshops teilgenommen. Neben Huainigg und Lapp standen dabei auch die ehemalige Grün-Abgeordnete Theresia Haidlmayr (G) und Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (B) sowie Behindertenanwalt Herbert Haupt als ExpertInnen für Fragen zur Verfügung.

Präsentiert wurden die Workshopergebnisse heute von Josef Blaha, Judit Marte, Oswald Föllerer, Jürgen Ceplak, Thomas Weissenbacher und Tobias Buchner. "Es sollen nicht Professionalisten ständig sagen, was gut für uns ist", mahnte dabei Thomas Weissenbacher von Vienna People First ein, er führte auch als Moderator durch die Veranstaltung.

Im Rahmen der Demokratiewerkstatt-Workshops haben die TeilnehmerInnen unter anderem die eingeladenen Abgeordneten und den Behindertenanwalt interviewt und Passanten befragt, welche Erfahrungen sie mit der Diskriminierung von behinderten Menschen haben und was sie vom Behindertengleichstellungsgesetz halten. Das Problem sei, dass die Arbeit in Behindertenwerkstätten als Therapie eingestuft werde, skizzierte dabei etwa Huainigg, dadurch würden unter anderem keine Pensionsansprüche erworben. Der von Haidlmayr und Lapp erhobenen Forderung nach einer sozialversicherungsrechtlichen Absicherung für alle brachten die WorkshopteilnehmerInnen allerdings eine gewisse Skepsis entgegen, was die Praktikabilität dieser Maßnahme betrifft.

Seit Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes im Jahr 2006 können sich Behinderte bei einer vermeintlichen Diskriminierung an das Bundessozialamt wenden. Dieses setzt, wie Huainigg erläuterte, zunächst ein Schlichtungsverfahren in Gang und versucht unter Einbeziehung beider Seiten, das Problem zu lösen. Auch Schadenersatzzahlungen sind möglich. Behindertenanwalt Haupt berichtete, rund die Hälfte der an ihn herangetragenen Fälle betreffe Diskriminierung am Arbeitsplatz, es gebe aber auch zahlreiche Beschwerden über physische Barrieren, ein zu geringes Angebot an TV-Sendungen für gehörlose Menschen und über nicht behindertengerechte Internetseiten.
     
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