Demokratiewerkstatt lud Betroffene zu Spezialworkshops ein
Wien (pk) - Behinderte Menschen sind ExpertInnen in eigener Sache und sollen daher miteinbezogen
werden, wenn darüber nachgedacht wird, wie ihre Lebenssituation verbessert werden kann. Dieser Überlegung
folgend veranstaltete die Demokratiewerkstatt des Parlaments in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Komitee
für Soziale Arbeit (ÖKSA) Spezialworkshops für lernbehinderte Menschen, in denen sich die Betroffenen
mit dem Thema Diskriminierung auseinandersetzten und Anliegen an die Politik formulierten. Die Ergebnisse dieser
Workshops – drei Videobeiträge, ein Radiobeitrag und eine Zeitung – wurden am 01.12. anlässlich des internationalen
Tages der Menschen mit Behinderung, auf Einladung des scheidenden Zweiten Nationalratspräsidenten Michael
Spindelegger im Parlament präsentiert.
Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr, rollstuhlfreundliche Fahrkartenautomaten, längere Grünphasen
bei Fußgängerampeln, eine einheitliche Urlaubsregelung in den Behinderten-Werkstätten, größere
Schriften, eine Rechtsbasis für Werkstätten- und Wohnräte und vor allem auch weniger Beleidigungen
und Beschimpfungen auf der Straße, dafür mehr Freundlichkeit, das sind einige der Wünsche, die
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Workshops äußerten. Sie würden aber etwa auch gerne mitbestimmen,
wenn neue BetreuerInnen aufgenommen werden, die sie bei der Bewältigung ihres Alltags unterstützen. Gut
sei, dass sich seine Wohnung und sein Arbeitsplatz nicht am gleichen Ort befinden, meinte ein Teilnehmer, denn
"auch Menschen mit Behinderung haben ein Recht, die Welt kennenzulernen".
Erika Stubenvoll, Vizepräsidentin des ÖKSA, hob bei der Eröffnung der Workshop-Präsentation
die Notwendigkeit hervor, die Mitbestimmungsmöglichkeiten von Menschen mit Lernbehinderung zu stärken.
Es gebe zwar viele Fortschritte im Umgang mit behinderten Menschen, meinte sie, man müsse aber noch viel lernen
und viel verbessern. Noch immer werde häufig von anderen über Menschen mit Lernbehinderung entschieden.
Als eine Möglichkeit für Betroffene, sich aktiv einzubringen, führte sie die im Rahmen des ÖKSA
eingerichtete "Plattform intellektuelle Behinderung" an.
In Richtung der anwesenden PolitikerInnen äußerte Stubenvoll die Hoffnung, dass die heute von den WorkshopteilnehmerInnen
präsentierten Anliegen offene Ohren finden. Es sei Aufgabe der Politik, die Rechte und Wünsche von Menschen
mit Lernbehinderung zu berücksichtigen, bekräftigte sie.
Elisabeth Schindler-Müller, Leiterin der Demokratiewerkstatt, berichtete, dass die Initiative für die
Spezialworkshops vom ehemaligen Behindertensprecher der ÖVP im Nationalrat, Franz-Joseph Huainigg, mit Unterstützung
von SPÖ-Behindertensprecherin Christine Lapp, ausgegangen sei. Je eine Gruppe der "Lebenshilfe Österreich"
und von "Jugend am Werk", insgesamt 31 Personen, haben an den ersten Workshops teilgenommen. Neben Huainigg
und Lapp standen dabei auch die ehemalige Grün-Abgeordnete Theresia Haidlmayr (G) und Abgeordneter Sigisbert
Dolinschek (B) sowie Behindertenanwalt Herbert Haupt als ExpertInnen für Fragen zur Verfügung.
Präsentiert wurden die Workshopergebnisse heute von Josef Blaha, Judit Marte, Oswald Föllerer, Jürgen
Ceplak, Thomas Weissenbacher und Tobias Buchner. "Es sollen nicht Professionalisten ständig sagen, was
gut für uns ist", mahnte dabei Thomas Weissenbacher von Vienna People First ein, er führte auch
als Moderator durch die Veranstaltung.
Im Rahmen der Demokratiewerkstatt-Workshops haben die TeilnehmerInnen unter anderem die eingeladenen Abgeordneten
und den Behindertenanwalt interviewt und Passanten befragt, welche Erfahrungen sie mit der Diskriminierung von
behinderten Menschen haben und was sie vom Behindertengleichstellungsgesetz halten. Das Problem sei, dass die Arbeit
in Behindertenwerkstätten als Therapie eingestuft werde, skizzierte dabei etwa Huainigg, dadurch würden
unter anderem keine Pensionsansprüche erworben. Der von Haidlmayr und Lapp erhobenen Forderung nach einer
sozialversicherungsrechtlichen Absicherung für alle brachten die WorkshopteilnehmerInnen allerdings eine gewisse
Skepsis entgegen, was die Praktikabilität dieser Maßnahme betrifft.
Seit Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes im Jahr 2006 können sich Behinderte bei einer vermeintlichen
Diskriminierung an das Bundessozialamt wenden. Dieses setzt, wie Huainigg erläuterte, zunächst ein Schlichtungsverfahren
in Gang und versucht unter Einbeziehung beider Seiten, das Problem zu lösen. Auch Schadenersatzzahlungen sind
möglich. Behindertenanwalt Haupt berichtete, rund die Hälfte der an ihn herangetragenen Fälle betreffe
Diskriminierung am Arbeitsplatz, es gebe aber auch zahlreiche Beschwerden über physische Barrieren, ein zu
geringes Angebot an TV-Sendungen für gehörlose Menschen und über nicht behindertengerechte Internetseiten. |