Tätigkeitsprogramm des tschechischen EU-Vorsitzes   

erstellt am
15. 01. 09

Prag (europarl) - Der tschechische Regierungschef Mirek Topolánek hat am 14.01. im Europäischen Parlament die Prioritäten des tschechischen Ratsvorsitzes vorgestellt. Vor allem der Themen Wirtschaft, Energie und Rolle Europas in der Welt wolle sich Tschechien annehmen. "Wir werden uns während dieser Ratspräsidentschaft schwierigen und wichtigen Herausforderungen stellen müssen". Tschechien werde Prioritäten setzen, die nicht nur tschechische Interessen, sondern die aller EU-Länder widerspiegele, so Topolánek

Eine Ratspräsidentschaft sei "eine besondere Herausforderung", sagte der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert PÖTTERING. Nach Slowenien sei dies nun die zweite Präsidentschaft eines der Länder, die der Union 2004 beigetreten sind. "Ein Land mit der politischen Erfahrung des Kommunismus wird nun Repräsentant der Europäischen Union." Tschechien habe die volle Unterstützung des Europäischen Parlaments, man wolle alles tun, damit es eine erfolgreiche Präsidentschaft werde.

Die tschechische Republik habe die Ratspräsidentschaft von Frankreich übernommen, "für uns ist das mehr als symbolisch", so der tschechische Premierminister Mirek TOPOLÁNEK. Manche würden ein zweites seelenloses, technokratisches und bürokratisches Europa sehen. Er jedoch bevorzuge das "erste Europa", ein Europa der Freiheiten, Rechte und der Regeln. Die EU sei ein Werteuniversum, und die Größe der Mitgliedsstaaten spiele keine Rolle; was zähle sei die Fähigkeit, einer gemeinsamen Idee zu dienen.

"Ich stehe hier nicht als tschechischer Ministerpräsident, sondern als Präsident des Rates", so Topolánek, in den nächsten sechs Monaten wolle er nicht seine eigenen Ideen vertreten, sondern versuchen, einen Konsens zu erarbeiten. Er persönlich halte den rein tschechischen Ansatz für nicht wichtig, denn "die tschechische Frage sei eine europäische Frage", genauso wie die tschechische Entwicklung im Einklang mit der Entwicklung aller europäischen Nationen geschehen sei.

Drei Hauptbereiche
Die drei Hauptbereiche der Präsidentschaft seien Wirtschaft, Energie und die Integration in der Welt. "Im Tschechischen stehen für diese drei Themen drei "E", sagte Topolánek. Nun seien noch zwei neue Prioritäten hinzugekommen: "Nämlich 'Gas' und 'Gaza'". Im Tschechischen stehe "E" für Energie und "G" für Gravitationsbeschleunigung - "gemeinsam ergibt das eine ziemlich große Belastung für ein unerfahrenes Organ", stellte Topolánek fest. Doch innerhalb der Verhandlungen mit der Ukraine und Russland und auch im Rahmen der europäischen Delegationen, die humanitäre Korridore im nahen Osten einrichten konnten, habe man bereits Erfolge verzeichnen können.

"Wir werden uns während dieser Ratspräsidentschaft schwierigen und wichtigen Herausforderungen stellen müssen", sagte Topolánek. Insbesondere die Situationen im Nahen Osten und in Georgien, sowie die Energiesicherheit seien von großer Bedeutung. "Und weitere Überraschungen sind nie ausgeschlossen", so der tschechische Premierminister. "Wir müssen Prioritäten setzen, die nicht nur tschechische Interessen, sondern die aller EU-Länder widerspiegeln."

Energiesicherheit
Als ehemaliges Land des Ostblocks könne Tschechien insofern einen Beitrag leisten, als es verstehe, wie wichtig die Energiesicherheit, insbesondere in Sachen Erdgas sei. "Es ist wichtig, dass wir von gewissen Ländern unabhängig sind", sagte Topolánek.

Im Hinblick auf die Priorität Energie sei es dringend notwendig, dass ein besserer Energiemix in der EU durchgesetzt werde. Man müsse ernsthaft überlegen, wie die Infrastruktur verbessert werden könne, um einen nachhaltigen Erdgasmarkt für Europa zu schaffen.

Die Energiefrage stehe bei den drei Präsidentschaften von Frankreich, der tschechischen Republik und Schwedens ganz weit oben. Auch lasse sich diese nicht von Fragen der Klimaschutzpolitik trennen.

Internationale Politik
International müsse Europa sich für den Ausbau der Infrastruktur in Palästina einsetzen; Frieden sei nicht ohne gegenseitiges Vertrauen und ohne dass Palästina als Staat akzeptiert werde, möglich.

Zudem dürften die dramatischen Ereignisse im Gaza-Streifen nicht davon ablenken, dass auch die Beziehungen zu Israel verbessert und verstärkt werden müssten. Generell müssten die transatlantischen Beziehungen gestärkt werden, "nur so kann die EU sich zu einem starken global player entwickeln", so Topolánek. Er denke dabei insbesondere an einen intensiven Dialog mit der neuen US-Regierung, vor allem in Sachen Energie und Klima.

Auch sei die EU hinsichtlich der Situation in Georgien sehr wichtig; man benötige eine Strategie für diese Region, und auch die Zusammenarbeit mit der Region des Kaukasus sei notwendig.

Priorität "Wirtschaft"

Hinsichtlich der Priorität "Wirtschaft" müsse die EU Offenheit gegenüber der Weltwirtschaft zeigen. Die aktuelle Krise sei keine Niederlage des Kapitalismus, sondern das Ergebnis von Fehlern und mangelnder Aufsicht. "Nur eine wirtschaftlich starke und einflussreiche EU kann diese Fragen auch wirklich lösen".

Auch die Umsetzung der vier Freizügigkeiten sei eine Priorität für die tschechische Präsidentschaft. Er wolle dem noch eine fünfte Freizügigkeit hinzufügen: "Wissen". Man müsse in Bildung und Forschung investieren. Tschechien schließe sich in dieser Hinsicht der Meinung von Martin Schulz an: "Europa kann nicht in Sachen Niedriglöhne mithalten, aber es bietet kompetente Arbeitnehmer, die ein hohes Fachwissen besitzen."

Zusammenarbeit mit östlichen Nachbarn

Tschechien habe zudem eine moralische Verpflichtung, die Beziehungen zu Nicht-EU-Staaten zu verbessern: "So wie Frankreich in Richtung Mittelmeer gearbeitet hat will Tschechien enger mit den östlichen Nachbarländern zusammenarbeiten." Auch habe die tschechische Republik bereits in den 90er Jahren eine Bankenkrise überstanden. Mit den darauf gewonnen Erfahrungen und dem entsprechenden Know-how könne man nun zur Bewältigung der Krise beitragen.

Das Motto der Präsidentschaft laute: "Ein Europa ohne Grenzen", er wolle dem ein weiteres Motto hinzufügen, nämlich: "Europa der Regeln": "Nur ein Europa, das das Meiste aus seinem wirtschaftlichen und kulturellen Potential macht, kann im politischen und wirtschaftlichen Wettbewerb mithalten". Damit dieses Potential voll entwickelt werden könne, müssten interne Hürden abgeschafft werden.

EU-Kommissionspräsident José Manuel BARROSO erklärte, Europa werde in den kommenden Monaten auf die Probe gestellt. Insbesondere im Vorfeld der Europawahlen sei es erforderlich, den Bürgern zu zeigen, dass die Europäische Union unerlässlich sei und einen positiven Unterschied mache. Der Vertrag von Lissabon, der zu mehr Effizienz in der EU beitragen solle, werde heute mehr denn je benötigt. Mit der bewiesenen Entschlossenheit bezüglich des Klimapakets, der Finanzkrise und den damit verbundenen Maßnahmen zur Stimulierung der Wirtschaft habe Europa gezeigt, dass es sich erfolgreich an die globalen Veränderungen anpassen könne.

Die Europäische Union müsse jetzt auf die prekäre Energiesituation reagieren und Vorschläge zur Verbesserung der Energiestruktur liefern. Die derzeitige Situation im russisch-ukrainischen Gasstreit sei inakzeptabel und zeige, dass die beiden Staaten nicht in der Lage seien, ihre Verantwortung gegenüber den europäischen Partnern einzuhalten.

Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen
Joseph DAUL (EVP-ED, Frankreich) sagte, kaum sei die tschechische Präsidentschaft im Amt, werde sie mit den Problemen in Gaza und mit dem Gasstreit konfrontiert. Er begrüßte das geschlossene Auftreten Tschechiens und der EU-Kommission. "Wir können es nicht akzeptieren, im Gasstreit als Geisel genommen zu werden und müssen energisch auftreten", betonte Daul. Es sei jetzt notwendig, "an einem Strang" zu ziehe; man müsse überlegen, wie man die bestehende Abhängigkeit verringern könnte. Hierfür sei insbesondere ein guter Energiemix notwendig.

In Gaza sei "die humanitäre Schiene" allein nicht ausreichend. Man müsse mehr politische Entschlossenheit zeigen, um auf internationaler Ebene als politischer Akteur auftreten zu können. Die EU-Außenpolitik müsse mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Auch die Bürger erwarteten von Europa, dass es mit Blick auf die Beziehungen zu Russland und den USA sowie der Lage im Nahen Osten, Position beziehe.

Martin SCHULZ (SPD) sagte, in den nächsten Monaten sei es wichtig, die Europäische Union im Bewusstsein der Bürger zu verankern und bei den Europawahlen eine hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. Europa dürfe sich nicht auseinanderdividieren lassen, sondern solle zeigen, dass die bevorstehenden Aufgaben gemeinsam gelöst werden können. Deshalb sei ein Erfolg der tschechischen Ratspräsidentschaft besonders wichtig.

Viele anfängliche Unsicherheiten der tschechischen Ratspräsidentschaft bezüglich des Konflikts in Gaza oder des russisch-ukrainischen Gasstreits seien mittlerweile korrigiert worden. Die Finanzkrise habe gezeigt, dass sich die Märkte nicht selbst regeln könnten und in Europa mehr Regeln benötigt würden. Die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon durch die Tschechische Republik wäre ein starkes Signal für Europa.

"Ihre Rezepte werden von vielen angefochten, nicht aber von den liberalen Demokraten", so Graham WATSON (ALDE, Großbritannien). Der Schwerpunkt Energiepolitik solle als "Sprungbrett" angesehen werden, als Sprungbrett "hin zu erneuerbaren Energien." Russland und die Ukraine würden sich im Gasstreit gegenseitig die Schuld zuschieben, während in Europa die Menschen frieren müssten. Zusätzlich gebe es Pläne, alte Atomkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen. "So funktioniert Energiepolitik nicht", sagte Watson.

Wenn die tschechische Ratspräsidentschaft der Meinung sei, dass die EU mehr Handlungsmöglichkeiten brauche, warum habe sie dann den Vertrag von Lissabon nicht ratifiziert, fragte Watson. Und warum habe man zugelassen, dass sich die EU durch viele verschiedene Missionen im Nahen Osten "lächerlich gemacht" habe?

Von der tschechischen Ratspräsidentschaft erhoffe man sich eine Verbesserung der politischen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den USA, so Brian CROWLEY (UEN, Irland). Dem neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union stünden große Herausforderungen bevor. Es sei deshalb erforderlich, dass die EU eine klarere Stimme in der Welt erhalte.

Die Östliche Partnerschaft und der Westbalkan seien angesichts der großen wirtschaftlichen Verflechtung weitere wichtige Themen der Ratspräsidentschaft. Für die Überbrückung der Wirtschaftskrise und für das Weiterkommen Europas seien die Freizügigkeit des Wissens und Innovationen von entscheidender Bedeutung.

"Während wir hier debattieren fallen Bomben auf Menschen im Gazastreifen", sagte Monica FRASSONI (Grüne/EFA, Italien). Unabhängig davon, wer angefangen habe und wer Schuld sei, müsse "Schluss sein mit der Gewalt." Topolánek habe seine Rede mit einer Geschichte aus dem Mittelalter begonnen und auch das Programm der tschechischen Koalition sei "von einer überholten Philosophie begleitet", so Frassoni. Gewisse Ziele in Sachen Kinderbetreuung seien "machomäßig" und die Klimapolitik werde "eher als Hindernis" angesehen. Mit besonderem Bedenken beobachte sie die Überlegungen, alte Kernkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen: "Gibt es denn überhaupt andere als unsichere Kernkraftwerke? Vielleicht in 60 Jahren, aber im Moment sicher nicht", sagte sie.

Miloslav RANSDORF (GUE/NGL, Tschechische Republik) sagte, von der tschechischen Ratspräsidentschaft erhoffe man, dass sie einen Beitrag zur Überwindung der Teilung Europas leiste. Die EU werde - entgegen der Meinung des tschechischen Präsidenten, demzufolge Sozial- und Umweltstandards ein Hindernis für das wirtschaftlich-rationale Handeln darstellten - beweisen, dass die Wirtschaft mit diesen europäischen Standards angekurbelt werden könne. Innovationen seien ein Weg aus der Sackgasse. Europa müsse Einheit und Mut zu Veränderung zeigen.

Vladimír ŽELEZNÝ (IND/DEM, Tschechische Republik), betonte, die tschechische Präsidentschaft habe sich vernünftige Ziele gesetzt und werde Erfolg haben. Er verwies darauf, dass die Tschechen einen "populären und kompetenten Präsidenten" hätten, der gegen den Vertrag von Lissabon sei. Tschechien werde beweisen, dass ein kleines Land eine EU-Präsidentschaft kompetent organisieren könne.


Jana BOBOŠÍKOVÁ (NI, Tschechische Republik) betonte, man sei stolz darauf, mit welcher Entschlossenheit die Tschechische Republik den EU-Ratsvorsitz übernommen habe und wie sich dieses europäische Land im Laufe der Geschichte gegenüber anderen behauptet habe. Die Tschechische Republik solle den Vertrag von Lissabon ablehnen und dadurch Geschichte schreiben. Der Vertrag von Lissabon schmälere den Einfluss der Nationalstaaten. Man solle auf die starke Stimme der Bürger und nicht auf die Beamten hören.

Weitere deutschsprachige Rednerinnen und Redner
"Auf die EU kommen gigantische Aufgaben zu", so Silvana KOCH-MEHRIN (FDP). Sie erwähnte neben dem Gaza-Krieg die Wirtschaftskrise, den Lissabon-Vertrag sowie die Energiesicherheit. Letztere habe "fundamentale Bedeutung", sie sei das "Grundnahrungsmittel der modernen Gesellschaft". Man dürfe nicht von einer einzigen Energiequelle abhängig sein. Sie forderte Topolánek auf, eine neue Diskussion über die Atomenergie zu initiieren. Der deutsche Atomausstieg müsse rückgängig gemacht werden.

Milan HORÁC(EK (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, für ihn sei es noch immer ein "Wunder", dass in Tschechien und Mitteleuropa nun Freiheit herrsche. Ökonomisch und ökologisch stehe jede Ratspräsidentschaft immer vor großen Herausforderungen, die tschechische aber ganz besonders. Er wünsche Tschechien viel Erfolg.

Hartmut NASSAUER (CDU) betonte, die tschechische Präsidentschaft sei ein "Ereignis", das historisch genannt werden könne. Er sicherte die Unterstützung der EVP-ED-Fraktion für die kommenden sechs Monate zu, ungeachtet der "ein oder anderen euroskeptischen Äußerung aus ihrem Land". Da der Lissabon-Vertrag ein "exzellentes Instrument zur Korrektur von Fehlentwicklungen" sei, forderte Nassauer, den Vertrag in Tschechien möglichst rasch zu ratifizieren.

Jo LEINEN (SPD) betonte: "Europa ohne Barrieren ist ein gutes Motto, weil es den Kern der Europäischen Union trifft". Aber auch die politischen und ideologischen Vorbehalte gegen die EU müssten verschwinden, "da ist auch in ihrem Land noch viel Arbeit zu leisten". Das Thema Energiesicherheit sei ohne den Lissabon-Vertrag nicht zu lösen. Leinen forderte Topolánek auf, den Vertrag von Lissabon nicht zum Opfer innenpolitischer Streitigkeiten werden zu lassen.

Elmar BROK (CDU) erklärte, dies sei die erste Ratspräsidentschaft eines früheren Landes des Warschauer Paktes und habe somit "symbolische Bedeutung". Jedoch werde es nur durch den Vertrag von Lissabon möglich, Herausforderungen wie dem Gasstreit zu begegnen. "Energiesicherheit", so Brok, "können wir nur mit dem Vertrag von Lissabon schaffen." Erst durch die verstärkten Handlungsmöglichkeiten des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente könne dies möglich gemacht werden.

Maria BERGER (SPÖ) sagte, 2004 habe sie zu denjenigen gehört, die sich besonders für den Beitritt Tschechiens eingesetzt hätten, auch wenn es in Österreich "nicht gerade populär" gewesen sei, sich hierfür stark zu machen. "Dies ist also nicht nur für Menschen mit tschechischer Staatsbürgerschaft ein besonderer Tag", so Berger. "Als österreichische Abgeordnete" wolle sie erste "kleine Patzer" der Präsidentschaft, wie die einseitige Stellungnahme zu Gaza, nicht auf die Goldwaage legen, sondern Tschechien die volle Unterstützung anbieten.

Die tschechische Ratspräsidentschaft habe "holprig" begonnen, sagte Othmar KARAS (ÖVP), jedoch sei das "ernsthafte Bemühen" Tschechiens, Verantwortung für die gesamte EU zu übernehmen, spürbar. "Die Vorbereitungen scheinen gut", so Karas, "die Präsidentschaft steht nun auf dem Prüfstand." Sie solle aufhören, sich mit innenpolitischen Fragen zu belasten. "Setzen Sie ein Zeichen und ratifizieren Sie den Vertrag von Lissabon", forderte Karas abschließend.
     
Informationen: http://www.eu2009.cz/en/    
     
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