Das NFP 54 erforscht die Gentrifizierung der Städte
Neuenburg (snf) - Nach drei Jahrzehnten Bevölkerungsrückgang verzeichnen die meisten Schweizer
Städte wieder ein demographisches Wachstum. Eine Studie des Nationalen Forschungsprogramms "Nachhaltige
Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung" (NFP 54) zeigt, dass diese Trendwende auf die Immigration und den
intensivierten Wohnungsbau der Städte zurückzuführen ist. Sie sind vor allem für junge, gut
gebildete und wohlhabende Erwachsene attraktiv geworden.
Die meisten der 25 grössten Schweizer Städte verloren zwischen 1970 und 2000 einen Zehntel ihrer Einwohner,
während die Anzahl Haushalte und der Wohnraumbedarf pro Person zunahmen. Doch seit der Jahrtausendwende verzeichnen
diese Städte einen demographischen Aufschwung, wie eine im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms "Nachhaltige
Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung" (NFP 54) durchgeführte Studie des Geografischen Instituts der
Universität Neuenburg festhält.
Attraktiv für junge, gut ausgebildete Erwachsene Dieser Trend geht in erster Linie auf die Immigration, aber
auch die Wiederbelebung des Immobilienmarktes zurück. Zwei Fallstudien zu Neubausiedlungen in Neuenburg und
Zürich-West zeigen Aspekte auf, die mit der Attraktivitätssteigerung städtischer Zonen verbunden
sind. Bei den Bewohnerinnen und Bewohnern dieser Siedlungen handelt es sich meist um junge Erwachsene zwischen
30 und 45 Jahren, die kinderlos sind, über eine universitäre Ausbildung verfügen und alleine oder
mit dem Partner zusammenleben. Aus drei Gründen haben sie ihren Wohnort gewählt: Die Städte bieten
ihnen Wohnungen mit hohem Komfort, eine grosse Nähe zum Arbeitsplatz und zur städtischen Infrastruktur
sowie ein vielfältiges kulturelles Angebot. Allerdings handelt es sich bei dieser Bevölkerungsgruppe
nicht um Rückkehrer, sondern um Personen, die aus der betreffenden Stadt stammen und weiterhin hier wohnen
möchten.
Die befragten Personen benützen häufiger öffentliche Verkehrsmittel und gehen öfter zu Fuss
als der Durchschnitt der Bevölkerung, obwohl sie mehrheitlich ein Auto besitzen. In Neuenburg arbeiten 60
Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner dieser Neubauwohnungen in der Stadt, in Zürich gar 70 Prozent. 20 (Neuenburg)
beziehungsweise 10 Prozent (Zürich) pendeln jedoch in eine andere Stadt. Dies unterstreicht die Bedeutung
des Intercity-Bahnnetzes für das neue Wachstum der Schweizer Städte. Vor allem mittelgrosse Städte
wie Neuenburg, Thun, Winterthur und Zug profitieren davon.
Zersiedelung des städtischen Umlands Im Vergleich zu den neunziger Jahren hat sich der städtische Immobilienmarkt
wieder belebt. Neben der Konjunkturlage und günstigen Finanzierungsmöglichkeiten im Immobilienbereich
ist auch die städtische Wohnbaupolitik dafür verantwortlich. Verschiedene Städte setzten sich in
den letzten Jahren klare Wachstumsziele. So wurden Quartiere aufgewertet und Verkehrs- und Industrieareale in Wohnzonen
umgewandelt. Vor allem in Zürich setzten die Behörden zudem auf eine offene Stadtplanung, die alle interessierten
Akteure miteinbezog.
Wichtig waren auch private Akteure, die nach der Börsenkrise von 2002 vermehrt in Immobilien, insbesondere
in Eigentumswohnungen, investierten. Der Anteil an Wohneigentum übersteigt in den untersuchten Neubaugebieten
in Neuenburg mit 40 Prozent beziehungsweise in Zürich mit 30 den jeweiligen städtischen Durchschnitt
deutlich. Damit wurden vor allem durchschnittlich gut verdienende beziehungsweise vermögende Schichten angezogen.
Während einige Städte nur diesen positiven Aspekt der so genannten Gentrifizierung (der Attraktivitätssteigerung
der Städte durch mittlere und höhere soziale Schichten) betrachten, sehen andere auch die Risiken eines
angespannten Wohnungsmarktes.
Trotz der Attraktivitätssteigerung der städtischen Zentren breiten sich die Siedlungen weiter ins Umland
aus; die beiden Entwicklungen verlaufen also parallel. Die Studie zeigt, dass es nicht ausreicht, die Innenstädte
aufzuwerten, um die Zersiedelung aufzuhalten. Sie macht aber auch deutlich, dass sich die Wiederbelebung der Städte
vorzugsweise an mittlere und höhere Schichten richtet. Die Innenstädte drohen für Personen mit geringem
Einkommen unzugänglich zu werden. |