Aggression im Straßenverkehr steht an der Tagesordnung. Dabei geht
es allen nur um die gegenseitige Rücksichtnahme.
Wien (kfv) - Als Verkehrsteilnehmer wechselt man häufig die Rollen: Mal ist man Fußgänger,
mal Autofahrer, mal Radfahrer. Obwohl diese Rollen mit einem Perspektivenwechsel verbunden sind und man daher wissen
müsste, welche Probleme die anderen Verkehrsteilnehmer haben, bilden sich doch Meinungen darüber, wie
denn „die anderen“ so sind. Werden diese Stereotype in irgendeiner Weise bestätigt und verletzt der andere
den eigenen Freiraum, entsteht Aggression. Das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) hat in Tiefeninterviews
mit 60 Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern untersucht, wie sich die einzelnen Gruppen im Stadtverkehr
wahrnehmen und was die Auslöser für Aggression sind. Allen drei Gruppen ist gemeinsam, dass sie die Ursache
für Aggressionen und Konflikte im rücksichtlosen und uneinsichtigen Verhalten sehen.
Autofahrer: Konfliktquelle sind andere Autofahrer
Autofahrer fühlen sich subjektiv im Stadtverkehr sehr sicher und sehen in erster Linie andere Autofahrer
als Gefahren- und Konfliktquelle. Aggression äußert sich zwischen Autofahrern in erster Linie in Schimpfen,
Fluchen und Schreien, gefolgt von nonverbalen unfreundlichen Ausdrucksweisen („Stinkefinger“) bis hin zu gefährlichen
Handlungen wie Drängeln und Schneiden. Bei den Befragungen wurde aber auch von handgreiflichen Situationen
und Drohungen berichtet. So erzählte eine Autofahrerin: „Ein Mann wollte eine Frau aus ihrem Auto zerren und
ihr eine Ohrfeige geben. Dazu kam es aber nicht, weil sich andere eingemischt haben.“ Konflikte von Autofahrern
mit Radfahrern und Fußgängern sind für Autofahrer von drei Ursachen geprägt: In erster Linie
ärgern sich die Autofahrer, wenn sich das Gegenüber selbst in Gefahr bringt. Ein zweiter, ebenfalls starker
Aspekt ist der eigene Zeitverlust und das Gefühl, aufgehalten zu werden. An dritter Stelle steht die Entrüstung
darüber, dass Radfahrer und Fußgänger latent Verkehrsregeln verletzen und dabei straffrei bleiben.
Radfahrer: Angst vor Autofahrern und schlechter Infrastruktur
Im Gegensatz zu den Autofahrern fühlen sich die Radfahrer im Stadtverkehr sehr gefährdet und
sehen sich vor allem von Autofahrern bedroht, weil diese die Radfahrer häufig übersehen oder schlichtweg
ignorieren. Aber auch unaufmerksame Fußgänger, die plötzlich auf die Fahrbahn treten, tragen zum
Adrenalinschub bei. Darüber hinaus wird die starke physische Nähe zwischen Radverkehr und motorisiertem
Verkehr als problematisch gesehen und natürlich wird durch die ungeschützte Situation das Radfahren an
sich als gefährlich empfunden. An Fußgängern und Autofahrern macht vor allem rücksichtsloses
und unvorsichtiges Verhalten aggressiv, das ihnen das Gefühl gibt, ständig auf der Hut sein zu müssen.
Radfahrer schreiben Aggressionen aber auch einer generell spannungsgeladenen Situation auf den Straßen zu.
Aggressionsverhalten von Radfahrern zeigt sich Fußgängern gegenüber meist in verbalen Unmutsäußerungen,
gegenüber Autofahrern sind eindeutige Handzeichen, teilweise aber auch das Hinschlagen auf das Auto die Mittel
der Wahl.
Fußgänger: Feindbild schnelle Autofahrer
Fußgänger fühlen sich im Stadtverkehr subjektiv gesehen sehr sicher, allerdings machen
ihnen rücksichtslose und rasante Autofahrer das Leben schwer. Genau so lassen Radfahrer am Gehsteig das Blut
in Wallung geraten, aber auch langsame „Artgenossen“, die das Weiterkommen am Gehsteig behindern. Rücksichtslosigkeit
des Gegenübers und die Verletzung der eigenen Rechte ärgert die Fußgänger besonders. Aus Sicht
der Fußgänger ist die aggressive Auseinandersetzung mit Radfahrern deutlich seltener als mit Autofahrern.
Grundsätzlich sehen sich Fußgänger aber selbst als jene Verkehrsteilnehmer, die schneller aggressiv
werden: Die besondere Angst um die eigene Gesundheit senkt bei ihnen die Hemmschwelle. Neben dem allen drei Gruppen
gemeinsamen Schimpfen und Fluchen setzen Fußgänger gegenüber Autofahrern auch das Klopfen und Treten
gegen das Auto ein, mit Radfahrern kann es mitunter auch zu Handgreiflichkeiten kommen.
„Es wurde oft zugegeben, dass man den anderen bewusst provoziert, um auf seinem vermeintlichen Recht zu beharren.
Das wiegelt die aggressive Stimmung im Straßenverkehr auf“, sagt Dr. Othmar Thann, Direktor des Kuratoriums
für Verkehrssicherheit (KfV). „Bei vielen Delikten sind Strafen nötig, in den meisten Fällen hilft
aber einfach eines: Gegenseitige Rücksichtnahme.“ |