Wissenschaftler aus Freiburg untersuchen mit neuen Methoden die Signalverarbeitung im Gehirn
Freiburg (idw) - Das Gehirn ist ein hochkomplexes Informationsverarbeitungssystem. Wenn wir sehen,
hören, oder uns erinnern, werden Informationen in Form von elektrischen Signalen von Nervenzelle zu Nervenzelle
weitergegeben - nur so können wir Bilder erkennen und Sprache verstehen. In welcher Form aber sind die Informationen
in der Folge neuronaler Impulsen enthalten? Kommt es auf die Menge der Impulse an oder auf deren genaues Timing?
Diese zentrale Frage der Hirnforschung haben Wissenschaftler um Clemens Boucsein, Bernstein Zentrum für Computational
Neuroscience und Universität Freiburg, in Zusammenarbeit mit Martin Nawrot, Bernstein Zentrum für Computational
Neuroscience Berlin, am Beispiel der Großhirnrinde mit neuen Methoden genauer untersucht. Sie zeigten: die
Nervenzellen reagieren mit einer sehr viel höheren zeitlichen Präzision, als bisher angenommen. Ihre
Arbeit wurde in der Fachzeitschrift "Frontiers in Neural Circuits" publiziert.
Alle Nervenzellen übertragen Informationen als eine Folge neuronaler Impulse. Aber die Art und Weise, wie
sie Informationen in diesen Signalen verschlüsseln und wie diese von nachgeschalteten Zellen ausgelesen werden,
unterscheidet sich erheblich. Einige Sinneszellen und Nervenzellen, die Muskeln anregen, nutzen einen so genannten
"Raten Code": je mehr Impulse pro Zeiteinheit, desto heller das wahrgenommene Licht, lauter der Ton oder
desto stärker die verursachte Muskelkontraktion. Andere Zellen wiederum nutzen einen "zeitlichen Code":
hierbei kommt es nicht auf die Zahl der Impulse an, sondern auf deren exaktes Timing - darauf, ob eine Zelle einen
Impuls wenige Millisekunden vor oder nach einer anderen Zelle sendet. Boucsein und seine Kollegen untersuchten,
welche der beiden Strategien Zellen in der Großhirnrinde nutzen.
Jede Zelle in der Großhirnrinde erhält viele Signale von anderen, vorgeschalteten Zellen. Wenn Zellen
in der Großhirnrinde einen "zeitlichen" Code nutzten, müssten sie auch in der Lage sein, mit
hoher zeitlicher Präzision auf diese Eingangssignale zu reagieren. Um dies zu überprüfen, haben
sich Boucsein und seine Kollegen einer neuen Methode bedient, die in ihrem Labor entwickelt wurde. Im Gewebeschnitt
messen sie die elektrische Aktivität einer Zelle, während sie deren vorgeschaltete Zellen in einer präzise
definierten zeitlichen Abfolge aktivieren. Sie nutzen dabei eine chemische Komponente, die unter dem Einfluss von
Licht freigesetzt wird und die Nervenzellen anregt. Mit einem Laser und einem Spiegelsystem werden auf diese Weise
die vorgeschalteten Zellen immer wieder in der genau gleichen zeitlichen Abfolge angeschaltet. "Wir waren
überrascht, wie reproduzierbar und zeitlich exakt die nachgeschaltete Zelle auf die Folge von Eingangssignalen
reagiert", sagt Boucsein. Das ist alles andere als selbstverständlich. Jedes Signal der vorgeschalteten
Zelle muss an langen zellulären Fortsätzen entlanglaufen, auf die nachgeschaltete Zelle übertragen
und dort wiederum an den Fortsätzen zum Zellkörper transportiert werden. Bei all diesen Prozessen könnte
es - theoretisch - zu zeitlichen Ungenauigkeiten kommen. Dass die Zellen trotzdem so akkurat reagieren, zeigt:
sie sind für einen Code, bei dem es auf das exakte Timing ankommt, wie geschaffen. Würden Zellen der
Großhirnrinde hingegen einen Raten-Code nutzen, würden sie nach diesen Befunden eher unzuverlässig
arbeiten.
Originalveröffentlichung: Nawrot MP, Schnepel P, Aertsen A, Boucsein C. Precisely timed
signal transmission in neocortical networks with reliable intermediate-range projections. Front Neural Circuits.
2009;3:1. Epub 2009 Feb 10. doi:10.3389/neuro.04.001.2009 |