Die Erfahrungen und Stimmen von ZeitzeugInnen zum "Anschluss" können ab jetzt
direkt am Heldenplatz mittels Audio-Player gehört werden.
Wien (hoerspuren) - "Ich hab beim Fenster herausgeschaut und die Leute haben Fahnen mit dem
Hakenkreuz gewedelt und gejubelt, sodass ich auch geglaubt hab, dass was sehr Fröhliches und Gutes passiert
ist. Nur habe ich gesehen, dass meine Eltern geweint haben. Dann hab ich's nicht verstanden: Warum weinen sie und
alle anderen jubeln?", erinnert sich die heute 80jährige Gertrud Stevens an den Einmarsch der deutschen
Wehrmacht im März 1938. Sie ist eine der ZeitzeugInnen, deren Stimme in den Audiowegen zu hören ist.
Der "Anschluss" an das nationalsozialistische "Deutsche Reich" und die damit einhergehenden
pogromartigen Ausschreitungen stellen eine tiefe Zäsur in der österreichischen Geschichte dar. Insbesondere
die Hauptstadt Wien mit ihrem relativ hohen jüdischen Bevölkerungsanteil war ein Brennpunkt des Geschehens.
Das Projekt "Hörspuren" ermöglicht, die Geschehnisse rund um den "Anschluss" gleichzeitig
gehend und (zu)hörend zu erfahren - aus der Perspektive von ZeitzeugInnen, die etwa die "Abdankungsrede"
Schuschniggs verfolgten und ein paar Tage später den triumphalen Einzugs Hitlers in Wien erlebten.
Philipp Haydn und Maria Ecker haben monatelang in Archiven in Österreich und der USA geeignete Interviewausschnitte
recherchiert, und zusätzlich selbst Gespräche mit Betroffenen aufgezeichnet. Entstanden sind schließlich
insgesamt vier Hörwege, die sich unterschiedlichen Ereignissen des Jahres 1938 widmen. Alle Audio-Touren stehen
auf der Projekt-Website http://www.hoerspuren.at
zum Gratis-Download zur Verfügung. "Wir haben nach neuen Wegen gesucht, die Stimmen und Erfahrungen von
ZeitzeugInnen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen", so Haydn und Ecker über die Konzeption
des Projektes.
Das Projekt "Hörspuren" verbindet in seinem Stadtführer den aktuellen akademischen Wissensstand
mit Oral History Interviews unter den Rahmenbedingungen neuer Technologien zu einem neuartigen Konzept der Wissensvermittlung.
Die "Hörspuren" Audio-Guides lassen Geschichte durch räumliche Konfrontation und ZeitzeugInnenberichte
in bisher ungekannter Unmittelbarkeit erleben - und HörerInnen im buchstäblichen Sinn "mit Geschichte
in Beziehung treten".
Was bietet "Hörspuren"?
Zentrales Element sind vier Hörwege in Wien, für die Audio-Guides (Länge: 20 - 35 min.) gestaltet
wurden:
- Vom Ballhausplatz zum Heldenplatz, die Tage den "Anschluss" im März 1938
- Rund um den Morzinplatz und das ehemalige Hauptquartier der Gestapo
- Von der Taborstrasse zur Tempelgasse im Zweiten Bezirk, der Novemberpogrom 1938
- Von der Rauscherstrasse zur Kaschlgasse in der Brigittenau, einem jüdischen Viertel in der Zwischenkriegszeit
Die HörerInnen erkunden diese Orte mit Hilfe von Audioplayer, Kopfhörer und Stadtkarte.
"Hörspuren" ist kostenlos. HörerInnen können entweder mittels der Website www.hoerspuren.at
die Audioguides selbst auf ihre mp3-Spieler samt Stadtkarte herunterladen oder sich das nötige Equipment
bei ausgewählten Wiener Ausgabestellen (z.B. Jewish Welcome Service) ausleihen. Das Projekt "Hörspuren"
wird kontinuierlich erweitert, demnächst auch in englischer Version. Hintergrund-Informationen und Neuigkeiten
finden Sie auf unserer Website www.hoerspuren.at.
Über Hörspuren
Hörspuren, ein Projekt von Maria Ecker und Philipp Haydn, ist situiert am Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte.
Es wird unterstützt von der Rothschild Foundation Europe, dem Nationalfonds der Republik Österreich und
der Wissenschaftsabteilung der Stadt Wien.
Über Maria Ecker
Historikerin am Zentrum für jüdische Kulturgeschichte, Universität Salzburg. Forschungsschwerpunkte
und -methoden: Oral History. Autobiographische Quellen. Holocaust-Gedenkkulturen in Österreich, USA, und Israel.
Gedenken und Erinnern im ländlichen Raum. Holocaust-Vermittlung im schulischen und außerschulischen
Bereich.
Über Philipp Haydn
Soziologe, nach seinem Gedenkdienst langjähriger?Mitarbeiter am Leo Baeck Institute, New York. Daneben
journalistische?Tätigkeit für Radio- und Printmedien, Übersetzungen sowie mehrjährige Projekt-Erfahrung
mit Neuen Medien.
Über das Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte:
Das Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte wurde 2004 eröffnet und ist eine interdisziplinäre
Einrichtung der Universität Salzburg. Leiter: Gerhard Langer. Stellvertretender Leiter: Albert Lichtblau.
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