"Elektronen haben kein Mascherl" - TU-Chemiker ergründen
das erstaunliche Verhalten von Elektronen in Festkörpern
Wien (tu) - Wie verhält sich ein Elektron in einem Silberlöffel? - Oft können Festkörper-
theoretikerInnen wichtige Materialeigenschaften beschreiben, indem sie das Verhalten einzelner Elektronen mathematisch
untersuchen. In einem Metall sind viele Elektronen nicht fest an einzelne Atome gebunden, sondern sie können
sich ganz alleine frei zwischen den Atomen bewegen - deshalb leitet ein Silberlöffel elektrischen Strom. Wird
ein Material stark erhitzt, beginnen die Atome ungeordnet zu wackeln, und der Stromfluss wird behindert. Die meisten
Materialien leiten Strom daher besonders gut, wenn sie abgekühlt werden.
Erstaunliche Ausnahmen
Manche Materialien, zum Beispiel Magnetit, besitzen bei höheren Temperaturen zwar eine gewisse elektrische
Leitfähigkeit, doch wenn man sie abkühlt, kommt es plötzlich zum sogenannten "Verwey-Übergang":
Unterhalb einer bestimmten Temperatur fließt überhaupt kein Strom mehr. Seit Jahrzehnten wundern sich
WissenschafterInnen über dieses Phänomen. Dipl.Ing. Christian Spiel, Ao.Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn.
Peter Blaha und Univ.Prof. i.R. Dr.phil. Karlheinz Schwarz vom Institut für Materialchemie haben an einem
ähnlichen Eisenoxid diese Verwey-Übergänge in aufwändigen Computersimulationen untersucht
und ein Erklärungsmodell für diesen Effekt vorgestellt. Die neuen Erkenntnisse werden in den nächsten
Tagen in der Fachzeitschrift "Physical Review B" veröffentlicht.
Elektronen sind keine Gummibälle
Wenn kleine Gummibälle durch ein Gitter hüpfen, hat jeder einzelne Gummiball seine eigene Bahn. Die Bälle
kann man getrennt voneinander betrachten. Doch bei Elektronen, die sich durch das Atom-Gitter eines festen Materials
bewegen, reicht dieses simple Bild auf Grund der Quantenmechanik nicht aus. Elektronen sind alle gleich, sie können
nicht voneinander unterschieden werden. Es gibt keine Elektronen-Individuen, die jeweils ihren eigenen Platz an
bestimmten Atomen haben. Jedes Elektron ist gewissermaßen überall gleichzeitig, und so müssen die
Elektronen auch gleichzeitig gemeinsam berechnet werden. Diese komplizierte Aufgabe lösten die TU-Chemiker
mit Hilfe der Dichtefunktionaltheorie (für die der Wiener Walter Kohn 1998 den Chemienobelpreis erhielt) und
einer Menge Computer-Rechenleistung.
Wie diese Rechnungen zeigten, ordnen sich die Elektronen bei Temperaturen unterhalb des Verwey-Überganges
gemeinsam so an, dass sie sich jeweils an einem Atom "festhalten". Bei einem Eisenatom sind dann fünf,
bei einem anderen sechs Elektronen. Sie bilden ein regelmäßiges Muster im Festkörper, das schwer
aufzulösen ist - und damit ist es vorbei mit dem Fließen des elektrischen Stroms. Oberhalb dieser kritischen
Temperatur teilen sich die Eisenatome diese elf Elektronen gleichmäßig, dann können die Elektronen
von Atom zu Atom hüpfen und leiten damit den Strom.
Ob es für diese komplizierten Materialien mit Verwey-Übergang demnächst eine technologische Anwendung
geben könnte, wissen die Wissenschaftler der Theoretischen Chemie selbst noch nicht so genau - aber jedenfalls
ist es ihnen gelungen, endlich Licht auf ein jahrzehntelang diskutiertes Phänomen der Festkörperphysik
zu werfen. |