Wien (wifo) - Während über die ersten 10 Jahre der Wirtschafts- und Währungsunion eine größtenteils
positive Bilanz zu ziehen ist, stellt die weltweite Finanzkrise die Funktionsfähigkeit der WWU auf die Probe.
Die Überlebensfähigkeit der Währungsunion steht aufgrund des guten Zusammenspiels der für die
Politikgestaltung zuständigen Institutionen außer Frage. Zwar hatten die Einführung der gemeinsamen
Währung und die damit verbundenen politischen Anpassungsprozesse bereits eine Harmonisierung des Konjunkturzyklus
im Euro-Raum zur Folge. Da eine völlige Harmonisierung aber nicht zu erreichen sein wird, zwingen einschneidende
Ereignisse wie der gegenwärtige Finanzkrisen-Schock die Geld- und Fiskalpolitik zum flexiblen Handeln. Mangels
anderer Mechanismen zur Abfederung solcher Schocks (z. B. Fiscal Federalism in den USA) sind eine konsequentere
Koordination der Wirtschaftspolitik und eine noch stärkere Zusammenarbeit zwischen den Ländern des Euro-Raums
und der EZB dringend geraten.
Vor dem Hintergrund der weltweiten Finanzkrise mit ihren immer schwerwiegenderen Folgen für die Realwirtschaft
ist die Einschätzung der Zukunftsfähigkeit der Wirtschafts- und Wäh-rungsunion der EU zunehmend
gespalten. Einerseits wird ein Zerfallen der WWU befürchtet. Andererseits gewinnen gerade in Zeiten der Krise
die Währungsunion und der Euro an Attrak-tivität - vor allem in jenen Ländern, die am stärksten
von der Finanzkrise betroffen sind (Island, Großbritannien) und bisher der gemeinsamen Währung und der
EU skeptisch gegenüber-standen. Tatsächlich ist die gegenwärtige Finanzkrise - ähnlich der
Weltwirtschaftskrise von 1929 - nicht auf wenige Länder beschränkt (wie z. B. die Asien-, Russland-,
Schweden-, Argentinienkrise in den 1990er-Jahren), sondern hat sich weltweit ausgebreitet. Eine solche Konstellation
tritt selten auf, ihre Auswirkungen sind aber wegen der sehr stark globalisierten Wirtschaft mit ihren vielfältigen
Verflechtungen gravierend. Mit der Erfahrung um die negativen Folgen einer Nicht-Reaktion bzw. der Verstrickung
in nationalen Protektionismus in den 1930er-Jahren greifen fast alle Industrieländer massiv politisch ein.
Dies gilt sogar für China, aber nicht zuletzt für die größten Wirtschaftsräume USA und
Europa. Europa kann im Gegensatz zu den USA nicht einheitlich agieren, weil es einerseits gespalten ist in EFTA-
und EU-Länder und letztere sich wiederum danach unterscheiden, ob sie an der Währungsunion teilnehmen.
Wegen dieser Heterogenität der Ausgangslage ist es umso überraschender, dass innerhalb der erweiterten
EU sehr rasch eine koordinierte Krisenpolitik versucht wird. Allerdings sind weitere Anstrengungen der Koordination
notwendig, um nicht durch Protektionismus (Förderung nationaler Champions und Banken) den Zusammenhalt des
Binnenmarktes und der Währungsunion zu gefährden.
Die gegenwärtige Weltkrise offenbart zudem viele Schwächen des politischen Designs der WWU, vor allem
den Mangel, dass die Rolle des Lender of Last Resort nicht explizit geregelt ist; sie wurde ad hoc von EZB und
EU-Ländern in Anspruch genommen. Eine direkte Hilfe (Bail-out) im Falle des Staatsbankrotts eines Euro-Raum-Landes
ist vertraglich ausgeschlossen. Finanzhilfen aus dem EU-Haushalt können zurzeit laut EGV nur für Zahlungsbilanzprobleme
ge-währt werden (z. B. Ungarn), nicht aber zur Stützung des Staatshaushalts eines Mitgliedslandes. Der
große von den USA ausgehende Finanzmarktschock betrifft die Länder des Euro-Raums wegen ihrer jeweiligen
Wirtschaftsstruktur und des nicht ganz harmonisierten Konjunkturverlaufs unterschiedlich stark. Zudem verschärft
die Krise die sich seit langem aufschaukelnden Ungleichgewichte aufgrund unterschiedlicher Lohnstückkostenentwicklung
(Deutschland und Österreich sind hier im Vorteil, die meisten Länder im Süden im Nachteil). Die
Diversität der Betroffenheit insgesamt resultiert in der unterschiedlichen Einschätzung der Bonität
der Staaten im Falle der Platzierung von Staatsanleihen. Letztlich geht es in der EU und insbesondere im Euro-Raum
um "Managing Diversity" durch flexible und verstärkte Zusammenarbeit aller Institutionen (EZB, Europäische
Kommission, EU-Länder). Die teilweise zitierte Gefahr eines Zerfalls der Währungsunion ist aber unrealistisch.
Die Probleme, die durch die Finanzkrise ausgelöst wurden und werden, sind nicht auf den Euro-Raum beschränkt,
sondern treffen Großbritannien, die Schweiz und vor allem die USA gleicherma-ßen. Zudem gewinnt der
Euro immer größere Bedeutung für die Diversifizierung der Weltwäh-rungsreserven und ist schon
deshalb unverzichtbar in der Weltwirtschaft. |