Mangelnde "Europäisierung" der nationalen Konjunkturzyklen als Risiko für den Euro-Raum    

erstellt am
05. 03. 09

Wien (wifo) - Während über die ersten 10 Jahre der Wirtschafts- und Währungsunion eine größtenteils positive Bilanz zu ziehen ist, stellt die weltweite Finanzkrise die Funktionsfähigkeit der WWU auf die Probe. Die Überlebensfähigkeit der Währungsunion steht aufgrund des guten Zusammenspiels der für die Politikgestaltung zuständigen Institutionen außer Frage. Zwar hatten die Einführung der gemeinsamen Währung und die damit verbundenen politischen Anpassungsprozesse bereits eine Harmonisierung des Konjunkturzyklus im Euro-Raum zur Folge. Da eine völlige Harmonisierung aber nicht zu erreichen sein wird, zwingen einschneidende Ereignisse wie der gegenwärtige Finanzkrisen-Schock die Geld- und Fiskalpolitik zum flexiblen Handeln. Mangels anderer Mechanismen zur Abfederung solcher Schocks (z. B. Fiscal Federalism in den USA) sind eine konsequentere Koordination der Wirtschaftspolitik und eine noch stärkere Zusammenarbeit zwischen den Ländern des Euro-Raums und der EZB dringend geraten.

Vor dem Hintergrund der weltweiten Finanzkrise mit ihren immer schwerwiegenderen Folgen für die Realwirtschaft ist die Einschätzung der Zukunftsfähigkeit der Wirtschafts- und Wäh-rungsunion der EU zunehmend gespalten. Einerseits wird ein Zerfallen der WWU befürchtet. Andererseits gewinnen gerade in Zeiten der Krise die Währungsunion und der Euro an Attrak-tivität - vor allem in jenen Ländern, die am stärksten von der Finanzkrise betroffen sind (Island, Großbritannien) und bisher der gemeinsamen Währung und der EU skeptisch gegenüber-standen. Tatsächlich ist die gegenwärtige Finanzkrise - ähnlich der Weltwirtschaftskrise von 1929 - nicht auf wenige Länder beschränkt (wie z. B. die Asien-, Russland-, Schweden-, Argentinienkrise in den 1990er-Jahren), sondern hat sich weltweit ausgebreitet. Eine solche Konstellation tritt selten auf, ihre Auswirkungen sind aber wegen der sehr stark globalisierten Wirtschaft mit ihren vielfältigen Verflechtungen gravierend. Mit der Erfahrung um die negativen Folgen einer Nicht-Reaktion bzw. der Verstrickung in nationalen Protektionismus in den 1930er-Jahren greifen fast alle Industrieländer massiv politisch ein. Dies gilt sogar für China, aber nicht zuletzt für die größten Wirtschaftsräume USA und Europa. Europa kann im Gegensatz zu den USA nicht einheitlich agieren, weil es einerseits gespalten ist in EFTA- und EU-Länder und letztere sich wiederum danach unterscheiden, ob sie an der Währungsunion teilnehmen. Wegen dieser Heterogenität der Ausgangslage ist es umso überraschender, dass innerhalb der erweiterten EU sehr rasch eine koordinierte Krisenpolitik versucht wird. Allerdings sind weitere Anstrengungen der Koordination notwendig, um nicht durch Protektionismus (Förderung nationaler Champions und Banken) den Zusammenhalt des Binnenmarktes und der Währungsunion zu gefährden.

Die gegenwärtige Weltkrise offenbart zudem viele Schwächen des politischen Designs der WWU, vor allem den Mangel, dass die Rolle des Lender of Last Resort nicht explizit geregelt ist; sie wurde ad hoc von EZB und EU-Ländern in Anspruch genommen. Eine direkte Hilfe (Bail-out) im Falle des Staatsbankrotts eines Euro-Raum-Landes ist vertraglich ausgeschlossen. Finanzhilfen aus dem EU-Haushalt können zurzeit laut EGV nur für Zahlungsbilanzprobleme ge-währt werden (z. B. Ungarn), nicht aber zur Stützung des Staatshaushalts eines Mitgliedslandes. Der große von den USA ausgehende Finanzmarktschock betrifft die Länder des Euro-Raums wegen ihrer jeweiligen Wirtschaftsstruktur und des nicht ganz harmonisierten Konjunkturverlaufs unterschiedlich stark. Zudem verschärft die Krise die sich seit langem aufschaukelnden Ungleichgewichte aufgrund unterschiedlicher Lohnstückkostenentwicklung (Deutschland und Österreich sind hier im Vorteil, die meisten Länder im Süden im Nachteil). Die Diversität der Betroffenheit insgesamt resultiert in der unterschiedlichen Einschätzung der Bonität der Staaten im Falle der Platzierung von Staatsanleihen. Letztlich geht es in der EU und insbesondere im Euro-Raum um "Managing Diversity" durch flexible und verstärkte Zusammenarbeit aller Institutionen (EZB, Europäische Kommission, EU-Länder). Die teilweise zitierte Gefahr eines Zerfalls der Währungsunion ist aber unrealistisch. Die Probleme, die durch die Finanzkrise ausgelöst wurden und werden, sind nicht auf den Euro-Raum beschränkt, sondern treffen Großbritannien, die Schweiz und vor allem die USA gleicherma-ßen. Zudem gewinnt der Euro immer größere Bedeutung für die Diversifizierung der Weltwäh-rungsreserven und ist schon deshalb unverzichtbar in der Weltwirtschaft.
     
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