EU-Ratsvorsitzender Topolanek entmachtet / EU-Vertrag  

erstellt am
25. 03. 09

 Ettl: Absage des EU Beschäftigungsgipfels skandalös
Akute soziale Probleme verlangen nach rascher gemeinsamer Lösung
Wien (sk) - "Einen europäischen Beschäftigungsgipfel in einer derartigen Krisensituation abzusagen, ist einfach skandalös und eine Ohrfeige ins Gesicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa", sagt der SPÖ-Europaabgeordnete Harald Ettl. Das für 7. Mai angesetzte Gipfeltreffen aller 27 EU-Staats- und Regierungschefs mit Sozialpartnern wurde vom tschechischen Ratsvorsitz kurzerhand abgesagt und durch ein Treffen im "Troika" - Format, woran nur der Ratspräsident, der Kommissionspräsident und die Sozialpartner teilnehmen, ersetzt.

"Spätestens jetzt müssen die europäischen Gewerkschaften aufwachen! In einer Zeit, wo wir zukünftig mit weiteren 10 Millionen Arbeitslosen, zusätzlich zu den bereits vorhandenen 20 Millionen, rechnen müssen, ist es ungeheuerlich, wie ignorant die Ratspräsidentschaft den drohenden sozialen Problemen die kalte Schulter zeigt", ist Ettl empört.

"Wir brauchen gemeinsame Lösungen im gemeinsamen Europa. Einzelmaßnahmen einzelner Länder sind der falsche Weg. Die 27 Staats- und Regierungschefs sollen sich in der größten Finanz- und Wirtschaftskrise vorrangig über die Beschäftigungssituation Gedanken machen. Es sind die Beschäftigten als SteuerzahlerInnen, die letztendlich die Finanzkrise und die Konjunkturprogramme finanzieren müssen", so Ettl.

Dem amtierenden EU-Ratspräsidenten Mirek Topolanek wurde gestern, Dienstag, auf parlamentarischer Ebene das Vertrauen entzogen und damit die tschechische Regierung mitten in der Ratspräsidentschaft gestürzt. Der Chef einer Übergangsregierung hat damit sein politisches Gewicht verloren. "Es liegt nahe, dass der tschechische Präsident Vaclav Klaus seine Finger im Spiel hatte. Die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags rückt nun in weitere Ferne, da die Freunde von Klaus im tschechischen Senat die Mehrheit haben und diese Hürde, die für die Beschlussfassung nötig ist, ist ohne Topolanek kaum zu bewältigen", so die Einschätzung des Abgeordneten.

"Wir brauchen jetzt eine gemeinsame Anstrengung aller europäischen Regierungen und Gewerkschaften. Die derzeitige Führungsschwäche in der Europäischen Union muss durch eine starke Arbeitnehmer-orientierte Initiative wettgemacht werden, soziale Lösungen müssen rasch gefunden und umgesetzt werden", fordert Ettl abschließend.

 

 Schüssel: Abwahl Topolaneks ist Rückschlag für die Ratspräsidentschaft
Außenpolitischer Sprecher der ÖVP: Tschechische Regierung und Präsident Klaus tragen besondere Verantwortung für ihr Land und Europa
Wien (övp-pk) - Die Abwahl des tschechischen Ratspräsidenten Mirek Topolanek in der Halbzeit der tschechischen Ratspräsidentschaft ist in der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise, in der gerade Europa eine gestaltende Rolle einnehmen muss, ein wirklicher Rückschlag für die wichtige Institution der Ratspräsidentschaft. Für die kommenden Wochen und Monate kann daher nur eine Übergangsregierung die Geschäfte führen und diese und besonders auch Präsident Vaclav Klaus werden eine besondere Verantwortung nicht nur für ihr Land, sondern für Europa tragen müssen. Das erklärte der außenpolitische Sprecher der ÖVP, Abg. Dr. Wolfgang Schüssel, am 25.03.

Die weltweite Krise erlaube Europa keinen großen Spielraum. Deshalb müssen sich die Akteure und Verantwortungsträger in der EU ihrer Verantwortung bewusst sein. "Alles andere wäre fahrlässig und würde die Krise nur noch schüren. Ich hoffe sehr, dass die tschechische Regierung sowie das Parlament zwischen der weltweiten und ihrer eigenen Krise unterscheiden können und nach wie vor ihren vollen Beitrag für eine funktionierende Union leisten", schloss Schüssel.

 

 Mölzer: Sturz der Regierung Topolanek zeigt instabile EU
Union ohne echten Ratspräsidenten zeigt Handlungsbedarf auf
Wien (fpd) - "Wenn da gestern der tschechische Premierminister und seine Regierung abgewählt wurden, so zeigt das vor allem, dass die Europäische Union dringenden Handlungsbedarf in Sachen Dezentralisierung hat", so der freiheitliche EU-Abgeordnete und EU-Spitzendkandidat Andreas Mölzer. "Topolanek wurde nicht zuletzt deshalb abgewählt, weil er seinen Landsleuten einen zu pro-europäischen Kurs gefahren hat."

Dass die EU jetzt ohne echten Ratspräsidenten dastehe, sei bedenklich und führe dazu, dass die Handlungsfähigkeit der Union in der Welt eingeschränkt sei. "Statt immer weiter eine Zentralisierung nach innen voranzutreiben, ist man auf Brüsseler Ebene dazu aufgerufen, endlich in der Welt mit einer Stimme zu sprechen", so Mölzer. "Nach innen ist ein stark föderaler Staatenverbund im Sinne eines Europas der Nationen notwendig, um politische Krisen einzelner Staaten - wie derzeit in Tschechien - nicht zum Problem werden zu lassen", so der freiheitliche EU-Mandatar abschließend.

 

 Stadler: Tschechische Verknüpfung von EU-Vertrag mit Benes-Dekreten unglaublicher Affront
BZÖ verlangt österreichische Protestnote an Prager Regierung
Wien (bzö) - BZÖ-Europasprecher Ewald Stadler reagiert empört auf die am 25.03. bekannt gewordene Verknüpfung der tschechischen Ratifizierung des EU-Vertrages mit einem Begleitbeschluss, wonach die Benes-Dekrete unangetastet bleiben müssen. Mitte Februar hat das tschechische Abgeordnetenhaus den EU-Reformvertrag ratifiziert. Dies war allerdings mit einem Begleit-Beschluss zu den "Benes-Dekreten" verbunden, der festgelegt hat, dass es durch den EU-Vertrag auf die "Dekrete" keinerlei Einflussnahme geben darf. Die Prager Abgeordneten befürchten, dass bei einer Aufhebung der Benes-Dekrete eine Wiedergutmachung der damaligen Massenvertreibungen und damit verbundene Entschädigungen drohen können. Insgesamt wurden seitens des tschechischen Staates bis 1947 etwa 2,9 Millionen Personen auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur deutschen Bevölkerung pauschal zu Staatsfeinden erklärt und ausgebürgert. "Tschechien verhöhnt Europa, verhöhnt die beinahe drei Millionen Vertriebenen und die geschätzten 250.000 Todesopfer mit dieser Klausel. Das zeigt wieder deutlich die nicht vorhandene moralische Grundlage des Vertrages von Lissabon. Die EU ist nicht in der Lage, heute noch geltendes Unrecht zu beseitigen. Man hat zwar gegen die Apartheid in Südafrika gekämpft, aber Rassengesetze wie die Benes-Dekrete, die heute noch mitten in Europa gelten, in einem EU-Mitgliedsland, noch dazu dem Land der derzeitigen Ratspräsidentschaft, sind für Brüssel kein Thema", so Stadler. Der BZÖ-Abgeordnete verlangt eine Stellungnahme von EU-Kommissionspräsident Barroso zum tschechischen Vorgehen und eine Verurteilung Tschechiens durch das EU-Parlament.

Stadler kritisiert auch massiv "wie erbärmlich sich die österreichische aber auch die deutsche Außenpolitik hier verhält. Außenminister Spindelegger muss von dem Prager Beschluss gewusst haben und hat geschwiegen. Eine aufrechte Haltung wäre es gewesen, für die Menschenrechte zu kämpfen. Die Bundesregierung zeigt sich zwar gern im (berechtigten) Kampf für die Menschenrechte in Tibet, aber wenn es um Unrechtsgesetze in Europa geht, dann verstummen Spindelegger und Co. Das BZÖ verlangt von der österreichischen Bundesregierung das sofortige Verfassen einer scharfen Protestnote an die tschechische Regierung und die Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten gegen die tschechischen Rassengesetze", so Stadler. Tschechien habe mit dem Begleitbeschluss zum EU-Vertrag rechtswidrig eine einseitige Änderung des Vertrages von Lissabon begangen, die der Prager Regierung nicht zustehe. "Mitten in Europa, mitten während ihrer Ratspräsidentschaft verraten die Tschechen die Menschenrechte, brechen internationales Recht und beugen den EU-Vertrag. Damit ist wieder bewiesen, dass der Vertrag von Lissabon keinerlei moralische Grundlage hat. Österreich soll daraus die Konsequenzen ziehen und seine Ratifizierung des EU-Vertrages zurückziehen", verlangt Stadler die österreichische Reassumierung des Vertrages von Lissabon, der seit dem ablehnenden irischen Referendum sowieso nur mehr totes Recht sei.

Anbei einige heute noch geltende Teile der Benes-Dekrete die sowohl rassistisch sind, als auch dem internationalen Recht widersprechen und Mord und Vergewaltigung nachträglich straffrei stellen: Das im Gebiet der Tschechoslowakischen Republik befindliche Vermögen der staatlich unzuverlässigen Personen wird gemäß den weiteren Bestimmungen dieses Dekrets unter nationale Verwaltung gestellt. Als staatlich unzuverlässige Personen sind anzusehen: a) Personen deutscher oder magyarischer (=ungarischer) Nationalität [...] Konfisziert wird ohne Entschädigung [...] für die Tschechoslowakische Republik das unbewegliche und bewegliche Vermögen, namentlich auch die Vermögensrechte (wie Forderungen, Wertpapiere, Einlagen, immaterielle Rechte), das bis zum Tage der tatsächlichen Beendigung der deutschen und magyarischen Okkupation in Eigentum stand oder noch steht. Eine Handlung, die in der Zeit vom 30. September 1938 bis zum 28. Oktober 1945 vorgenommen wurde und deren Zweck es war, einen Beitrag zum Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten, oder die eine gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziele hatte, ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre.
 

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