Bundestag-Experte informiert über Praxis in Deutschland
Wien (pk) - Das Geschäftsordnungskomitee des Nationalrats setzte am 27.04. seine Beratungen
zum Thema Untersuchungsausschuss mit der Anhörung eines Experten des Deutschen Bundestags fort. Helmut Winkelmann
informierte die Mitglieder des Komitees über die Praxis in Deutschland und stand fast drei Stunden für
Detailfragen zur Verfügung. Unter anderem ging es um die Rechte parlamentarischer Minderheiten im Untersuchungsausschussverfahren,
die Festlegung des Untersuchungsgegenstandes und die Frage der Vorsitzführung. Als Termin für die nächste
Sitzung des Geschäftsordnungskomitees legte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer im Einvernehmen mit
den Fraktionen den 15. Juni fest, auch dabei wird das Thema Untersuchungsausschuss im Mittelpunkt stehen.
Wie der Experte des Bundestags den Abgeordneten unter anderem berichtete, wurde in Deutschland vor kurzem der 50.
Untersuchungsausschuss eingesetzt. Nur jeder fünfte der bisherigen Ausschüsse kam dabei mit Unterstützung
einer breiten Mehrheit zustande, zumeist war es die Opposition, die ein entsprechendes Verlangen stellte. In der
Regel wird allerdings intensiv über die genaue Formulierung des Untersuchungsgegenstandes verhandelt.
Notwendig für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist ein Viertel der Mitglieder des Bundestags.
Beschränkungen hinsichtlich der Anzahl von parallel laufenden Ausschüssen sind nicht vorgesehen. Winkelmann
zufolge hat es sich aber eingependelt, dass pro Legislaturperiode zwischen einem und vier Untersuchungsausschüsse
stattfinden.
Anders als in Österreich muss sich der Untersuchungsgegenstand in Deutschland nicht unbedingt auf ein vermutetes
Missverhalten von Regierungsmitgliedern oder von Behörden beziehen. Zentrales Kriterium ist vielmehr das öffentliche
Interesse. In diesem Sinn standen auch schon Wohnbaugesellschaften, Großgewerkschaften oder Nuklearunternehmen
im Fokus eines Untersuchungsausschusses. Ebenso wäre es etwa möglich, Schmiergeldzahlungen an Abgeordnete
zu untersuchen. Für den Bundestag tabu sind allerdings Themenbereiche, die in die ausschließliche Kompetenz
der Länder fallen, kommunale Angelegenheiten und konkrete Gerichtsentscheidungen. Angelegenheiten der Landesverteidigung
werden nicht in einem klassischen Untersuchungsausschuss, sondern im Verteidigungsausschuss unter Ausschluss der
Öffentlichkeit beraten.
Den Vorsitz im Untersuchungsausschuss führt in der Regel die stärkste bzw. die zweitstärkste Bundestagsfraktion,
wobei, wie Winkelmann festhielt, der Vorsitzende meist in irgendeiner Form unter Beschuss steht, weil entweder
die Regierungs- oder die Oppositionsseite mit ihm nicht zufrieden ist. Es gibt aktuell aber keine Diskussion darüber,
den Vorsitz einer unabhängigen Persönlichkeit zu übertragen. Weitere Streitpunkte sind etwa Auskunftsverweigerungen
und Aktenschwärzungen von Regierungsseite, über die, kommt es zu keiner Einigung zwischen den Fraktionen,
letztlich das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hätte.
Zu den weiteren deutschen Besonderheiten gehört, dass Regierungsmitglieder über den Kernbereich der "exekutiven
Eigenverantwortung" keine Auskunft geben müssen. Das betrifft etwa Erwägungen im Vorfeld von Regierungsbeschlüssen.
Um die Aktenvorauswahl und die Aktenaufbereitung zu erleichtern, kann vom Untersuchungsausschuss ein unabhängiger
Ermittlungsbeauftragter eingesetzt werden. |