Ein Forschungsteam der TU Wien versucht die Geheimnisse rund um den Jungfrauenturm
in Baku mit modernen 3D-Vermessmungsmethoden zu lüften.
Wien (tu) - Forschende rätseln seit Jahrzehnten, wozu das monumentale Wahrzeichen der aserbaidschanischen
Hauptstadt Baku, der sagenumwobene Jungfrauenturm, einst gedient haben könnte. „Sowohl seine äußere
Erscheinung als auch der innerer Aufbau sind völlig ungewöhnlich“, sagt Marina Döring-Williams,
Professorin und Leiterin des Fachgebiets Baugeschichte und Bauforschung am Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung
und Denkmalpflege der Technischen Universität (TU) Wien. Im März 2009 reiste sie mit einem Team von MitarbeiterInnen
ihres Instituts für zehn Tage in die Metropole am Kaspischen Meer, um den Turm mit einem Laserscanner außen
und innen im Detail zu vermessen. Damit startete ein neues Forschungsprojekt über die Baugeschichte des Jungfrauenturms,
das vom aserbaidschanischen Bauunternehmen Aikon CPIT in Kooperation mit dem aserbaidschanischen Ministerium für
Kultur und Tourismus und der Azerbaijan University for Architecture and Construction in Baku initiiert wurde. „Die
Verantwortlichen vor Ort wollen bei Dokumentation und Restaurierung dieser Architekturikone ihres Landes nicht
nur international geltende Standards einhalten, sondern auch ein denkmalpflegerisches Vorzeigeprojekt in der Innenstadt
von Baku schaffen, die mittlerweile auf der roten Liste des gefährdeten Weltkulturerbes der UNESCO steht“,
erklärt Döring-Williams.
Rätselhafte Architektur
Architektonisch hat der knapp 30 Meter hohe Bau einiges zu bieten. Ursprünglich bestand er aus einer Art Hohlzylinder
mit offenem Innenbereich. Bei einer Sanierung in den 1960er Jahren wurden Zwischengeschosse eingebaut und somit
sein ursprüngliches Aussehen stark verändert. „Der Grundriss des Turms sieht aus wie die Ziffer sechs,
mit einem kreisrunden Teil im Zentrum, von dem ein fahnenförmiger Ausläufer wegführt“, erklärt
Herbig den Aufbau des Jungfrauenturms. Innerhalb der meterdicken Mauer des sich nach oben hin verjüngenden
Turms verläuft ein Treppenhaus bis nach ganz oben. Von hier aus erreicht man acht Zwischengeschosse und das
Dach, das heute als Aussichtsplattform sehr beliebt ist. Eine senkrechte Röhre aus ineinander gesteckten konischen
Tonröhren durchzieht den gesamten Turm im Mauerwerk und nährt Spekulationen über seine einstige
Funktion. Die Theorien dazu sind vielfältig und reichen von Verwendungen als Leuchtturm über einen Sonnen-
oder Feuertempel bis zu einer Verteidigungsanlage. „Für eine militärische Nutzung als Schießscharten
sind die wenigen Öffnungen im Mauerwerk aber wegen ihrer Position und Form nicht geeignet“, sagt die Forscherin.
Verlässliche und fundierte Aussagen zu Nutzung, Bauzeit und Bauphasen des aserbaidschanischen Wahrzeichens
soll eine noch folgende interdisziplinäre Bauuntersuchung ermöglichen.
Aufwändige Lasermessungen
Im Rahmen des zehntägigen Aufenthalts der TU-ForscherInnen in Baku konnten StudentInnen der Azerbaijan University
for Architecture and Construction an einem Workshop teilnehmen. Themen dabei waren die Ortsanalyse im historischen
Kontext und die Bauaufnahme, von klassischen Methoden bis hin zur Laserscantechnologie. „Etwas über unsere
unterschiedlichen Zugänge zu Baugeschichte und Denkmalpflege zu erfahren war für beide Seiten spannend,
auch wir haben dazugelernt“, sagt Ulrike Herbig, Projektkoordinatorin am Fachbereich Baugeschichte und Bauforschung
der TU Wien. Die Ergebnisse der Bauaufnahme und des Workshops hat das TU-Team noch vor Ort im Rahmen eines internationalen
Symposiums mit dem Titel „Baku, Islamische Kulturhauptstadt 2009“ präsentiert. Auch ein 3D-Computermodell
des Turms ist bereits erstellt, jetzt folgt das Zeichnen von exakten Bauplänen. „Unsere Auswertungen sind
die erste verformungsgerechte Baudokumentation der Anlage überhaupt, und die aserbaidschanischen Forscher
warten schon ungeduldig darauf. Auch ein Team von Restauratoren aus Deutschland, das zur gleichen Zeit wie wir
am Jungfrauenturm gearbeitet hat, erwartet unsere Daten mit großem Interesse“, freut sich Herbig.
Geschichte liegt im Dunkeln
Wahrscheinlich noch vor dem elften Jahrhundert erbaut, hat der Jungfrauenturm schon viele Umbauten hinter sich,
die den Urzustand verschleiern. Ursprünglich direkt am Wasser gebaut, ist die Umgebung des Turms heute verlandet
und durch Aufschüttungen der Küste weit in die Stadt hinein gerückt. Um das Bauwerk ranken sich
viele Mythen. Die populärste Legende, der der Turm auch seinen Namen verdankt, besagt, dass ein Sultan einst
nach lokaler Sitte seine eigene Tochter heiraten wollte. Die stellte aber die Bedingung, dass zuvor ein hoher Turm
gebaut werden solle. Sobald der Turm fertig war, soll sie sich aus Verzweiflung von seiner Spitze ins Meer gestürzt
haben. |