Volksanwaltschaft empfiehlt in 38 Fällen Gesetzesänderung   

erstellt am
09. 06. 09

Bilanz 2008: 14.640 Beschwerden, 6.563 Prüfverfahren, 689 Missstände
Wien (pk) - 14.640 Beschwerden, 6.563 eingeleitete Prüfverfahren und 689 Missstandsfeststellungen – das ist die Bilanz der drei VolksanwältInnen Peter Kostelka, Gertrude Brinek und Terezija Stoisits für das Jahr 2008. Der 32. Tätigkeitsbericht der Volksanwaltschaft wurde vor kurzem dem Nationalrat vorgelegt und soll noch vor dem Sommer im zuständigen Ausschuss beraten werden. Die Abgeordneten wollen sich dabei vor allem auch mit den legistischen Empfehlungen der Volksanwaltschaft auseinandersetzen.

Wie aus dem Bericht hervorgeht, haben sich die Anregungen für Gesetzesänderungen seitens der Volksanwaltschaft mittlerweile bereits auf 38 summiert. Besonders im Sachwalterrecht, bei den gesetzlichen Bestimmungen für den Unterhaltsvorschuss, bei der Jugendwohlfahrt, bei den hohen Kosten für befristete Lenkerberechtigungen sowie bei der Ortung und Bergung von Fliegerbomben-Blindgängern, die für Private enorm teuer werden kann, ortet die Volksanwaltschaft dringenden Handlungsbedarf.

Sie schlägt aber auch vor, die Rechte von AnrainerInnen von Betriebsanlagen auszuweiten, das Schulsprengelsystem zu liberalisieren, das Antragsprinzip im Sozialversicherungsrecht zu lockern, verschiedene Adaptierungen in Bezug auf die Aus- bzw. Rückzahlung von Familienbeihilfe vorzunehmen, die Liste der Berufskrankheiten zu erweitern, die Einkommensgrenze für den Anspruch auf Mietzinsbeihilfe anzuheben, das Gebührengesetz hinsichtlich der Vergebührung von schriftlichen Scheidungsfolgenregelungen zu novellieren, Richtlinien für die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung zu erlassen und endlich die doppelte Vignettenpflicht für Fahrzeuge mit Wechselkennzeichen zu beseitigen. Zum wiederholten Mal macht sie überdies darauf aufmerksam, dass die geltende Topographieverordnung für Kärnten, die insbesondere Bestimmungen über die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln enthält, nicht verfassungskonform ist.

Volksanwaltschaft versucht auch bei Nichtzuständigkeit zu helfen
Grundsätzlich hat sich an den Arbeits- und Prüfschwerpunkten der Volksanwaltschaft wenig geändert. Nach wie vor kommen die meisten Beschwerden aus dem Bereich Arbeit und Soziales, wobei es unter anderem um die Pflegegeldeinstufung, die Berechnung des Arbeitslosengeldes und der Pension, die Auszahlung von Sozialleistungen, als unnötig empfundene Schulungen für Arbeitslose und bürokratische Hindernisse bei Förderansuchen für behinderungsbedingte Anschaffungen geht. Dahinter folgen der Justizbereich und der Zuständigkeitsbereich des Innenressorts – in beiden Bereichen zeigen die Fallzahlen kontinuierlich nach oben. Die Volksanwaltschaft führt dies im Bereich des Innenministeriums nicht zuletzt auf die Neuregelung des Fremdenrechts im Jahr 2005 zurück. Wenig Beschwerden gab es 2008 vergleichsweise hingegen über das Bundeskanzleramt und das Außenministerium.

In Zahlen ausgedrückt, wandten sich im Jahr 2008 14.680 Bürgerinnen und Bürger mit ihren Anliegen an die Volksanwaltschaft. Davon betrafen 9.641 Beschwerden die Verwaltung, für die restlichen Fälle erwies sich die Volksanwaltschaft als nicht zuständig. Aber auch hier versucht die Ombudsstelle, wie es im Bericht heißt, zu helfen und etwa Auskünfte zu erteilen. Eingeleitet wurden schließlich 6.563 Prüfverfahren, davon betrafen 4.158 die Bundesverwaltung.

Etwa gleich viele Prüfverfahren, nämlich 6.786, konnten im Berichtszeitraum abgeschlossen werden. 689 Mal sah sich die Volksanwaltschaft dabei genötigt, einen Missstand in der Verwaltung festzustellen. 3.798 Verfahren wurden hingegen ohne Missstandsfeststellung abgeschlossen. In den übrigen Fällen stellte sich letztendlich heraus, dass das Prüfverfahren unzulässig bzw. die Volksanwaltschaft nicht zuständig war. In diesen Fällen bemüht sich die Volksanwaltschaft, die Betroffenen über die Rechtslage zu informieren, mögliche Lösungsansätze aufzuzeigen und Kontakte mit den betroffenen Stellen zu vermitteln.

71 Mal machte die Volksanwaltschaft von ihrer gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch, von sich aus so genannte amtswegige Prüfungen einzuleiten, wenn sie irgendwo einen Missstand vermutet. So gingen die drei VolksanwältInnen etwa Hinweisen auf Missstände bei der Visa-Vergabe durch österreichische Vertretungsbehörden im Ausland sowie der Arbeit der Jugendwohlfahrtsbehörden nach.

Der größte Teil des mehr als 400 Seiten starken Berichts der Volksanwaltschaft umfasst die Darstellung konkreter Beschwerdefälle. Legistische Anregungen und grundrechtsrelevante Fälle wie die diskriminierende Behandlung bestimmter Personen(gruppen), die unzulässige Weitergabe sensibler Gesundheitsdaten und die Verletzung der Menschenwürde durch unzumutbare Haftbedingungen werden dabei in eigenen Berichtsteilen gesondert hervorgehoben. Erstmals wurde außerdem ein eigener Kurzbericht erstellt, der die wichtigsten Kennzahlen für 2008 und ausgewählte Prüfverfahren umfasst.

Legistische Erfolge und aufrechte Forderungen
Was die legistischen Anregungen betrifft, hebt der Bericht hervor, dass die Volksanwaltschaft durch ihre tägliche Arbeit wie kaum eine andere Institution einen Überblick darüber gewinnt, wie sich Gesetze auf den Alltag der Menschen auswirken. Ihre Vorschläge für Gesetzesänderungen stoßen bei den zuständigen Ministerien allerdings nicht immer auf offene Ohren. Manche Gesetzesadaptierungen wurden bereits vor Jahren das erste Mal angeregt und finden sich seither in jedem Bericht wieder.

Die Volksanwaltschaft kann aber auch auf einige Erfolge verweisen. So wird nun etwa bei der Pflegegeldeinstufung schwerst behinderter Kinder und Jugendlicher der erweiterte Pflegebedarf berücksichtigt. Ebenso wurde die Rechtsposition von Spitalspatienten bei fehlerhaften Medizinprodukten gestärkt und die Kennzeichnung bestimmter Arzneimittel verbessert. Um zu vermeiden, dass PatientInnen, die in ein anderes Krankenhaus verlegt werden, am Tag der Verlegung den doppelten Spitalskostenbeitrag zahlen müssen, hat das Gesundheitsministerium eine gesetzliche Klarstellung zugesagt.

Auch in Bezug auf die für manche ÖsterreicherInnen nicht mögliche visafreie Einreise in die USA konnte die Volksanwaltschaft ein Umdenken des zuständigen Ressorts erreichen. Auf Drängen der Volksanwaltschaft hat das Innenministerium nun doch alle BesitzerInnen eines zwischen Oktober 2005 und Juni 2006 ausgestellten Reisepasses individuell schriftlich davon verständigt, dass sie für die Einreise in die USA ein Visum benötigen. Die Volksanwaltschaft hofft, dass damit künftig Probleme für Urlaubsreisende, wie sie in der Vergangenheit wiederholt aufgetreten sind, weitgehend vermieden werden können.

Noch nicht gelöst ist der Volksanwaltschaft zufolge hingegen das Problem, dass pflegebedürftige Personen überdurchschnittlich lang auf das Pflegegeld warten müssen. Auch die schon seit längerem geforderte zentrale Anlaufstelle für behinderte Menschen, die einen Anspruch auf finanzielle Unterstützung durch den Staat haben, harrt der Umsetzung.

Bergung von Kriegsrelikten: Nach wie vor Streit um Kostentragung
Gleiches gilt für die ungeklärte Frage, wer die Kosten für die Ortung und Bergung von Fliegerbomben-Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg zu tragen hat. Zwar liegt hier in einem Verfahren der Stadt Salzburg gegen die Republik Österreich mittlerweile ein Urteil des Obersten Gerichtshofs vor, der OGH hat allerdings nicht in der Sache selbst entschieden, sondern auf die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs verwiesen. Die Volksanwaltschaft appelliert dringend an den Nationalrat, endlich eine Lösung in dieser Frage zu finden, da auch in der Nähe von Wohnhäusern und Kinderspielplätzen Verdachtspunkte bestünden.

Unterstützung erhält die Regierung von der Volksanwaltschaft bei ihrem Vorhaben, das Personal bei der Polizei aufzustocken. Volksanwältin Terezija Stoisits weist darauf hin, dass es immer wieder Beschwerden über die Überforderung der Polizei gebe, und veranschaulicht anhand einiger exemplarischer Beispiele die Auswirkungen der Personalknappheit.

Reform beim Unterhaltsvorschuss und im Sachwalterrecht notwendig
Als überfällig wertet die Volksanwaltschaft gesetzliche Änderungen in Bezug auf den Unterhaltsvorschuss. Das geltende System habe sich in der Praxis als unzulänglich herausgestellt, kritisieren die drei VolksanwältInnen und beurteilen auch die bisherigen Verbesserungsvorschläge des Justizressorts als ungenügend. Es reicht ihrer Meinung nach nicht aus, das Unterhaltsvorschuss-Verfahren zu beschleunigen, vielmehr müssten Vorschusszahlungen auch vom Vorliegen eines Unterhaltstitels entkoppelt werden, da es hier in der Praxis, so die Volksanwaltschaft, immer wieder zu sozialen Härtefällen komme. Angeregt wird die Einführung fixer, altersmäßig gestaffelter Vorschussleistungen.

Unzufrieden ist die Volksanwaltschaft auch mit dem geltenden Sachwalterrecht. Zwar wurden die gesetzlichen Bestimmungen in diesem Bereich 2007 grundlegend adaptiert, mit dem Ziel, mehr Selbstbestimmung für Betroffene zu ermöglichen, die Rechte der Angehörigen zu stärken und eine individuellere Betreuung zu gewährleisten. Allerdings schaffen, wie die Volksanwaltschaft festhält, auch die neuen Regelungen im Alltag immer wieder Probleme. Insgesamt sind in Österreich derzeit rund 85.000 Personen zumindest teilweise "besachwaltert", Tendenz weiter steigend.

Desolate Kasernen und unwürdige Haftbedingungen
Um Probleme vor Ort zu lokalisieren, führt die Volksanwaltschaft auch immer wieder Lokalaugenscheine durch. So hielt sie im Jahr 2008 Sprechtage in mehreren Justizanstalten und Bundesheer-Kasernen ab und beanstandete in diesem Zusammenhang etwa die bei starkem Regen auftretende Überflutung der Anstaltsküche der Justizanstalt Stein mit Fäkalien, die verbreitete Unterbringung von zwei Häftlingen in Einzelhafträumen und die teilweise desolaten Mannschaftsunterkünfte für SoldatInnen. Besonderen Sanierungsbedarf sieht sie bei der Schwarzenbergkaserne in Wals-Siezenheim. Die Volksanwaltschaft empfiehlt, im Rahmen der Maßnahmen zur Konjunkturbelebung im Budget der Jahre 2009 bis 2011 verstärkt auch Mittel für die Sanierung von Unterkünften für Präsenzdiener bereit zu stellen.

Auf enorme Defizite stieß die Volksanwaltschaft im Rahmen ihrer Prüftätigkeit auch im Bereich der Jugendwohlfahrt. Sie stellte fest, dass die Fallzahlen der Jugendwohlfahrtsträger österreichweit in den letzten 15 Jahren um ca. 150 Prozent gestiegen sind, ohne dass die Planstellen von den Ländern entsprechend erhöht wurden. So kann der Volksanwaltschaft zufolge heute praktisch nur mehr auf Akutfälle reagiert werden. Um Familien längerfristig zu betreuen, gebe es zu wenig Personal. Die Volksanwaltschaft fordert unter anderem bundesweit einheitliche Qualitätsstandards und eine bessere Fortbildung. Kritik übt sie zudem daran, dass es bei den Jugendämtern kein Recht auf Akteneinsicht gibt.

Hohe Kosten für Führerscheinverlängerungen
Im Ressortbereich Verkehr wertet es die Volksanwaltschaft unter anderem als unverständlich, dass Lkw- und BusfahrerInnen bei der Verlängerung von Führerscheinen besser gestellt werden als chronisch kranke und behinderte Menschen, die ihren Pkw-Führerschein jeweils nur befristet bekommen. Die Bemühungen der Volksanwaltschaft, die anfallenden Gebühren für die Betroffenen zu reduzieren, blieben bislang allerdings erfolglos. Gleiches gilt in Bezug auf die doppelte Vignettenpflicht für Fahrzeuge mit Wechselkennzeichen.

Was den Familienbeihilfe-Bezug anlangt, treten besonders bei ausländischen Familien häufig Probleme auf. So werden etwa laut Bericht Anträge ungerechtfertigt abgelehnt oder von den Behörden unnötig umfangreiche Unterlagen verlangt. Die betroffenen Familien warten zum Teil mehrere Jahre auf die ihnen zustehenden Leistungen. Es kann aber auch zügiges Studieren, wie ein konkreter Fall zeigt, zum Verlust der Familienbeihilfe führen. Als große Härte empfindet es die Volksanwaltschaft darüber hinaus, dass zu Unrecht bezogene Familienbeihilfe zurückgezahlt werden muss, auch wenn der unrechtmäßige Bezug ausschließlich auf Fehler der Behörde zurückzuführen ist und der/die Betroffene die Familienbeihilfe in gutem Glauben bezogen hat.

Aufmerksam macht die Volksanwaltschaft in ihrem Kurzbericht schließlich darauf, dass Anrainer oft wenig Handhabe gegen angrenzende Betriebe haben, die sie in ihrer Wohn- und Lebensqualität beeinträchtigen. Die Gewerbeordnung ist nämlich dann nicht anwendbar, wenn die störende betriebliche Tätigkeit nicht unter die Gewerbeordnung fällt oder eine Gewerbsmäßigkeit nicht festgestellt werden kann.

Internationale Aktivitäten der Volksanwaltschaft
In Bezug auf ihre internationale Aktivitäten weist die Volksanwaltschaft im Bericht unter anderem auf ihre Bemühungen hin, das Generalsekretariat des International Ombudsman Institute (IOI) nach Wien zu holen. Die formale Entscheidung ist zwar noch nicht gefallen, doch zeigen sich die VolksanwältInnen zuversichtlich hinsichtlich eines erfolgreichen Abschlusses des Vorhabens. Die IOI ist die weltweit größte Vereinigung von Ombudsmann-Einrichtungen.

Die Volksanwaltschaft hält für Rat- und Hilfesuchende regelmäßig Sprechtage ab – 2008 waren es 231 – und kann auch via Online-Beschwerdeformular (www.volksanwaltschaft.gv.at) bzw. über die kostenlose Service-Nummer 0800/223 223 kontaktiert werden. Als wichtige Plattform für ihre Anliegen wird von der Volksanwaltschaft die ORF-Sendung "Bürgeranwalt" gewertet.
     
Informationen: http://www.parlinkom.gv.at    
     
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