Aktuelle Stunde im Nationalrat zum Thema Bildungspolitik
Wien (pk) - Die Sitzung des Nationalrats am 16.06. wurde mit einer von der SPÖ beantragten Aktuellen
Stunde zum Thema "Bildungspolitische Schwerpunkte für das Schuljahr 2009/2010" eingeleitet. Abgeordneter
Elmar MAYER (S) begann seinen Redebeitrag mit der Feststellung, die Bildungspolitik sei von Bundesministerin Schmied
auf Reformkurs gebracht worden. Das habe mit der schrittweisen Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen
und der Einführung von Kleingruppenunterricht begonnen, womit die Möglichkeiten zu einer individuellen
Förderung verbessert worden seien. Trotz eines restriktiven Budgets werde die Schulreform von der Ministerin
nun hartnäckig und kontinuierlich weiterentwickelt, sagte Mayer. Österreich beschreite nun den Weg zu
einer modernen Bildungspolitik. Als Herzstück der Reform bezeichnete Mayer die Neue Mittelschule. Sie würde
Schülerinnen und Schülern neue Chancen eröffnen, denn derzeit würden viele Kinder in Sonderformen
geschickt, wo sie nicht hingehörten. Mit dem Schulversuch werde erprobt, was möglich ist. Man könne
es sich weder bildungspolitisch noch volkswirtschaftlich leisten, für Zehn- bis Vierzehnjährige ein viergliedriges
System zu erhalten, mahnte der SPÖ-Bildungssprecher. Nur in einer gemeinsamen Ausbildung aller sei eine individuelle
Förderung und Forderung möglich. Auch für die Begabtesten seien die Chancen größer, wenn
sie gemeinsam mit den anderen unterrichtet werden.
Auch Bundesministerin Claudia SCHMIED bekräftigte ihren Willen, nach dem Budgetbeschluss die Reformen weiter
zu verfolgen. Sie unterstrich in diesem Zusammenhang, dass das Budget von 6,8 auf 7,2 Mrd. € erhöht worden
sei, und dazu komme die Liquiditätsüberbrückung in Form der Stundungen durch die BIG. Sie erinnerte
an die geplanten Investitionen in den Schulausbau und die Infrastruktur, wofür im Schuljahr 2009/2010 600
Mio. €, die zum großen Teil aus dem Investitionsprogramm der Regierung kommen, zur Verfügung stehen.
Ein Großteil der zusätzlichen Mittel aus ihrem Budget gehe in die Beschäftigung von LehrerInnen,
betonte Schmied. Die Ministerin beschwor nun gegenseitiges Vertrauen und konstruktive Zusammenarbeit. Als ihre
drei wichtigsten Ziele nannte sie die beste Bildung für alle Kinder, indem man auf Begabungen und Talente
achte, da Spitzenleistungen eine breite Basis brauchen. Der zweite Punkt betrifft mehr Chancengleichheit, da Bildungsabschlüsse
nicht von der Geldbörse der Eltern abhängen dürfen. Schließlich ist die Ministerin bestrebt,
den Anschluss an internationale Spitzenleistungen zu schaffen.
Für das Schuljahr 2009/2010 gab die Bildungsministerin zehn Maßnahmen bekannt, die im Vordergrund stehen
werden. Das ist zunächst einmal die schrittweise Verkleinerung der Klassen, wovon im Endausbau rund 880.000
SchülerInnen profitieren werden. Auch in der Berufsschule beabsichtigt Schmied, Kleingruppen einzurichten,
um vor allem die kommunikativen Fähigkeiten zu verbessern. Weitere Pläne betreffen die Senkung der Dropoutquote,
insbesondere in der neunten Schulstufe, und die Sprachförderung. Jedes Kind, das in Österreich die Schule
besucht, müsse Deutsch können, hielt die Ministerin fest, die sich viel vom beitragsfreien, verpflichtenden
Kindergartenjahr erwartet. Ein besonderes Anliegen ist ihr der Schulversuch Neue Mittelschule, den man genau evaluieren
werde, wie sie versprach, sowie ein qualitätsorientierter Ausbau der Tagesbetreuung. Dafür sei ein Gütesiegel
entwickelt worden, um das sich die Schulen bemühen müssten, informierte Schmied die Abgeordneten. Weitere
Vorhaben zielen auf die Einrichtung von Managementstrukturen an den Schulen ab, auf Gewaltprävention, auf
Lehre mit Matura, auf die Stärkung der Privatschulen sowie auf eine bessere Bildungsberatung. Als ihre drei
strategischen Projekte bezeichnete die Ministerin ein neues Dienst- und Besoldungsrecht für LehrerInnen, eine
moderne gemeinsame Ausbildung für alle im Lehrberuf Tätigen und eine Verwaltungsreform.
Abgeordnete Laura RUDAS (S) fand für die Arbeit der Ministerin lobende Worte. So viel sei noch nie im Bildungsbereich
geschehen, meinte Rudas, und das sei wichtig, denn in den Klassenzimmer würde entschieden, in welcher Gesellschaft
wir leben. Als ein wesentliches Ziel nannte Rudas Chancengerechtigkeit und die Ermöglichung von Spitzenleistungen.
Hier dürften parteipolitische Dogmen keine Rolle spielen, bemerkte sie und zeigte vor allem ihre Unterstützung
für die Neue Mittelschule. Diese fände in allen Bundesländern enormen Zuspruch und sei auch ein
richtiger Weg, da man es nicht zulassen könne, Zehnjährigen unterschiedliche Chancen zuzugestehen. Ein
besonderes Anliegen war Rudas der Ausbau der Tagesbetreuung. Bildung müsse in der Schule stattfinden, Erziehung
zu Hause, so Rudas, die zum Schluss ihrer Rede das Zulassen von kritischem Denken einforderte.
Abgeordneter Werner AMON (V) knüpfte an die Aussagen von Rudas an und plädierte für einen offenen
Prozess ohne jegliche Dogmen in der Schulreform. Der Versuch Neue Mittelschule werde 2013 evaluiert, und dann könne
man entscheiden, was ins Regelschulwesen übernommen wird, sagte Amon, indem er gleichzeitig Abgeordneten Elmar
Mayer kritisierte, der sich dezidiert für eine gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen ausgesprochen
hatte. Bildungspolitik, so Amon, habe die besten Rahmenbedingungen bereitzustellen. Er sprach sich für eine
Verbesserung der LehrerInnenausbildung aus und wies auf die Arbeitsgruppe hin, die dazu neue Vorschläge unterbreiten
wird. Es sei notwendig, die LehrerInnen zu motivieren und zu deren Entlastung eine mittlere Führungsebene
an den Schulen zu installieren. Nur die besten LehrerInnen seien auch imstande, ein individualisiertes Angebot
bereitzustellen. Amon trat daher auch für ein neues Dienst- und Besoldungsrecht sowie für die Stärkung
der Autonomie der einzelnen Schulstandorte ein. Er teilte die Auffassung von Rudas, dass die Nachmittagsbetreuung
qualitativ verbessert werden müsse, meinte aber, dass Bildung durchaus auch zu Hause stattfinden, Erziehung
auch in der Schule erfolgen sollte. Immer mehr Erziehungsaufgaben würden an die Schulen abgetreten, weshalb
man den LehrerInnen auch die entsprechenden Mittel in die Hand geben müsste, ihre Erziehungsaufgaben bewältigen
zu können, schloss Amon.
Abgeordneter Walter ROSENKRANZ (F) widersprach Abgeordneter Rudas und meinte, die Zukunft der Gesellschaft beginne
in der Familie und nicht im Klassenzimmer. Er warf SPÖ und ÖVP vor, dass im österreichischen Bildungssystem
noch immer das rote und schwarze Parteibuch im Vordergrund stehe. Seine Bilanz der Bildungspolitik des letzten
Jahres fiel negativ aus. Laut Rosenkranz hat sich nicht viel getan, zwei Monate habe es sogar absoluten Stillstand
gegeben. Die Ministerin habe heute nichts Neues gesagt, und Rosenkranz hegte auch große Zweifel, dass die
angekündigten Reformen schnell umgesetzt werden. Die Reformschritte würden immer kleiner, und das sei
unerträglich, meinte er. So würden beispielsweise keine Maßnahmen gegen die steigende Gewalt an
den Schulen gesetzt, kritisierte er. Die Bildungsdebatte bewege sich nicht vom Fleck, die Themen würden nur
vor sich hergeschoben.
Abgeordnete Ursula HAUBNER (B) machte darauf aufmerksam, dass die Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen
bereits im Jahr 2006 unter einer anderen Regierung beschlossen worden sei. Dies werde nun zwar weitergeführt,
Klein- und Kleinstschulen, die bildungspolitische Nahversorgung, würden jedoch geschlossen, kritisierte Haubner.
Auch sie konnte keinen Reformeifer der Koalition erkennen, und sprach sogar von Reformverweigerung. Vor allem fehlte
ihr eine effiziente Schulverwaltung, ein einheitliches Dienst- und Besoldungsrecht und die Einführung zielführender
Integrationsmodelle. Die Schule sei nach wie vor eine ideologisierte Spielwiese für SPÖ und ÖVP,
und derzeit sei Blockade angesagt. Das beste Beispiel dafür sei die Zentralmatura, sagte Haubner. Ungelöst
sei nach wie vor das Nachhilfeunwesen, wo sie akuten Handlungsbedarf ortete. Haubner erinnerte einmal mehr an den
Antrag des BZÖ, in dem vorgeschlagen wird, LehrerInnen zu verpflichten, in den letzten Ferienwochen Nachhilfeunterricht
zu erteilen. Man könnte für Nachhilfeunterricht auch die schulautonomen Tage heranziehen, meinte sie.
Abgeordnete Eva GLAWISCHNIG-PIESCZEK (G) argumentierte ähnlich. Die Bildungsministerin sei sowohl vom Bundeskanzler
als auch vom Koalitionspartner während der Budgetverhandlungen im Regen stehen gelassen worden, und sie wisse
nicht, wann ihr die ÖVP wieder in den Rücken fallen werde. Es sei daher ein Rätsel, wie Schmied
unter zusätzlichen budgetären Erschwernissen dies alles in den Griff bekommen wolle. Die Ministerin habe
daher heute lediglich ein Wunschkonzert heruntergebetet, meinte Glawischnig-Piesczek, ohne jedoch imstande zu sein,
konkrete Realisierungsschritte anzukündigen. Von Behindertengerechtigkeit werde nicht mehr gesprochen, und
Mittel für das Bauprogramm seien umgeschichtet worden, bemerkte die grüne Klubchefin. Sie halte es auch
für mutig, dass die Ministerin das Wort Verwaltungsreform in den Mund nimmt, zumal weit und breit kein politischer
Wille dazu vorhanden sei. Weder in den strategischen Zielen noch im Budget finde sich ein Ansatz, wie man die "Baustelle
Bildungspolitik" bewältigen könne. Positive Worte fand Glawischnig-Piesczek für das kostenlose
verpflichtende Kindergartenjahr, da für die Kinder vor allem im frühkindlichen Bereich der "Rucksack
fürs Leben" gepackt werde. Es fehle jedoch ein umfassender Bildungsplan für die frühkindliche
Bildung, bemerkte sie. Abschließend mahnte die Rednerin mehr budgetäre Verantwortung des Bundeskanzlers
und des Vizekanzlers für die Bildungspolitik ein.
Abgeordnete Andrea KUNTZL (S) wandte sich dagegen, bei Erziehung und Bildung Familie und Schule gegeneinander auszuspielen.
Beide Bereiche hätten in Bildung und Erziehung wichtige Aufgaben zu erfüllen. Es gehe darum, Kinder zu
unterstützen und Begabungen individuell zu fördern. Darin liege die wichtige Aufgabe der PädagogInnen,
meinte Kuntzl. Einen wesentlichen Baustein dafür stellten kleinere Klassen und kleinere Gruppen dar. Volle
Unterstützung kam von Kuntzl für die Neue Mittelschule. Ziel dieses Erfolgsmodells sei es, bei Neunjährigen
nicht weiter Schicksal zu spielen, merkte sie an. Auch Kuntzl begrüßte die Einführung des beitragsfreien,
verpflichtenden Kindergartenjahres.
Abgeordnete Beatrix KARL (V) hielt es für falsch, Bildungsdiskussionen auf Strukturfragen zu reduzieren. Im
Vordergrund müssten ihrer Meinung nach Qualität, Vielfalt und Attraktivität stehen, die Leistungsfähigkeit
der Einzelnen frühzeitig zu erkennen, Schwache zu fördern und Starke zu fordern. Die Schule habe faire
Chancen zu bieten und ein lebensbegleitendes Angebot bereitzustellen. Karl konzentrierte sich in weiterer Folge
auf den Übergang von der Schule in den tertiären Bildungsbereich. Die Vorbereitung auf die individuelle
Studienwahlentscheidung müsse in der Schule erfolgen, meinte sie und sprach sich für eine bessere Kooperation
und neue Formen der individuellen Begleitung, wie beispielsweise Tutoring und Coaching, aus. Eine besondere Bedeutung
maß Karl der Studieneingangs- und Studienorientierungsphase bei. Karl begrüßte in diesem Zusammenhang
auch die geplante Novelle zum Universitätsgesetz, da nun in allen Studiengängen Bachelor- und Masterstudien
angeboten werden, was zu einer individuellen Gestaltung des Bildungskanons beitrage. Ein wesentliches Element zur
Qualitätsverbesserung sah Karl auch in der Verbesserung der LehrerInnenausbildung.
Abgeordnete Heidemarie UNTERREINER (F) machte auf den engen Zusammenhang aufmerksam, der zwischen der Bildungspolitik
und der Kulturpolitik bestehe und bedauerte, dass die Ministerin die Chancen nicht nütze, die die Vereinigung
dieser Bereiche in ihrem Ressort biete. Es sollte ein wichtiges Ziel für Österreich sein, seine Position
an der Spitze der Kulturnationen zu erhalten, diese werde aber nur möglich sein, wenn die musische Ausbildung
der Kinder bereits im Kindergarten und in der Volksschule einsetze. "Die Volksschullehrer waren durch Jahrzehnte
hindurch wichtige Kulturträger", erinnerte die Abgeordnete und mahnte die Verantwortung der Politik für
die Erhaltung der Stellung Österreichs in der Musik ein. Eine Enquete etwa werde zu wenig sein, um das einmalige
Kulturgut "Wiener Klassik" für die nächsten Generationen lebendig zu erhalten.
"Wo bleibt die Bildungsreform?", fragte die Abgeordnete weiter, kritisierte die zehn Punkte der Ministerin
als "Flick- und Stückwerk" und meinte gegenüber den Sozialdemokraten, der "kritische Schüler"
reiche als bildungspolitische Zielvorstellung nicht aus, es gehe darum, den Schülern das geistige Rüstzeug
zu vermitteln, das sie brauchen, um ein sinnerfülltes Leben gestalten zu können. Die Rednerin plädierte
für eine ethische Bildung der Kinder, für Tugenden und moralische Haltungen.
Abgeordneter Rainer WIDMANN (B) konnte der bisherigen Bildungsdebatte nichts Aktuelles entnehmen und bedauerte
dies, weil die Bildung der Kinder der Rohstoff für die Zukunft des Landes sei. Namens des BZÖ grenzte
sich der Redner von Positionen ab, die die Bildungsaufgaben vorwiegend dem Staat oder vorwiegend der Familie zuordnen
wollen und erinnerte daran, dass Jörg Haider den Gratiskindergarten in Kärnten bereits vor Jahren eingeführt
habe. Kritik übte der Redner auch an Mängeln in der Schulinfrastruktur. Die Regierung reagiere nicht
darauf, dass Kinder in Containerklassen unterrichtet werden, in Gebäuden sitzen müssen, in die es hineinregne
oder Kleinschulen geschlossen werden. Es sei auch abzulehnen, wenn die Ministerin beabsichtige, die Zentralmatura
gegen eine Novelle des Unterrichtsgesetzes - wie in einem Basar - zu tauschen. Bei dieser Novellierung sollten
auch Experten zu Wort kommen und Betroffene gehört werden.
Abgeordneter Harald WALSER (G) sprach von einem Skandal, wenn auch in diesem Schuljahr wieder 8.000 Kinder ihre
Schulkarriere beenden, ohne sinnerfassend lesen zu können. Das sei der Grund, warum viele Betriebe darauf
verzichten, Lehrlinge auszubilden - "eine Bankrotterklärung unserer Bildungspolitik", merkte der
Redner an. Dazu komme, dass Jahr für Jahr 50.000 SchülerInnen das Lehrziel nicht erreichen und 40.000
von ihnen eine Schulklasse wiederholen müssen, was bedeute, auch Fächer zu wiederholen, in denen sie
oft hervorragende Leistungen erbracht haben. Klassenwiederholungen seien nur in Ausnahmefällen sinnvoll, in
der Regel sei es pädagogisch falsch, belaste die SchülerInnen, deren Eltern und die ganze Volkswirtschaft.
Im Schulsystem seien Reformen dringend notwendig, sagte Walser und appellierte an die Abgeordneten, endlich mit
Mut zukunftsorientierte bildungspolitische Entscheidungen zu treffen. |