Krise bedroht globale Entwicklungsziele - Parlamente sind gefragt   

erstellt am
24. 06. 09

Barbara Prammer für starke Rolle der ParlamentarierInnen in der EZA
Wien (pk) - In Sorge um den Weltfrieden hat die UNO-Gipfelkonferenz im September 2000 in New York die Millenniums-Entwicklungsziele verabschiedet, zu denen die Halbierung der Weltarmut bis 2015 zählt. Das Programm mit dem internationalen Titel Millennium Development Goals (MDG) wurde seither von führenden Ökonomen, Sozialwissenschaftlern und Politologen im Auftrag der UNO konkretisiert, wobei völlig neue Konzepte für eine wirksamere Entwicklungszusammenarbeit (EZA) zwischen Nord und Süd erarbeitet und bereits praktische Fortschritte erzielt wurden. Diese Fortschritte sind seit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im September 2008 allerdings in Gefahr, weil Investitionen zurückgehen und Kreditmöglichkeiten eingeschränkt werden, die Nachfrage nach Produkten des Südens einbricht und viele Geberländer ihre EZA-Budgets kürzen. In diesem Zusammenhang gewinnt die stärkere Rolle, die den Parlamenten weltweit bei der Umsetzung des MDG-Programms zugewiesen wurde, weiter an Bedeutung - so Präsidentin Barbara Prammer unisono mit hochrangigen Referenten aus aller Welt, unter ihnen auch AWEPA-Präsident Jan Nico Scholten, die heute auf ihre Einladung bei einer Tagung des "Parlamentarischen Nord-Süd-Dialogs" mit dem Titel "Getting involved - Parlamente als Akteure wirksamer Entwicklungszusammenarbeit" im Hohen Haus zusammentrafen.

In ihren Begrüßungs- und Einleitungsworten unterstrich Präsidentin Prammer ihr nachdrückliches Bekenntnis zu einer neuen starken Rolle der ParlamentarierInnen in den Geber- und in den Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit. Ziele des im Mai 2006 gestarteten Parlamentarischen Nord-Süd-Dialogs seien die Förderung von EZA-Themen im österreichischen Parlament, eine Partnerschaft zwischen den Parlamenten Österreichs und Mozambiks und die Stärkung der österreichischen AWEPA-Sektion (Europäische Parlamentarier für Afrika). Mit großer Freude begrüßte Prammer eine Delegation von ParlamentarierInnen aus Mosambik, gab ihrer Freude über die gute Zusammenarbeit der beiden Parlamente Ausdruck und informierte über die intensive Kooperation auf Beamtenebene.

In ihren Ausführungen ging die Nationalratspräsidentin auf die Erklärung von Paris im Jahr 2005 zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit ein und sah die Zeit gekommen, sich genau anzusehen, wie weit man diesem Ziel bereits ist und was für eine effektivere Entwicklungszusammenarbeit noch zu tun sei. Dabei wies Prammer auf das Aktionsprogramm von Accra 2008 hin, wo die Eigenverantwortung der Partnerländer als Schlüssel zum Erfolg bezeichnet wurde. "Das funktioniert aber nicht, wenn wir den Parlamentarismus ausklammern", sagte Prammer und plädierte dafür, durch direkte Budgethilfe an die Partnerländer die Parlamente in den Empfängerländern zu stärken und deren Kontrolltätigkeit zu erleichtern". Parlamentarische Kontrolle der Verwaltung sei mindestens so wichtig wie Gesetzgebung, unterstrich Prammer einmal mehr. ParlamentarierInnen sollen die Entwicklungszusammenarbeit sowohl in den Geber- als auch in den Partnerländern überwachen.

"Wir brauchen demokratische Strukturen mit starken Parlamenten, um die Effizienz der EZA zu erhöhen und die Korruption zu bekämpfen", sagte die Nationalratspräsidentin und hob die Bedeutung internationaler Organisationen wie IPU, INTOSAI und AWEPA für die gemeinsame Weiterentwicklung der Entwicklungszusammenarbeit und des Parlamentarismus im Interesse der Menschheit hervor.

Als Themen für die heutige Tagung nannte Prammer die neue Struktur und die direkte Budgethilfe in der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, die diesbezügliche Rolle der ParlamentarierInnen, die Vorschläge der AWEPA zur Stärkung der Parlamente bei der Budgetkontrolle, Fallbeispiele zur Analyse der aktuellen Situation aus der Sicht einer Parlamentarierin aus Mosambik und die Zusammenarbeit der ParlamentarierInnen mit der Zivilgesellschaft.

Marina Ponti: ParlamentarierInnen sollen kohärente EZA sichern
Die Direktorin der Millenniums-Ziele-Kampagne für Europa Marina Ponti unterstrich die Bedeutung des MDG-Programms als einmalige Gelegenheit, die Weltarmut mit einem klar definieren Zeitplan zu überwinden. Bis zum Ausbruch der aktuellen Wirtschaftskrise im letzten Oktober war die Welt, so Ponti, zumindest bei der Halbierung der Zahl extrem armer Menschen weltweit gut unterwegs. Nun ziehe die Krise Rückschläge nach sich: Investitionen in den Entwicklungsländern nehmen ab, Kredite wurden reduziert, die Nachfrage nach Produkten des Südens nimmt ab, die Konjunktur bricht ein und die Zahl der Hungernden droht laut UNO 2009 von 915 Mio. Menschen auf mehr als 1 Milliarde Menschen anzusteigen. Gute und schlechte Nachrichten kommen aus den Geberländern - während etwa Deutschland oder Spanien ihre EZA-Mittel steigerten oder aufrechthielten, drohten in anderen Ländern Kürzungen der EZA-Mittel.

Daher sei es notwendig, so Marina Ponti, die Wirksamkeit der EZA zu erhöhen: "Wähler und Steuerzahler wollen sichergestellt sehen, dass jeder Cent, den die Regierungen für EZA ausgeben, sinnvoll verwendet wird." Reiche und arme Länder müssten daher ihre Verantwortung im Kampf gegen die Armut gemeinsam wahrnehmen.

Zunächst sollten die Entwicklungsländer ihre Politik verbessern, die Ausgaben kontrollieren und ihren Bürgern Rechenschaft über die Entwicklungspolitik ablegen. Die Geberländer wiederum sollten eine produktive Rolle in einer globalen Partnerschaft für Entwicklung einnehmen, ein System der Arbeitsteilung zwischen Nord und Süd etablieren und die EZA-Mittel wie vereinbart steigern - auf 0,51 % des BIP bis 2010 und auf 0,7 % bis 2015.

In zunehmendem Maße gehe es aber auch um eine höhere Qualität der Hilfe. Um den ärmsten Menschen zu helfen, müssen die Entwicklungsländer selbst Prioritäten setzen. "Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass Geberländer Entwicklungsländer entwickeln - diese Länder müssen sich selbst entwickeln", sagte Ponti. Die Geberländer sollen endlich ihre nationalen Flaggen einrollen und damit aufhören, Schulen und Spitäler zu bauen. Sie sollten Entwicklung auch nicht länger als "ihr" Projekt betrachten.

Die Millenniums-Entwicklungsziele sehen daher für reiche Länder vor, die eigenen Armuts-Programme der EZA-Länder zu unterstützen und sicherzustellen, dass die Regierungen dort ihre Verantwortung gegenüber den eigenen BürgerInnen wahrnehmen. Mit einem Wort: Mehr Respekt der Geberländer für die Eigenverantwortung der EZA-Länder.

An dieser Stelle erinnerte Ponti an die Grundsätze der Pariser Deklaration für eine wirksamere Entwicklungshilfe von 2005: Stärkung der Eigenverantwortung, Anpassung an Partnerländer, Verringerung der Transaktionskosten, mehr Transparenz und Planungssicherheit und wechselseitige Rechenschaftspflicht in einem geordneten politischen Dialog. Unter maßgeblicher Mitwirkung von Österreich, wie Ponti lobend erwähnte, wurde die Pariser Erklärung im Jahr 2008 in Accra insofern konkretisiert, als den Parlamenten und den Parlamentariern eine starke Rolle bei der Kontrolle der Umsetzung der EZA-Programme zugewiesen wurde.

Pontis Appell an Österreich lautete, die politische Kompetenzzersplitterung - mehrere Ministerien seien für EZA zuständig - zu überwinden und die Kohärenz in der Entwicklungspolitik zu erhöhen.

Auf dem Weg zu den Millenniums-Entwicklungszielen komme den Parlamenten eine wichtige Rolle zu, zeigte sich Marina Ponti überzeugt und erinnerte an die parlamentarische Steuer- und Finanzhoheit. Ponti hob die Arbeit des EZA-Ausschusses im Österreichischen Parlament ebenso hervor wie das Engagement der österreichischen Parlamentarier im Parlamentarischen Nord-Süd-Dialog und hielt es für wichtig, dass Parlamente die Verantwortung der Regierungen für die EZA einmahnen und zugleich ihre Position in der Öffentlichkeit dafür nützen, die Aufmerksamkeit der Menschen für die Notwendigkeit der EZA zu wecken.

Brendan Howlin: Was können Parlamente in der EZA bewirken?
Der Vizepräsident des irischen Parlaments und Vizepräsident der AWEPA (Europäische Parlamentarier für Afrika) Brendan Howlin unterstrich die gemeinsame Botschaft der Pariser Erklärung von 2005 und des Aktionsprogramms von Accra aus dem Jahr 2008: Die Millenniumsziele können nur erreicht werden, wenn Geber- und Entwicklungsländer einander wechselseitig rechenschaftspflichtig sind und die lokalen Systeme der Entwicklungsländer nützen.

Wurde der Entwicklungsprozess bisher stark von den Regierungen der Geberländer dominiert, gelte es nun, die Parlamentarier in die Entwicklungsarchitektur einzubeziehen, wie dies die internationalen Parlamentarierorganisationen AWEPA, IPU und das Panafrikanische Parlament (PAP) verlangen.

Die Parlamente sollen laut Brendan Howlin künftig in der EZA künftig aber weder als Arm der Regierung noch als zusätzliche NGOs tätig werden, sondern Teil des Systems sein und in den Geberländern als EZA-Koordinatoren und Kontrollore für Transparenz und demokratische Legitimität sorgen.

Noch herausfordernder sei die Aufgabe für die Parlamente der Entwicklungsländer. Da die Instrumente Allgemeiner und Sektoraler Budgethilfe immer wichtiger werde, steige der Bedarf an einer effektiven lokalen Überwachung der Entwicklungsmaßnahmen. Für diese Aufgabe müssen die Parlamentarier in den Entwicklungsländern ausgerüstet und geschult werden. Soll die Praxis des ausschließlichen Kontakts zwischen Regierungsvertretern geändert werden, bedürfe es in den Entwicklungsländern einer funktionierenden Gebarungskontrolle auf lokaler Ebene. Dies setze informierte und engagierte Mandatare in den Entwicklungsländern voraus. Den Parlamenten im Süden mangle es aber noch an den dafür notwendigen Kapazitäten, klagte Brendan Howlin und appellierte an die Geberländer, am Aufbau parlamentarischer Strukturen im Süden engagiert mitzuwirken.

Wichtig sei im Prozess der Entwicklung auch die Rolle der Zivilgesellschaft, die das Parlament unterstützt und mit den Parlamentariern beim Erreichen der Entwicklungsziele kooperiert. Noch sei die Rolle der Parlamente des Südens in der Entwicklungszusammenarbeit minimal, sagte der irische Parlamentarier, eine effektive Budgetkontrolle durch die Parlamente sei aber unverzichtbar, wenn die Idee der repräsentativen Demokratie und das Votum des Wählers respektiert werden sollen.

Schließlich unterstrich Brendan Howlin auch die Bedeutung der Medien und ihrer Zusammenarbeit mit Parlament und Zivilgesellschaft bei Umsetzung und Kontrolle von Entwicklungsprogrammen und beim Kampf gegen die Korruption.

Virginia Videira: Mehr direkte Budgethilfe für EZA-Partnerländer!
Dann informierte Virginia Videira, die Vorsitzende des Planungs- und Budgetausschuses des Mosambikanischen Parlaments, die Tagungsteilnehmer darüber, dass derzeit nur 62 % der EZA-Mittel, die ihrem Land zufließen, der parlamentarischen Kontrolle unterliegen und plädierte unter Hinweis auf die Pariser Erklärung dafür, den Anteil der staatlichen Budgethilfe im Zuge der EZA von derzeit 31 % zu erhöhen, was automatisch zu einer besseren Nutzung der nationalen Kontrollmechanismen Mosambiks führen würde. Das Parlament würde über alle Vereinbarungen zur Entwicklungszusammenarbeit informiert und könnte seinen Einfluss bei Entscheidungen über die Verwendung der Mittel geltend machen.

Darüber hinaus plädierte die Parlamentarierin aus Mosambik für klar definierte Fünfjahres-Programme zur sektoralen Entwicklungshilfe, für eine bessere Information der Mandatare, eine bessere Abstimmung zwischen den EZA-Programmen der Geber- und der Entwicklungsländer, eine bessere mittelfristige Planbarkeit und für sparsamere Koordinationsmechanismen. Virginia Videiras fügte die Bitte hinzu, die Ausschüsse der Nationalversammlung Mosambiks technisch und finanziell zu unterstützen, damit sie ihren Kontrollaufgaben nachkommen können. So wie die Vertreter von Regierungen einander treffen und Informationen über die EZA austauschen, sollten auch die Parlamente auf Geber- und Empfängerseite Informationen über EZA austauschen, um gemeinsam sicherzustellen, "dass EZA-Mittel zum Wohle unserer Völker verwendet werden", schloss Virginia Videira.

Über die von Virginia Videira angesprochene direkte Budgethilfe in der österreichischen EZA und die damit verbundene bessere Kontrollmöglichkeit der Mittelverwendung durch die Parlamente der Empfängerländer spricht Laura Leyser von der Österreichischen Entwicklungsagentur (ADA).

Über die Erhöhung der Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit in den Geberländern unter besonderer Berücksichtigung der Parlamente und der Zivilgesellschaft referiert Karin Küblböck (Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung).

Mit der Budgethilfe in Mosambik setzt sich Ulrich Golaszinski (Friedrich Ebert Stiftung) auseinander, während Jeff Balch (AWEPA) über das AWEPA-Programm zur Stärkung der Kapazitäten in der parlamentarischen Budgetkontrolle referiert.
     
Informationen: http://www.parlinkom.gv.at    
     
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