Fortsetzung und Abschluss der Tagung der Parlamentspräsidentinnen
Wien (pk) - Die Parlamentspräsidentinnen der Internationalen Parlamentarischen Union (IPU) setzten
am 14.07. ihre Tagung in Wien mit dem Thema "Die Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise auf Frauen"
fort. Unter anderem diskutierten die Parlamentarierinnen darüber, inwieweit Frauen durch die Krise aus dem
Arbeitsprozess hinausgedrängt zu werden drohten, welche Folgen die Kürzung von staatlichen Bildungs-
und Gesundheitsausgaben für sie haben und wie man aus dem Teufelskreis weiblicher Armut herauskommen könnte.
Außerdem ging es um die Frage der Sichtbarmachung negativer Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf Frauen.
Zu diesem Themenblock referierten zunächst die Vorsitzende der Nationalversammlung des Parlaments von Lesotho,
Ntlhoi Motsamai, die stellvertretende Präsidentin des australischen Abgeordnetenhauses, Anna Burke, und die
stellvertretende Präsidentin des britischen Oberhauses, Anne Gibson.
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer machte in ihrem Einleitungsstatement darauf aufmerksam, dass die internationale
Wirtschaft in der tiefsten Rezession seit mehr als 50 Jahren stecke. Sowohl der Internationale Währungsfonds
als auch die Weltbank befürchteten, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise die Millenniumsziele zur Reduzierung
der weltweiten Armut gefährde, skizzierte sie. Von der Wirtschaftskrise seien, so Prammer, Männer und
Frauen betroffen, aber Frauen würden bei Kündigungen häufig als erste entlassen und seien häufiger
von atypischen Beschäftigungsverhältnissen betroffen. Zudem seien sie in vielen Teilen der Welt nicht
vollständig in das Sozialsystem integriert.
Ntlhoi Motsamai: Krise gefährdet Errungenschaften der Frauen
Ntlhoi Motsamai, Präsidentin der Nationalversammlung von Lesotho, wies eingangs ihrer Rede darauf hin, dass
die Anstrengungen afrikanischer Frauen in Richtung Gleichberechtigung in den vergangenen Jahren einige Früchte
getragen hätten. Immer mehr Frauen seien in traditionell mit Männern besetzten Machtpositionen ernannt
worden, meinte sie. Gerade als erste Erfolge gefeiert werden hätten können und auch die Armut in den
Ländern sichtbar zurückgegangen sei, sei Ende 2007 jedoch der Einbruch gekommen: Zunächst die massive
Verteuerung von Lebensmittel- und Energiepreisen und danach die globale Finanz- und Wirtschaftskrise.
Die jüngsten Entwicklungen bedrohen Motsamai zufolge die Errungenschaften von Frauen. Derzeit habe die Wirtschafts-
und Finanzkrise Priorität, veranschaulichte sie, die Bekämpfung von Hunger und Armut stehe nicht mehr
an erster Stelle. Es werde immer schwieriger, Geld für Entwicklungsprogramme aufzutreiben. Die öffentlichen
Ausgaben gingen zurück und damit auch die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten. Ebenso würden in wirtschaftlich
harten Zeiten Mädchen eher aus der Schule genommen als Buben und eher zu Kinderarbeit herangezogen. Dazu komme,
so Motsamai, dass Männer, die unter der Krise leiden, verstärkt zu häuslicher Gewalt neigten. Man
müsse aufpassen, dass es in Folge der Krise zu keinem echten Rückschritt bei der Frauengleichstellung
komme, bekräftigte die Parlamentspräsidentin von Lesotho.
In Lesotho selbst ist die Krise ihrer Darstellung nach noch nicht voll ausgebrochen. Allerdings seien bereits 42.000
Arbeitsplätze in der verarbeitenden Industrie verloren gegangen, für kleine und mittlere Betriebe stünden
zu wenig Kreditlinien zur Verfügung. Die Politik habe versucht, mit Steuererleichterungen und Budgetschwerpunkten
gegenzusteuern.
Damit Frauen in der Krise nicht unter die Räder kommen, erachtet Motsamai die Zusammenarbeit von Regierungen
und internationalen Organisationen sowie die Wahrnehmung der Kontrollfunktion durch die Parlamente für notwendig.
Außerdem müssen ihr zufolge "Frauen mit an Bord" genommen und in Entscheidungen eingebunden
werden. Eine bessere Bildung von Mädchen und Frauen ist für Motsamai dabei ein wichtiger Schlüssel,
um die Wirtschaft anzukurbeln.
Anna Burke: Mehr Frauen in wirtschaftliche Machtpositionen
Auch Anna Burke, stellvertretende Präsidentin des Repräsentantenhauses von Australien, hob in ihrer Rede
die Notwendigkeit hervor, Frauen verstärkt in den politischen Dialog und in politische Entscheidungsprozesse
einzubeziehen und ihnen wirtschaftliche Machtpositionen zu geben. Sie glaubt, dass dadurch die Chance steigt, dass
beim Kampf gegen die Krise Geschlechteraspekte berücksichtigt werden. Zudem hätte es ihrer Meinung nach
einen Multiplikatoreneffekt für das Wirtschaftswachstum, würde man Frauen mehr Geld in die Hand geben.
Die stellvertretende Präsidentin des australischen Abgeordnetenhauses verwies auf Befürchtungen, dass
die Krise Frauen stärker betreffen werde als Männer und die Einkommensunterschiede zwischen Männern
und Frauen wieder steigen werden. Man müsse aufpassen, dass die in der Vergangenheit gesetzten kleinen Schritte
in Richtung Frauengleichstellung durch die Wirtschaftskrise nicht zum Stillstand kommen oder sogar rückgängig
gemacht werden, warnte sie.
Durch die Wirtschaftskrise droht nach Darstellung Burkes auch ein erneutes Ansteigen der Kindersterblichkeit in
den Entwicklungsländern. Davon seien Mädchen überdurchschnittlich betroffen. Ebenso seien sie eher
davon bedroht, ihre Schulabbildung abbrechen zu müssen. Auch die Gewalt in der Familie steige in wirtschaftlichen
Krisenzeiten augenscheinlich, sagte Burke, wobei dieser Befund, wie Studien zeigten, vor allem auch Industriestaaten
betreffe. Als eine mögliche Ursache nannte sie die steigende wirtschaftliche Abhängigkeit der Opfer vom
Gewalttäter.
Was die konkrete Situation in Australien betrifft, ist laut Burke die Arbeitslosenrate bei Männern und Frauen
zwar annähernd gleich hoch. Frauen sind aber häufiger als Männer unterbeschäftigt, und auch
ihre Löhne sind nach wie vor niedriger. Im Kampf gegen die Wirtschaftskrise hat die Regierung ihr zufolge
unter anderem die Steuern für Familien und einkommensschwache Personen gesenkt und zwei Konjunkturbelebungspakete
mit Einmalzahlungen geschnürt, die überproportional Frauen zugute gekommen sind.
Anne Gibson: Krise darf nicht zu mehr Frauen- Diskriminierung führen
Anne Gibson, Stellvertretende Präsidentin des britischen Oberhauses, listete zunächst die in den letzten
Jahren erzielten Errungenschaften in Großbritannien auf und nannte dabei unter anderem die Einführung
eines Mindestlohns, Unterstützungen für Niedriglohnempfänger, die Förderung der Kinderbetreuung
für AlleinerzieherInnen und einkommensschwache Familien sowie die erstmalige Einführung eines bezahlten
Karenzurlaubs. Überdies werden Frauen, die sich in der Wirtschaft selbständig machen wollen, besonders
unterstützt.
"Wir waren optimistisch", sagte Gibson, bis die "Kreditklemme" aufgetaucht sei und sich die
Dinge plötzlich zu ändern begonnen hätten. Das Leben einer Frau sei, so Gibson, viel komplizierter
geworden, nicht zuletzt, weil Frauen nach wie vor die Hauptlast tragen, wenn es zu Einkommensverlusten in einer
Familie komme. Sie machten sich grundsätzlich auch mehr Sorgen über die Wirtschaftskrise als Männer,
da es an ihnen liege, offene Rechnungen zu zahlen. In England sind Gibson zufolge schon jetzt nicht nur Männer
von einem massiven Verlust von Arbeitsplätzen betroffen, sondern, durch Jobabbau im Einzelhandel und im Bankensektor,
auch Frauen.
Drei notwendige Reaktionen auf die Wirtschaftskrise hob Gibson besonders hervor: Man müsse wachsam sein, dass
die Rezession nicht zu vermehrter Diskriminierung von Frauen führt. Man müsse sicherstellen, dass Fähigkeiten
von Frauen entsprechend genützt werden. Und man müsse die Krise nutzen, um Frauen für Berufszweige
und Positionen auszubilden und zu qualifizieren, in denen sie bislang zu wenig vertreten waren.
Katalin Szili: Krise von Männern verursacht
Die ungarische Parlamentspräsidentin Katalin Szili hob einleitend die Bedeutung eines regelmäßigen
Meinungsaustauschs der Parlamentspräsidentinnen hervor. Als Frauen in wichtigen Positionen hätten sie
und ihre Kolleginnen Verantwortung gegenüber anderen Frauen, bekräftigte die Politikerin.
Was die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise betrifft, machte Szili darauf aufmerksam, dass Frauen beim Entstehen
der Krise kaum beteiligt gewesen seien. Die Krise sei von einem Sektor ausgegangen, in dem Frauen eine relativ
kleine Rolle spielten, meinte sie. Demnach könne man ihrer Ansicht nach durchaus sagen, dass die Mehrzahl
der falschen Entscheidungen, die zur Krise geführt haben, von Männern getroffen wurden.
Von den Auswirkungen der Krise seien aber gerade auch Frauen betroffen, unterstrich Szili. Zwar hätten zunächst
mehr Männer als Frauen ihren Arbeitsplatz verloren, weil im Bankensektor und der Autoindustrie mehr Männer
beschäftigt seien, längerfristig müssten aber auch Frauen damit rechnen, aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen
zu werden. Schließlich sei es, so Szili, nach wie vor gängiges Denkschema, dass Männer arbeiten
müssten, während das für Frauen nicht in gleichem Ausmaß gelte.
Die Präsidentin erstellte sodann ein Mehrpunkteprogramm zur Stärkung der Rolle der Frau, wobei sie meinte,
das Ziel der Gleichstellung der Frau könne nur dann erreicht werden, wenn die grundlegenden Forderungen der
Frauen ernst genommen und erfüllt würden. Dieses Thema müsse Teil des öffentlichen Diskurses
bleiben, nicht nur für die Frauen, für die gesamte Gesellschaft, schloss Szili.
Huda Fathi Ben Amer: Die Gewalt gegen Frauen bekämpfen
Huda Fathi Ben Amer, die Präsidentin des transnationalen "Arabischen Parlaments", forderte eine
wirkungsvolle Strategie gegen Gewalt gegen Frauen ein, zumal diese quer durch alle Nationen, Gesellschaften und
Schichten konstatiert werden müsse. Bisherige Strategien hätten ihr Ziel nicht erreicht, daher müsse
auf internationaler Ebene endlich eine Lösung für dieses Problem gefunden werden.
Die sozialen Spannungen im Gefolge der Krise verschärften nun dieses Problem, weshalb es umso dringender einer
Lösung harre, betonte Fathi Ben Amer, die in diesem Zusammenhang auch auf die Rolle der Medien verwies, die
an dieser Stelle gefordert seien, ihren Teil der Verantwortung zu übernehmen.
Die Frauen seien in doppelter Hinsicht Opfer der Wirtschaftskrise. Einerseits seien sie direkt betroffen durch
Kurzarbeit, Entlassung und Arbeitslosigkeit, andererseits nähme die Gewalt in der Familie durch die soziale
Degradierung zu. Seien Männer also zugleich Opfer und Täter in dieser Krise, so litten die Frauen doppelt
unter Unterdrückung und Stress.
Umso mehr brauche es effiziente Strategien, nicht nur auf ökonomischem Gebiet, sondern auch gegen die Gewalt
gegen Frauen, und all dies in internationalem Rahmen, denn nur so, schloss Fathi Ben Amer, könne eine bessere
Zukunft für alle erreicht werden.
Jozefina Topalli: Erfolgsmodell Albanien
Die Präsidentin des albanischen Parlaments, Jozefina Topalli, meinte, es gehe primär darum, die Rolle
der Frau generell zu stärken, was auch die Aufgabe der Frauen selbst sei. Sie illustrierte diese These anhand
der positiven Bilanz, die in dieser Hinsicht in Albanien gezogen werden könne.
Als ein Land, das vor zwanzig Jahren noch vollkommen isoliert gewesen sei, habe man in der letzten Zeit enorm viel
erreicht. Der Anteil der Frauen in der Arbeitswelt sei deutlich gestiegen, wobei sie auch in immer stärkeren
Ausmaß verantwortungsvolle Positionen einnähmen. Bildung sei mittlerweile beinahe eine weibliche Domäne,
und auch in der Politik zeige diese Entwicklung nun erste Erfolge.
So seien im neu gewählten Parlament erstmals 20 Prozent aller Abgeordneten weiblich, es gebe zudem mehrere
Ministerinnen. Besonderes Augenmerk verdiene die Aktion, in jedem Ort Komitees "Frauen für Frauen"
installiert zu haben, die zur Aufwertung der Rolle der Frau das Ihre beitrügen.
Die jüngste albanische Geschichte sei eine Erfolgsgeschichte von Männern und Frauen, hielt Topalli fest,
die sodann die Wichtigkeit der internationalen Solidarität unter Frauen unterstrich.
Slavica Djukic-Dejanovic: Frauen als Leidtragende der Krise
Die serbische Parlamentspräsidentin Slavice Djukic-Dejanovic wies darauf hin, dass Frauen in weitaus stärkerem
Ausmaß von der Krise betroffen seien. Schon zuvor hätten sie weniger verdient als Männer, und sie
seien auch als erste entlassen worden. Zudem litten sie auch unter den durch die Krise entstehenden sozialen Spannungen
in besonderem Maße.
Die serbische Regierung habe dieses Problem erkannt und entsprechende Aktivitäten gesetzt, um mittels Aus-
und Weiterbildung, mit Umschulungen und anderen Maßnahmen dieser Entwicklung gegenzusteuern. Zudem halte
die Regierung an ihrem Aktionsplan zur Gleichstellung der Frau auch in Krisenzeiten fest.
Djukic-Dejanovic unterstrich, dass die Krise kein Vorwand sein dürfe, Erreichtes zu unterminieren oder zurückzunehmen.
Es gelte, gerade jetzt für die Rechte der Frau einzustehen und Angriffe auf diese Rechte entschlossen abzuwehren.
Zusammenfassung und Ausblick
Zum Abschluss der Konferenz fasste Nationalratspräsidentin Barbara Prammer die Ergebnisse der zweitägigen
Konferenz zusammen und präsentierte entsprechende Schlussfolgerungen. Übereinstimmend habe man festgestellt,
dass die Krise die Verletzbarkeit von Frauen fördere. Damit würden die Entwicklung im Sinne der Konferenz
von Bejing und die Millenniumsziele gefährdet.
Gewalt gegen Frauen sei eine Verletzung der Menschenrechte, betonte Prammer weiter, und bedürfe einer umfassenden
Antwort und des Einsatzes von UNO und IPU. Eine erste und wichtige Antwort habe durch die Gesetzgebung zu erfolgen,
setzte Präsidentin Prammer fort, es gehe aber auch um die Umsetzung in den Bereichen Justiz und Polizei, in
Form von nationalen Aktionsplänen und durch Information der Bevölkerung.
Außerdem sei Gendersensibilität in Budgetangelegenheiten wichtig. Jedenfalls sei klar, dass Stärkung
der Frauen und der Geschlechtergleichheit ein wichtiges Element im Kampf gegen die Krise sei. Frauen sollten "nicht
schüchtern sein", betonte Prammer, und ihre Themen auch entsprechend einbringen. So sollten die Parlamente
auch den Tag des Kampfes gegen die Gewalt gegen Frauen am 25. November in angemessener Weise begehen. Die Themen
der Wiener Konferenz sollten außerdem in die Agenda der Parlamentspräsidentenkonferenz im nächsten
Jahr einfließen. Sehr zufrieden zeigte sich Prammer mit der Entwicklung der Treffen von Parlamentspräsidentinnen.
IPU-Präsident Theo Ben Gurirab regte an, vor dem Treffen der ParlamentspräsidentInnen jeweils ein eigenes
Treffen der Parlamentspräsidentinnen abzuhalten und die dort behandelten Themen dann auch in der IPU-Plenarsitzung
zu diskutieren. Er werde jedenfalls die Schlussfolgerungen der Wiener Konferenz mit nach Genf nehmen. Die Perspektive
der Frauen sollten in die Beratungen der IPU einfließen. |