Der Sozialstaat, wie ihn die Fraktionen sehen   

erstellt am
24. 09. 09

Nationalrat debattiert Sozialbericht 2007/08
Wien (pk) - Zur erwarteten umfassenden Sozialdebatte geriet am 23.09. die Diskussion über den Sozialbericht 2007/08. Abgeordneter Herbert KICKL (F) führte als erster Redner zu diesem Punkt der Tagesordnung aus, der vorliegende Bericht dokumentiere das sozialpolitische Versagen der Regierung. Seiner Ansicht nach stimmt die ständige Beteuerung, wonach es in Österreich soziale Sicherheit gebe, nicht mit dem persönlichen Empfinden der Menschen überein. Der Sozialstaat droht ihm zufolge nach nicht nur in eine extreme Schieflage zu geraten, sondern ist in seiner Existenz bedroht. Die Armut habe, so Kickl, erschreckende Ausmaße angenommen. Die FPÖ wende sich gegen diese Entwicklung.

Abgeordnete Renate CSÖRGITS (S) äußerte die Vermutung, dass ihr Vorredner von einem anderen Land und nicht von Österreich gesprochen habe. Sie machte unter anderem geltend, dass die Regierung viel Geld in die Hand genommen habe, um gezielte Arbeitsmarktpolitik zu betreiben und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Csörgits wertete die Besserqualifizierung als einen ganz wichtigen Schlüssel zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit.

Abgeordneter Sigisbert DOLINSCHEK (B) wies darauf hin, dass die Arbeitslosigkeit gegenüber dem Berichtszeitraum deutlich gestiegen sei. Seiner Meinung nach muss es ein Alarmsignal sein, dass eine Million Menschen in Österreich unter der Armutsgrenze lebten. Die Regierung habe viele Maßnahmen nicht umgesetzt, kritisierte Dolinschek und wies etwa auf die große Einkommensschere zwischen Männern und Frauen hin. Er forderte unter anderem einen Mindestlohn von 1.300 € brutto und eine unbefristete Weiterführung der so genannten "Hacklerregelung".

Abgeordneter August WÖGINGER (V) machte geltend, dass die Regierung auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine Reihe sozialpolitischer Maßnahmen gesetzt habe. Österreich sei ein soziales Land und liege mit seinen Sozialleistungen im oberen Viertel der EU-Länder, bekräftigte er. Durch den Bericht nachträglich belegt sieht Wöginger die Notwendigkeit der unter der schwarz-blauen Regierung durchgeführten Pensionsreform. Generell forderte er im Pensionssystem Gerechtigkeit zwischen Berufsgruppen und Generationen. Wöginger hob weiters die hohe volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von Freiwilligenarbeit hervor und regte die bevorzugte Einstellung von ehrenamtlich tätigen MitarbeiterInnen im öffentlichen Dienst an.

Abgeordneter Norbert HOFER (F) brachte einen Entschließungsantrag ein, der auf die Erhöhung der steuerlichen Freibeträge für außergewöhnliche Aufwendungen von Behinderten abzielt. Die entsprechenden Sätze seien seit 1988 nicht mehr angehoben worden, bemängelte er.

Abgeordneter Karl ÖLLINGER (G) betonte, der vorliegende Sozialbericht sei "sehr gut", die Sozialpolitik der Regierung entspricht dem seiner Meinung nach aber nicht. Er forderte vehement die 14-malige Auszahlung der bedarfsorientierten Mindestsicherung. 730 € zwölf Mal im Jahr, seien, so Öllinger, nicht genug zum Leben. Auch einen Mindestlohn von 1000 € erachtet er als viel zu niedrig.

Sozialminister Rudolf HUNDSTORFER teilte mit, dass die Zahl der Arbeitslosen zuletzt um 8.000 Personen gesunken sei. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass Österreich die zweitniedrigste Arbeitslosenquote in Europa habe und die Arbeitslosenrate im vergangenen Jahr in keinem anderen EU-Land so wenig angestiegen sei wie in Österreich. Für Pflegegeldleistungen werden ihm zufolge heuer 200 Mio. € mehr ausgegeben als im Vorjahr. Zuversichtlich zeigte sich Hundstorfer auch dahingehend, dass in Österreich in absehbarer Zeit ein Mindestlohn von 1.200 € erreicht werden könne. Ein klares Bekenntnis legte er zum umlagenfinanzierten Pensionsversicherungssystem ab.

Zur Mindestsicherung merkte der Sozialminister an, Österreich sei aller Wahrscheinlichkeit nach das einzige Land der Welt, das während der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise darüber nachdenke, die Sozialhilfe zu verbessern und dies auch beschließen werde. Als "sekundär" bezeichnete er es dabei, ob der letztendlich ausverhandelte Jahresbetrag zwölf oder vierzehn Mal jährlich ausbezahlt wird. Die Wohnbeihilfe wird laut Hundstorfer in jedem Fall nicht in der Mindestsicherung inkludiert sein.

Wie könne man angesichts von 350.000 Arbeitslosen und tausenden Personen, die "menschenrechtswidrig zu Häkelkursen vergattert werden", um nur nicht in der Statistik aufzuscheinen, von einer Erfolgsbilanz sprechen, fragte Abgeordneter Gerald GROSZ (B) den Sozialminister. Hundstorfer sei aber nicht nur selbstzufrieden, sondern auch untätig, kritisierte der BZÖ-Mandatar, was tragische Auswirkungen für die sozial benachteiligten Menschen im Land habe. Grosz wiederholte sodann die Forderungen seiner Fraktion nach einer Valorisierung des Pflegegelds sowie nach Abschaffung der Selbstbehalte für Kinder bei Spitalsaufenthalten.

Abgeordneter Franz RIEPL (S) erinnerte daran, dass es ab dem Jahr 2000 zu einem massiven "Sozialabbau und einem Pensionsraub" gekommen sei. Die Sozialdemokratie habe dann versucht, wieder für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, wobei jedoch noch einiges getan werden müsse, räumte Riepl ein. Als Beispiel führte er die unterschiedlich hohen Bundesbeiträge für die Pensionen an, der etwa bei den Arbeitern und Angestellten 13 % beträgt, bei den Bauern jedoch 82 %.

Diesen Bereich müsse man sich in Zukunft gemeinsam mit dem Regierungspartner noch gut anschauen.

Der Sozialbericht belege, dass es eine ganz große Gruppe von Menschen in Österreich gibt, die nach wie vor benachteiligt ist, erklärte Abgeordnete Dagmar BELAKOWITSCH-JENEWEIN (F). Dazu gehören etwa die behinderten Menschen, die im Bericht als besonders armutsgefährdet eingestuft werden. Sie brachte sodann einen Entschließungsantrag ein, der für behinderte Menschen eine Rückvergütung von 20 % des Kaufpreis von Kraftfahrzeugen vorsieht.

Abgeordneter Oswald KLIKOVITS (V) war überzeugt, dass Österreich noch immer eine solidarische Gesellschaft ist, in der Leistungsträger gefördert und jene, die Hilfe benötigen, unterstützt werden. Dies belege der Sozialbericht anhand von vielen guten Beispielen. Natürlich gebe es noch einiges zu tun, meinte Klikovits, wie etwa im Bereich der Pensionen oder der armutsgefährdeten Personen.

Abgeordneter Werner NEUBAUER (F) brachte eingangs einen Entschließungsantrag bezüglich der Anpassung des Pflegegelds ein. Es sei nicht verwunderlich, dass die Freiheitlichen bei allen Wahlen gewinnen, da die Regierungsparteien die Bedürfnisse der Menschen nicht erkennen bzw. ihre Versprechen nicht halten. So sei z.B. Bundeskanzler Faymann für die Verlängerung des Seniorentickets für die ÖBB eingetreten; dies wurde aber nie umgesetzt.

Der Sozialbericht weise darauf hin, dass in Österreich 1,170.000 Menschen ein Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle (910 €) haben, konstatierte Abgeordnete Birgit SCHATZ (G). Aus diesem Grund seien auch die geplanten 733 € (zwölf Mal im Jahr ausbezahlt) für die Mindestsicherung zu niedrig angesetzt. Es müssten endlich Mindestlöhne bezahlt werden, die vor Armut schützen, forderte Schatz, was aber seit Jahren vor allem vom Wirtschaftsbund verhindert werde.

Abgeordnete Ulrike KÖNIGSBERGER-LUDWIG (S) war der Auffassung, dass die derzeitige Sozialpolitik sehr wohl engagiert und ambitioniert sei. Dies könne man etwa am Beispiel der Behindertenpolitik sehen, wo eine positive Bilanz gezogen werden könne. Auch die Beschäftigungsoffensive der Bundesregierung, die u.a. eine Arbeitsassistenz, eine Jugendarbeitsassistenz, Clearingstellen für Jugendliche und Zuschüsse zu den Lohnnebenkosten beinhalte, könne sich durchaus sehen lassen.

Abgeordnete Anna HÖLLERER (V) wies Abgeordnete Belakowitsch-Jenewein darauf hin, dass es bereits Unterstützungsmaßnahmen für die Förderung der Mobilität von behinderten Menschen gebe. Sodann widmete sie sich der häuslichen Pflege, der im Sozialbericht ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt wurde. Positiv habe sich auch die Beschäftigungsoffensive für die behinderten Menschen ausgewirkt, die trotz der Wirtschaftskrise greife.

Abgeordneter Josef MUCHITSCH (S) hielt es für sehr bedauerlich, wenn wie im Fall des Abgeordneten Grosz mit falschen Zahlen agiert werde. In Wahrheit gebe es derzeit 233.000 Arbeitslose und 66.000 Menschen, die sich in Schulungen befinden. Ein besonderes Anliegen waren ihm die Invaliditätspensionen, die fair und gerecht gestaltet werden müssen.

Die Gier von Banken und Spekulanten habe die Weltwirtschaft an den Rand des Kollaps geführt, analysierte Abgeordneter Dietmar KECK (S), und mit diesen Auswirkungen sei nun auch Österreich konfrontiert. Durch den massiven Einsatz von Steuermitteln sei es jedoch in Österreich gelungen, mögliche Konsequenzen wie Massenarbeitslosigkeit oder Massenarmut abzuwenden. Leider wurden aber nicht überall die entsprechenden Lehren aus den bedenklichen Finanzgeschäften gezogen, wie ein aktuelles Beispiel aus Oberösterreich belege.

Bei der Abstimmung wurde der Sozialbericht mehrheitlich zur Kenntnis genommen; die F-Entschließungsanträge betreffend Erhöhung der Freibeträge für außergewöhnliche Belastungen aufgrund von Behinderung, betreffend Vergütung von 20 % des Kaufpreises bei der Anschaffung von Kraftfahrzeugen durch Behinderte sowie betreffend Inflationsanpassung des Pflegegeldes verfielen alle der Ablehnung.
     
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