Die Natur hilft, wenn der Genetiker nicht mehr weiter weiß   

erstellt am
08. 10. 09

Dank der Analyse der genetischen Variation konnte ein Rätsel der Pflanzenentwicklungsgenetik gelöst werden.
Wien (boku) - Ähnlich wie bei Mensch und Tier sind Pflanzen mehr oder weniger dicht behaart. So entwickeln sich z.B. an den Wurzeln Haare, die für die enge Interaktion mit dem Boden, deren Mikroorganismen (Rhizosphäre) und für die Mineralstoffaufnahme der Pflanzen verantwortlich sind. Die Blatthaare werden als Trichome bezeichnet und dienen oft als taxonomisches Merkmal, da die Anwesenheit, Dichte bzw. deren Form zwischen Arten stark variieren kann.

Während Schädlinge bei Mensch und Tier sich oft in einer dichten Haartracht verstecken, konnte man bei der Modellpflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) zeigen, dass eine erhöhte Trichomdichte mit geringerem Schädlingsbefall korreliert. Kurz gesagt: Auf haarigen Blättern können weniger Insektengelege beobachtet werden und es kommt zu geringeren Fraßschäden. Eine weitere positive Korrelation zwischen erhöhter Überlebensfähigkeit und Blatthaaren wird auf Grund ihres Schutzes gegenüber erhöhter Transpiration und UV-Strahlung vermutet. So sind viele Pflanzen in extremen Lagen wie Gebirge, Wüsten und Steppen stark behaart. Aus diesen Gründen wird die Trichomdichte als Eigenschaft gesehen, die das Überleben von Pflanzen bei bestimmten Umweltbedingungen erleichtert.

Das Team rund um BOKU-Wissenschafterin Marie-Theres Hauser besann sich auf die Tugenden der quantitativen Genetik. Statt klassischer Mutationsanalysen benutzten die ForscherInnen in Zusammenarbeit mit dem Populationsgenetiker C. Schlötterer was „Mutter Natur“ hervorgebracht hat - Pflanzen mit vielen und wenigen Trichomen. Mittels einer „quantitative trait loci (QTL)“ Analyse und Gensequenzvergleichen von 35 Arabidopsis-Ökotypen mit unterschiedlicher Behaarungsdichte gelang es, das verantwortliche Gen zu finden.

Die Ergebnisse bringen einen neuen Blickwinkel in die hitzige Diskussion über die Bedeutung von funktionellen Veränderungen in regulatorischen versus kodierenden Genabschnitten. Der für die Dichte der Blatthaare verantwortliche Unterschied betrifft nämlich nur eine Aminosäure im kodierenden Bereich, die auf einen bisher unbeachteten Regulationsmechanismus hinweist. Der Vergleich mit verwandten Genen, die teilweise überlappende (pleiotrope) Funktionen im Blatt (Blatthaare), in der Wurzel (Wurzelhaare) und Samen (Schleimbildung und Pigmentierung) haben, zeigte, dass anscheinend zur „Spielwiese der Evolution“ dasjenige Gen herangezogen wurde, das nur im Blatt aktiv ist - also eine geringe Pleotropie besitzt, da es keine anderen Entwicklungsvorgänge reguliert. Warum ist den vielen PflanzenentwicklungsgenetikerInnen dieser Mechanismus entgangen? Sie arbeiteten mit Mutanten, bei denen das Gen komplett inaktiviert wurde.

Diese Erfolgsgeschichte ist ein gutes Beispiel von interdisziplinärer Forschung und zeigt eindrucksvoll, dass die funktionelle Genetik von der Populationsgenetik enorm profitieren kann. Die Zusammenarbeit von ForscherInnen der BOKU und Veterinärmedizinischen Universität wurde durch den FWF (Fonds für die Wissenschaftliche Forschung) und ein BOKU-Graduiertenforschungsstipendium ermöglicht. Die Arbeit wird in Current Biology veröffentlicht, ist ab 8. Oktober 2009 online und am 3. November 2009 in Print.

Referenz
Julia Hilscher, Christian Schlötterer & Marie-Theres Hauser (2009) A single amino acid replacement in ETC2 acts as major modifier of trichome patterning in natural Arabidopsis populations. Current Biology 19, 1-5 (Published online: October 8, 2009)

Hauser M-T, Harr B, Schlötterer C (2001) Trichome distribution in Arabidopsis thaliana and the close relative Arabidopsis lyrata: molecular analysis of the candidate gene GLABROUS1. Mol. Biol. Evol. 18, 1754-1763
     
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