Innsbrucker Ionenphysiker erforschen Urbausteine des Lebens
Innsbruck (scinews) - Große Kohlenstoffmoleküle mit Polkappen aus Wasser haben Innsbrucker
Wissenschaftler in einer weltraumähnlichen Umgebung erzeugt. Die beobachteten chemischen Reaktionen legen
nahe, dass auf diesen Mini-Erden möglicherweise die ersten Bausteine des Lebens entstanden sind. Die Physiker
um Prof. Paul Scheier berichten darüber in einem "Hot Paper" in der renommierten Fachzeitschrift
Angewandte Chemie International Edition.
Neben Diamant und Grafit sind C60-Kohlenstoffmoleküle - wegen ihrer Form auch Fußballmoleküle genannt
- die dritte bisher bekannte Form von Kohlenstoff. Das extrem stabile Molekül aus 60 Kohlenstoffatomen wurde
im Weltraum bereits nachgewiesen. Dort könnte es laut den Physikern um Prof. Paul Scheier vom Institut für
Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck bei der Entstehung komplexer Biomoleküle,
den Bausteinen des Lebens, in interstellaren Wolken als Katalysator eine bedeutende Rolle gespielt haben.
Neue chemische Reaktionen beobachtet
Um dies nachzuweisen, haben die Forscher C60-Moleküle gemeinsam mit Wasser in ultrakalte Heliumtröpfchen
eingeschlossen. In diesen winzigen "Nanokühlschränken" wurden die Teilchen auf 0,37 Grad Kelvin
- dies ist nahe dem absoluten Nullpunkt - abgekühlt. Dann wurden die Moleküle mit einem Elektronenstrahl
ionisiert und in einem Massenspektrometer analysiert. Das erstaunliche Ergebnis: Auf jedem C60-Molekül bildeten
sich Polkappen aus jeweils vier Wassermolekülen. "Das Wasser umschließt die Kohlenstoffmoleküle
nicht gleichmäßig, sondern sammelt sich an deren Polen und bildet dort eine kleine Eisschicht",
erklärt Paul Scheier. "Damit sehen diese Moleküle unserer Erde sehr ähnlich. Erwärmen
wir die Teilchen, schmelzen die Polkappen wieder ab." Grund für dieses Verhalten der Wassermoleküle
ist ihre gewinkelten Geometrie und das damit verbundene starke Dipolmoment, das auch für die hohe Stabilität
der Polkappen verantwortlich ist.
Weitere Versuche zeigten, dass Kohlendioxid keine solchen Polkappen bilden, weil dieses nicht über das entsprechende
Dipolmoment verfügt, während Ammoniak sich wie Wasser verhält. Die Experimente förderten außerdem
neue, bisher unbekannte chemische Reaktionen zwischen den Kohlenstoff- und den Wassermolekülen zutage. Diese
erklären erstmals die Freisetzung von Wasserstoffionen, die bei früheren Untersuchungen von Clustern
aus organischen Molekülen beobachtet wurden.
Der Ursprung des Lebens?
Laut Scheier bestätigen diese Ergebnisse die Vermutung, dass C60-Moleküle im Weltall als Nährboden
für die Entstehung erster komplexer Biomoleküle gedient haben könnten. Interstellare Wolken sind
voll von kohlenstoffhältigen Staub- und Eispartikeln, und hochenergetisches Licht könnte für die
Ionisierung der Teilchen gesorgt haben. "Da Wasser ein integraler Bestandteil des Lebens ist, verrät
uns sein Verhalten auf der Oberfläche von Kohlenstoffmolekülen viel über die mögliche Genese
von Biomolekülen", sagt Scheier. "Es gibt uns aber auch Auskunft über die Bioaktivität
der Kohlenstoffmoleküle." Medizinische Studien haben zum Beispiel gezeigt, dass C60 die Schädigung
von Hirnzellen durch Alkohol lindern kann. "Wir liefern die physikalischen Grundlagen, um all diese biologischen
Prozesse besser zu verstehen", so Scheier.
Die Innsbrucker Forscher berichten über ihre Ergebnisse in der renommierten Fachzeitschrift Angewandte Chemie
International Edition, wo die Arbeit als "Hot Paper" präsentiert wird. Bedeutende Forschungsergebnisse
in aktuell viel beachteten Fachgebieten werden so von der Redaktion der Zeitschrift hervorgehoben.
An der Innsbrucker Ionenphysik werden die C60-Moleküle seit rund 20 Jahren erforscht. Unter Leitung von Prof.
Tilmann Märk konnte am Institut gemeinsam mit dem Nobelpreisträger Harry Kroto weltweit erstmals die
ungewöhnlich starke Bindungsenergie von C60 ermittelt werden. Nun ist das Team um Paul Scheier der Frage auf
der Spur, welche Rolle C60 bei der Bildung komplexer Biomoleküle bereits im Weltall gespielt haben könnte.
"In Zukunft wollen wir noch komplexere Biomoleküle auf das C60 aufbringen und deren Reaktionen beobachten,"
sagt Scheier. Die Wissenschaftler hoffen so, dem Geheimnis der Entstehung des Lebens noch näher zu kommen.
Publikation: Novel Ion-Molecule Reactions in Helium Nanodroplets Doped with C60 and Water Clusters. Stephan
Denifl, Fabio Zappa, Ingo Mähr, Filipe Ferreira da Silva, Abid Aleem, Andreas Mauracher, Michael Probst, Jan
Urban, Pavel Mach, Arntraud Bacher, Olof Echt, Tilmann D. Märk, Paul Scheier. Angewandte Chemie International
Edition 2009. |