200 Jahre Tirol - von Andreas Hofer bis zur Europaregion   

erstellt am
29. 10. 09

Historische Veranstaltung mit Prammer und Neugebauer im Parlament
Wien (pk) - 200 Jahre Tiroler Freiheitskampf, 90 Jahre Teilung Tirols durch den Friedensvertrag von St. Germain und 60 Jahre "Hitler-Mussolini Abkommen" mit nachfolgender Zwangsumsiedlung deutschsprachiger SüdtirolerInnen. Der Erinnerung dieser Ereignisse war am 28.10. eine historische Veranstaltung im Parlament gewidmet, zu der Nationalratspräsidentin Prammer und Zweiter Präsident Fritz Neugebauer gemeinsam einluden. Unter dem Titel "Stationen eines Weges: Tirol von 1809 bis zur Europaregion" ging es vor allem auch um die Frage, wo Tirol heute steht und wo seine Zukunftsperspektiven zwischen dem deutschen und dem italienischen Kulturraum liegen. Präsidentin Prammer begrüßte ein prominentes Publikum mit Nationalratspräsident a.D. Andreas Khol und Vizekanzler a.D. Alois Mock an der Spitze. Es sprachen der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, Michael Spindelegger, die Landeshauptmänner Günther Platter (Tirol) und Luis Durnwalder (Südtirol), Landesrat Franco Panizza (Autonome Provinz Trient) sowie Univ.-Prof. Michael Gehler (Stiftung Universität Hildesheim). Das Hornquartett "Suono Corno die Vienna" gab der Veranstaltung einen feierlichen musikalischen Rahmen.

Prammer: Erfolgsgeschichte Südtiroler Autonomie
Barbara Prammer erinnerte an den Tiroler Freiheitskampf vor zweihundert Jahren, an die Teilung des Landes nach dem Ersten Weltkrieg sowie an das schändliche Hitler-Mussolini-Abkommen und die Zwangsumsiedlung deutschsprachiger SüdtirolerInnen. Das "Gruber-De Gasperi-Abkommen" nach dem Zweiten Weltkrieg habe die Grundlage für die Südtiroler Autonomie geschaffen, es habe aber viele Jahre und heftiger Auseinandersetzungen bedurft, um es umzusetzen. Heute sei die Entwicklung der Autonomie Südtirols als eine Erfolgsgeschichte zu betrachten. Gemeinsam mit dem EU-Beitritt wurden Österreich und Tirol geöffnet und in Südtirol wurde eine dynamische wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung möglich. Österreich werde auch in Zukunft zur Südtiroler Autonomie stehen. Die SüdtirolerInnen können sich auf Österreich verlassen, sagte Barbara Prammer. Ihr Wunsch: Eine positive Entwicklung aller TirolerInnen nördlich und südlich des Brenners in einer friedlichen Region.

Spindelegger: Österreich nimmt Schutzfunktion weiter wahr
Der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, Michael Spindelegger, würdigte eingangs seiner Ausführungen die Leistungen des anwesenden ehemaligen Außenministers Alois Mock als Wegbereiter der Streitbeilegung zwischen Österreich und Italien. Dann gab Minister Spindelegger einen Überblick über die facettenreiche Geschichte Tirols während der letzten zweihundert Jahre und plädierte dafür, die richtigen Schlüsse aus der Geschichte zu ziehen und den Blick in die Zukunft zu richten. Spindelegger erinnerte zunächst an die intensiven Bemühungen um die Südtiroler Autonomie auf der Grundlage des Gruber-De Gasperi-Abkommens nach dem Zweiten Weltkrieg. Dessen Nichteinhaltung durch Italien habe in Südtirol zum gewaltfreien Widerstand im Zeichen Silvio Magnagos geführt, der auf Herstellung einer echten Autonomie gerichtet war. Magnagos Bemühungen führten zur Einigung auf das "Paket", das im November 1969 von der Südtiroler Landesversammlung angenommen wurde und in weiterer Folge zum Zweiten Autonomiestatut von 1972 und letztlich zur Streitbeilegung im Jahr 1992 führte.

Auch Spindelegger gab seiner Freude über die Erfolgsgeschichte der Südtiroler Autonomie Ausdruck, würdigte die entschiedene Wahrnehmung der Südtiroler Interessen durch seine Bewohner und Bewohnerinnen und betonte auch die Rolle Österreichs, das seine Schutzfunktion unter Berufung auf das Pariser Abkommen stets wahrgenommen habe. Im Rahmen der Autonomie habe sich Südtirol sehr positiv entwickelt, berichtete der Außenminister und wies auch darauf hin, dass die Südtiroler Autonomie mittlerweile zu einer Marke, zu einem positiven Beispiel für die Lösung von Minderheitenproblemen auch in anderen Teilen der Welt geworden sei.

Die gemeinsame Mitgliedschaft Österreichs und Italiens in der Europäischen Union habe in den letzten Jahren für zusätzliche Bindungen zwischen den beiden Staaten geführt und sich auch positiv auf Südtirol ausgewirkt. Das Ziel, die Brenner-Grenze so wenig spürbar wie möglich zu machen, sei durch Schengen und die gemeinsame Währung wesentlich erleichtert worden. Dazu komme, dass Tirol, Südtirol und das Trentino im Rahmen der Europa-Region gemeinsame Interessen in den Sektoren Wirtschaft und Verkehr erfolgreich wahrnehmen und erst kürzlich ihre Absicht bekräftigt haben, die Achse Innsbruck-Bozen-Trient weiter zu verstärken.

Österreich werde seine Schutzfunktion weiter wahrnehmen, sagte Bundesminister Spindelegger abschließend und betonte dabei gleichzeitig das gute Verhältnis Österreichs zu Italien. Es gelte, die Autonomie Südtirols weiter zu entwickeln und den Integrationsprozess im Hinblick auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts voranzutreiben, sagte Spindelegger.

Platter: Nicht Heldenverehrung, sondern gemeinsame Werte
Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter begann seine Rede mit Dank an den früheren Außenminister Alois Mock und an den früheren Staatssekretär Ludwig Steiner. Im Tiroler Freiheitskampf vor 200 Jahren sei das Recht auf Freiheit und eigene Gestaltung der Zukunft verteidigt worden. Platter bezog sich auf den Tiroler Landesumzug am 20. September und betonte, es gehe heute nicht um "Heldenverehrung", sondern um bleibende Werte wie Heimat, Verlässlichkeit und Solidarität. In der Europäischen Union seien die drei Landesteile wieder zusammen geführt, sagte Platter, und ortete für Tirol heute "exzellente Perspektiven" trotz Verunsicherung durch Globalisierung und aktuelle Krise. Es gehe um Identität , um Geborgenheit und Heimat in der Region, betonte Platter, und sprach der Europaregion Tirol Vorbildwirkung zu. Es gelte aber, nicht nur zu feiern, sondern konkrete Maßnahmen in den Sektoren Bildung, Energie, Umwelt und Gesundheit zu setzen und den Brenner Basistunnel zu verwirklichen; dazu sei ein gemeinsames Büro in Bozen eingerichtet worden.

Durnwalder: Plädoyer für den Rechtsweg, Absage an Provokationen

Der Südtiroler Landeshauptmann Luis Durnwalder wertete die Veranstaltung im Parlament als Zeichen dafür, dass alle Teile Österreichs an Südtirol Anteil nehmen und Südtirol auch heute in Wien "ein Thema" sei. In einem historischen Rückblick skizzierte Dunrnwalder dann wichtige Stationen auf dem nicht immer leichten Weg Südtirols. Vor 200 Jahren habe das Land um seine Unabhängigkeit und Selbständigkeit gekämpft, heute seien aus den Feinden von damals – den Franzosen, Sachsen und Bayern – längst Freunde geworden. 1919 sei Südtirol gegen seinen Willen von Österreich abgetrennt worden, im Faschismus habe es dann überhaupt kein Verständnis für Minderheiten gegeben. Durnwalder erinnerte an das Verbot der deutschen Sprache, an die Maßnahmen der Majorisierung und schließlich an die Deportationen unter Hitler und Mussolini.

1945 sei Österreich, als besetztes Land, auch in Punkto Südtirol nicht voll verhandlungsfähig gewesen, setzte Durnwalder seine Rückschau in die Geschichte fort. Er erinnerte an das Gruber-De Gasperi-Abkommen und die Nicht-Umsetzung der Autonomie. Bei den Verhandlungen zur Umsetzung des Autonomie-Pakets in den Jahren von 1972 bis 1992 sei letztlich "mehr herausgekommen, als drin war", sagte der Südtiroler Landeshauptmann pointiert – keine "perfekte", aber eine weit reichende Autonomie. Schließlich habe Italien sogar die Verfassung geändert und damit den Schutz der Minderheiten als nationales Interesse festgeschrieben.

Durnwalder würdigte die Schutzfunktion Österreichs für die Einhaltung der Verträge. Er plädierte für die Einhaltung des Rechtsweges und erteilte Provokationen eine klare Absage. Schließlich dankte Durnwalder Österreich für seinen Einsatz für Südtirol, der für viele Minderheiten in der Welt beispielgebend sei, und unterstrich die Wichtigkeit der "Nabelschnur" Südtirols zu Österreich. Durch die EU habe sich vieles geändert, schloss Durnwalder, geblieben aber sei die "Brückenfunktion" Südtirols zwischen zwei Kultur- und Sprachräumen, zwischen der Sprache Goethes und der Sprache Dantes.

Panizza: Bereicherndes Zusammenleben verschiedener Kulturen
Franco Panizza, Landesrat für Kultur und grenzüberschreitende Zusammenarbeit der autonomen Provinz Trient, bedauerte, dass Trentino es jahrelang verabsäumt habe, seine Geschichte aufzuarbeiten. Dies habe sich zuletzt aber geändert, hielt er mit Genugtuung fest und wandte sich in diesem Zusammenhang auch gleich mit der Bitte an das österreichische Parlament und die österreichischen Behörden, dem Land die österreichischen Archive zugänglich zu machen. Viele eigene Archivbestände seien verloren gegangen, erklärte er.

Positiv beurteilte Panizza die Europaregion Tirol-Trentino und zeigte sich überzeugt, dass dort ein bereicherndes Zusammenleben verschiedener Kulturen und Sprachen möglich sei. Trentino sei ein kleines Land, umgeben von Bergen, meinte er, es sei aber ein Land mit hoher Qualität, das Forschung und nachhaltige Entwicklung fördere.

Gehler: Südtirol hat eine eigene Landesidentität entwickelt
Universitätsprofessor Michael Gehler (Stiftung Universität Hildesheim) ging zunächst auf die Tiroler Erhebung von 1809 ein und wies darauf hin, dass diese sich primär gegen die Errichtung eines zentralistischen Verwaltungsstaates gerichtet habe. Es sei um die Aufrechterhaltung des Status quo gegangen, habe sich also eine konservative Rebellion gehandelt, skizzierte er. Tirol sei zwar unterlegen, doch habe gerade diese Niederlage den Stoff für Mythen gebildet.

Gehler stellte fünfzehn "Thesen" über die Umstände auf, die seiner Meinung nach letztendlich dazu geführt haben, dass die "missratene Minderheitenpolitik" Italiens in Südtirol nach 1919 letztendlich saniert und Unrecht beseitigt werden konnte. Dabei wies er darauf hin, dass die Südtirol-Frage in Österreich zunächst über weite Strecken ein untergeordnetes Thema gewesen sei und andere Fragen wie der Abschluss des Staatsvertrags Vorrang gehabt hätten. Erst nach 1955 habe Österreich, vorwiegend aufgrund des Drucks aus Bozen und Innsbruck, allmählich in seine Schutzmachtrolle hineingefunden. Es sei auch nicht gelungen, den Konflikt zu internationalisieren, konstatierte Gehler, dieser sei vielmehr stets eine bilaterale Angelegenheit geblieben. Das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler sei mit wenigen Ausnahmen kein ernsthaftes Thema gewesen. Nur zu wenigen Zeitpunkten wie 1946/47, 1960/61, 1991/92 und plötzlich wieder 2008/09 sei darüber intensiver diskutiert worden. Man habe das italienische Dogma der territorialen Integrität nicht grundlegend in Frage stellen wollen.

Als eigentlichen Gewinner des Ringens zwischen Österreich und Italien sieht Gehler, wie er sagte, Südtirol. Seiner Ansicht nach hat sich Südtirol zunehmend emanzipiert und mittlerweile eine eigene Landesidentität entwickelt. Tirol hingegen sieht er in einer spezifischen Identitätskrise und meinte, Tirol brauche Südtirol heute offenbar mehr als umgekehrt. Langfristig betrachtet könnte die Periode zwischen 1919 und 1995 nach Auffassung Gehlers möglicherweise als reine Zwischenphase in einem sich einigenden Europa und Tirol gesehen werden.

Neugebauer: Miteinander reden, um Vorurteile zu überwinden
Zweiter Nationalratspräsident Fritz Neugebauer ging in seinen Schlussworten auf die Bemerkung Gehlers ein, wonach Minderheitenschutz nicht allein mit Verträgen gewährleistet werden könne, sondern laufende politisch-diplomatische Dauerarbeit sei, und schloss sich diesen Überlegungen vollinhaltlich an. Die Schutzfunktion Österreichs bedeute Mitverantwortung, unterstrich er und wertete gleichzeitig die Europaregion Tirol als eine Vorbild für die Verbindung von Tradition und Moderne. Dass der heutige Festakt eine vergebene Chance sei, wies Neugebauer in Anspielung auf eine Presseaussendung vehement zurück und bekräftigte, miteinander reden helfe stets, Vorurteile zu überwinden.
     
Informationen: http://www.parlinkom.gv.at    
     
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