Die sanften Wilden   

erstellt am
03. 11. 09

Das Wiener Modell der Stadterneuerung - 4. November 2009 bis 8. Jänner 2010
Wien (vig) - Der international anerkannte Wiener Weg der "Sanften Stadterneuerung" ist eng mit den Wiener Gebietsbetreuungen verknüpft. Eine multimediale Ausstellung in der Konzernzentrale der Vienna Insurance Group, dem Ringturm, zeichnet nun - anlässlich des 35-Jahr-Jubiläums dieser wichtigen Drehscheiben - ein lebendiges Portrait von der Arbeit der Wiener Gebietsbetreuungen und zeigt ihre vielfältigsten und mutigsten Projekte. Sie verdeutlicht das Zusammenspiel von historisch gewachsener Stadt und notwendiger Veränderung - und das ganzheitliche Ziel, Stadt nicht nur zu erleben, sondern auch selbst zu gestalten.

Wie kam es zur "Wiener Gebietsbetreuung"?
Seit es Städte gibt, werden diese ständig umgebaut. Jede Epoche weckt neue Bedürfnisse und die Menschen versuchen, ihre Städte diesen Erfordernissen anzupassen, wobei ein wesentlicher Faktor die ständige Erneuerung des Bestandes ist. Diese Veränderungen sind vor allem durch funktionelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Umstände hervorgerufen und für ein lebendiges Stadtgefüge unabdingbar. So gesehen ist die Stadterneuerung als normaler Vorgang der Stadtentwicklung anzusehen.

Mitte der 70er Jahre zählte Wien rund 300.000 Substandardwohnungen. Ganze Stadtteile waren damals erneuerungsbedürftig, zumal viele gründerzeitliche Mietshäuser seit ihrer Errichtung keine Investitionen erfuhren. Dazu kam die enorme Dichte dieser Viertel - mit einer Überbauung von bis zu 85 Prozent der Grundfläche und kaum Platz für Grün-, Spiel- und Erholungsflächen. Zusätzlich gab es durch die Verschiebung von Größe und Struktur der Bevölkerung einen starken Druck auf den Wohnungsmarkt.

Mit dem Stadterneuerungsgesetz (Bundesgesetz betreffend Assanierung) von Wohngebieten erhielten Österreichs Länder und Gemeinden im Jahr 1974 ein Rechtsmittel zur Behebung städtebaulicher Missstände. Oft seit Jahrzehnten verfallende Althäuser hätten nun durch Absiedelung der ansässigen Bevölkerung sowie flächendeckenden Abbruch und Neubau "saniert" werden können.

Eine engagierte Gruppe aus PlanungsbeamtInnen, ArchitektInnen, SoziologInnen, KünstlerInnen und KommunalpolitikerInnen suchte deshalb eine Alternative zu dieser radikalen Form der Erneuerung von Wohngebieten, die keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der dort lebenden Bevölkerung nahm, und forderte in einem 12-Punkte-Programm für Ottakring eine Umkehr in der Sanierungspolitik - weg vom großflächigen Abriss desolater Viertel und hin zur Aufwertung historischer Bausubstanzen durch eine sanfte Erneuerung.

Die Stadt Wien wählte den Weg der "sanften, bewohnerInnenorientierten Stadterneuerung". Sanierungsbedürftige Viertel und Häuser aus der Gründerzeit, welche bestimmend für das Stadtbild weiter Teile von Wien waren, wurden und werden behutsam erneuert. Die meisten der Gründerzeithäuser haben aufgrund ihrer Lage beträchtliche Standortvorteile - eine gute Erschließung durch öffentlichen Verkehr, Nahversorgung und eine ausgebaute technische und soziale Infrastruktur sowie eine kleinräumige Durchmischung mit Arbeitsstätten sind wesentliche Elemente ihrer Wohnqualität. Zudem wurden und werden durch gezielte Wohnungsneubauten alte Stadtteile bereichert.

Ziel war und ist es, die BewohnerInnen nicht aus ihren Vierteln zu verdrängen, sondern ihre Wohn- und Lebensbedingungen - unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse - entsprechend zu verbessern.

Als Grundlage für alle weiteren Entwicklungen war zunächst Vorsorge dafür zu treffen, dass der Dialog zwischen Bevölkerung, PolitikerInnen und Verwaltung als ständige Einrichtung institutionalisiert wurde. Sämtliche Interessen und Interessensgegensätze sollten sichtbar gemacht werden, um adäquate Lösungen zu erarbeiten und durch fachlich fundierte Beratungen vorhandene Probleme beheben zu können. Im Jahr 1974 wurde in einem relativ kleinen Teilgebiet in Ottakring ein Pilotmodell eingerichtet, das heute als die Wiege der Wiener Gebietsbetreuungen für den Bereich der Stadterneuerung angesehen wird.

In den darauffolgenden Jahren wurde die Gebietsbetreuung als bürgernahe Einrichtung laufend den neuen Anforderungen, Bedürfnissen und Aufgaben entsprechend weiterentwickelt und ausgebaut. Zuletzt erfolgte dies im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung, bei der unter Berücksichtigung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse, praktische Erfahrungen und Entwicklungen die aktuellen Schwerpunktgebiete für die Gebietsbetreuungen im Bereich der Stadterneuerung festgelegt wurden.

Seit 2007 wird zwischen Gebietsbetreuung Stadterneuerung (GBstern), Mobile Gebietsbetreuung (GBmobil) und Gebietsbetreuung Städtische Wohnhausanlagen (GBwohn) unterschieden. Im Jahr 1986 wurde die Mobile Gebietsbetreuung als Sonderform der GBstern zur Bekämpfung von Absiedlungsspekulationen gegründet. Heute nimmt sie sich besonders jener Gebäude an, die mit einer mehrschichtigen Problemlage konfrontiert sind und von deren negativen Auswirkungen die Mehrzahl der BewohnerInnen betroffen sind. Die GBwohn, die das harmonische Zusammenleben in Gemeindebauanlagen unterstützt, wird ab 1. Jänner 2010 in die Unternehmung Wohnservice Wien GesmbH unter der Bezeichnung "wohnpartner" eingegliedert und personell und finanziell aufgestockt.

Seit ihrer Gründung im Jahr 1974 ist die Wiener Gebietsbetreuung eng mit der Erfolgsgeschichte der "Sanften Stadterneuerung" in Wien verknüpft und ist als internationales Vorzeigemodell anerkannt.

Die Entwicklung der Gebietsbetreuung Stadterneuerung - was geschah in den letzten 35 Jahren?
Die Gebietsbetreuung Stadterneuerung arbeitet seit 35 Jahren dort, wo sich die Stadt in "Nahaufnahme" zeigt, wo also statistische Daten und planerische Leitideen zu konkreten, alltäglichen Erfahrungen werden. In ihren Projektlokalen vor Ort bieten die GBstern in den Bezirken und Grätzeln ein umfassendes Informations- und Beratungsangebot zu Fragen des Wohnens, der Infrastruktur, der Stadterneuerung und ganz allgemein zum Zusammenleben in einem zunehmend multiethnischen Umfeld an.

Über ihre Betreuungsfunktion hinaus werden sie aber auch von sich aus aktiv. Sie zeichnen sich durch interdisziplinäre Teams aus und besitzen ein umfangreiches Wissen über die grätzelbezogenen Bedürfnisse. Dadurch können sie wichtige Kriterien für die Wiener Stadterneuerung liefern, sowohl für das koordinierte Vorgehen auf gesamtstädtischer Ebene als auch für lokale Interventionen, bei denen die Gebietsbetreuungen selbst punktgenaue Projekte zur Stärkung der Wohn- und Lebensqualität entwickeln und initiieren. Diese breitgefächerten Dienstleistungen werden durch Vorträge und Veranstaltungen ergänzt, zudem wird der Dialog mit der Bevölkerung unterstützt und die lokale Kommunikation und Vernetzung gestärkt. Außerdem werden Stadtteilaktivitäten, Partizipations- und Pilotprojekte begleitet.

Der Inhalt der Ausstellung
Der interaktive Teil der Ausstellung wurde durch aktuelle Beiträge der Gebietsbetreuungen Stadterneuerung gestaltet, die sich aus folgenden Arbeitsfeldern zusammensetzen:

  • Bauliche Erneuerung (Sanierungsinitiativen Neu, Blocksanierung etc.)
  • Partizipation (Grätzelmanagement, Aktivierungsprojekte etc.)
  • Freiraum (div. Projekte)
  • Wirtschaft (Geschäftsstraßen, Lebendige Straßen)
  • Impulsprojekte (Kultur, Wissenschaftskooperationen etc.)

Entlang dieser Themen wurden "best practice"-Beispiele aus der Arbeit aller Wiener Gebietsbetreuungen Stadterneuerung ausgewählt. Gleichzeitig wurden historische Grundlagen und herausragende Beispiele der Wiener Stadterneuerungspraxis der letzten 35 Jahre redaktionell in das Ausstellungskonzept eingearbeitet.

Auch internationale Beispiele wurden integriert. Dabei fiel die Auswahl auf Projekte aus Berlin, Paris und Amsterdam, wobei die Beispiele Paris und Amsterdam aus jeweiligen Projektkooperationen zwischen Wien und den Partnerstädten entstanden sind.

     
Informationen: http://www.vig.com    
     
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