Der Stabilitäts- und Wachstumspakt als Anker für den Rückzug aus der Konjunkturförderung
Brüssel (ec.europa) - Im Rahmen der Befugnisse, die der EG-Vertrag der Europäischen Kommission
hinsichtlich der haushaltspolitischen Überwachung verleiht, hat diese dem Rat heute vorgeschlagen, Deutschland,
den Niederlanden, Österreich, Portugal, der Slowakei, Slowenien, und der Tschechischen Republik als Frist
für die Korrektur ihrer übermäßigen Defizite das Jahr 2013 zu setzen. Bei Belgien und Italien,
die 2009 ebenfalls Defizite über 3 % des BIP verzeichnen werden, musste der Termin aufgrund des vergleichsweise
begrenzten Defizitumfangs und der hohen Schuldenquote auf 2012 vorgezogen werden. Darüber hinaus hat die Kommission
bewertet, ob in Frankreich, Griechenland, Irland, Spanien und im Vereinigten Königreich „wirksame Maßnahmen”
zur Umsetzung der Ratsempfehlungen vom vergangenen April getroffen wurden. Im Falle Griechenlands schlägt
sie dem Rat die Schlussfolgerung vor, dass keine wirksamen Maßnahmen getroffen wurden. Bei den anderen vier
Ländern kann der Schluss gezogen werden, dass Maßnahmen getroffen wurden, die Verschlechterung der Wirtschaftslage
gegenüber der Kommissionsprognose gemäß Stabilitäts- und Wachstumspakt jedoch rechtfertigt,
dass die Empfehlungen überarbeitet werden und damit die Frist um ein Jahr verlängert wird. Die übermäßigen
Defizite müssten in Frankreich und Spanien also erst bis 2013, in Irland bis 2014 und im Vereinigten Königreich
im Haushaltsjahr 2014/2015 beendet werden.
„ Es herrschte generell Einigkeit darüber, dass klare und glaubwürdige Rückzugsstrategien festgelegt
werden müssen, um die durch die Krise drastisch angestiegenen öffentlichen Defizite und Schuldenstände
zu verringern. Hierfür bildet der Stabilitäts- und Wachstumspakt mit den Defizitverfahren und den im
kommenden Januar vorzulegenden Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen den Anker. Die Anwendung des Pakts und
die Festlegung solcher Strategien ist nicht nur mit der Fortführung der Konjunkturmaßnahmen zur Ankurbelung
der Wirtschaft im Jahr 2010 vereinbar, sondern auch erforderlich, um einen Anstieg der langfristigen Zinssätze
zu vermeiden, der den Schuldendienst verteuern, die Kreditkosten für Familien und Unternehmen in die Höhe
treiben und dadurch die wirtschaftliche Erholung selbst bremsen würde”, so Wirtschafts- und Währungskommissar
Joaquín Almunia. „ Die heute vorgeschlagenen Fristen halte ich für angemessen und realistisch”.
Bei den letzten Treffen des Europäischen Rates und der G-20 wurde auf höchster Ebene wiederholt auf die
Notwendigkeit hingewiesen, die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wiederherzustellen,
sobald die Erholung von der schwersten Wirtschaftskrise seit Ende des zweiten Weltkriegs gesichert ist. Der Europäische
Rat hat ferner bekräftigt, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt für die von den Mitgliedstaaten
festzulegenden und zu koordinierenden Strategien für den Rückzug aus der Konjunkturförderung eine
Ankerfunktion besitzt. Der 2005 reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt bietet in der derzeitigen Krise
die erforderliche Flexibilität, um dem haushaltspolitischen Spielraum der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung
zu tragen.
Die Herbstprognosen zeigen, dass die durchschnittliche Haushaltsposition in der EU von -0,8 % des BIP im Jahr 2007
(der besten Position seit 30 Jahren) auf -2,3 % im Jahr 2008 (dem Jahr, in dem sich die Finanzkrise zu einer echten
Wirtschaftskrise ausweitete) umgeschwenkt ist. Es wird erwartet, dass sich dieser Wert im laufenden Jahr auf -6,9
% verdreifacht und 2010, das noch weitgehend von Konjunkturmaßnahmen geprägt sein wird, weil die wirtschaftliche
Erholung noch nicht Fuß gefasst hat, weiter auf -7,5 % ansteigt. Der öffentliche Schuldenstand soll
sich im gleichen Jahr um mehr als 20 Prozentpunkte des BIP erhöhen und selbst dann weiter ansteigen, wenn
die Defizite abzunehmen beginnen.
Sowohl die Entwicklungen seit dem zweiten Quartal 2009 als auch erhebungsgestützte Indikatoren zeigen, dass
die EU allmählich aus der Rezession herauskommt. Die Herbstprognose geht für das Jahr 2011 von einem
BIP-Wachstum von 1,6 % in der EU aus, was deutlich über dem geschätzten aktuellen Potenzial liegt, weswegen
die Mitgliedstaaten in dem genannten Jahr – soweit noch nicht geschehen – mit der Konsolidierung beginnen sollten.
Bewertung der Wirksamkeit der Maßnahmen
Die Kommission hat am 11.11. die Maßnahmen von fünf Ländern (Frankreich, Griechenland,
Irland, Spanien und Vereinigtes Königreich) bewertet, bei denen im April auf Empfehlung der Kommission nach
Artikel 104 Absatz 7 EG-Vertrag, gestützt auf die am 19. Januar veröffentlichten Wirtschaftsprognosen,
das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit eingeleitet worden war.
Im Falle Griechenlands vertritt die Kommission die Auffassung, dass keine wirksamen Maßnahmen getroffen wurden,
da die starke Verschlechterung der Haushaltsposition im Jahr 2009 (-12,7 % laut Herbstprognose gegenüber den
von der Vorgängerregierung zugesagten -3,7 %) größtenteils auf unzureichende Abhilfemaßnahmen
der griechischen Behörden zurückzuführen ist. Auf der Ausgabenseite deutet der Haushaltsvollzug
2009 auf erhebliche Ausgabenüberschreitungen in diesem Jahr hin (2½ Prozentpunkte des BIP), von denen
mehr als die Hälfte auf außerplanmäßig hohe Aufwendungen für Arbeitnehmerentgelte und
erhöhte Investitionsausgaben zurückgeht. Die Kommission empfiehlt dem Rat deshalb die Schlussfolgerung,
dass Griechenland keine wirksamen Maßnahmen gemäß Artikel 104 Absatz 8 EG-Vertrag getroffen hat.
Im Falle Frankreichs, Irlands, Spaniens und des Vereinigten Königreichs gelangte sie zu dem
Schluss, dass zwar wirksame Maßnahmen getroffen wurden, die bestehenden Fristen und damit verbundenen jährlichen
strukturellen Anpassungen aber wegen der unerwarteten Wirtschaftsentwicklung, d.h. der Verschärfung der globalen
Krise zum Jahreswechsel, deren Haushaltsauswirkungen sich der Kontrolle der Regierungen entzogen, nicht mehr realistisch
waren. Unter derartigen Umständen kann der Rat dem Stabilitäts- und Wachstumspakt zufolge auf Vorschlag
der Kommission geänderte Empfehlungen aussprechen und u.a. eine neue Frist setzen. Für diese Länder
wurde die Frist deshalb um ein Jahr verlängert.
Frankreich empfiehlt die Kommission, sich ab 2010 um die angekündigte ehrgeizige jährliche
Anpassung um durchschnittlich 1 ¼ Prozentpunkte zu bemühen, um das Defizit bis 2013 unter den im EG-Vertrag
festgelegten Referenzwert von 3% des BIP zu senken . Dies dürfte dazu beitragen, den öffentlichen Schuldenstand,
der allem Anschein nach im Zeitraum 2008 bis 2011 um 20 Prozentpunkte auf 87 % des BIP ansteigen wird, wieder auf
einen Abwärtspfad zu führen.
In Bezug auf Irland empfiehlt die Kommission, dass die Regierung dem im Nachtragshaushalt vom April
angekündigten Paket entsprechend ihre Konsolidierungsmaßnahmen im Haushalt 2010 genauer darlegt und
im Zeitraum 2010 bis 2014 eine durchschnittliche strukturelle Anpassung um 2 Prozentpunkte jährlich sicherstellt.
Sie sollte für den Fall, dass die Wirtschafts- oder Haushaltslage besser ausfällt als derzeit erwartet,
den Defizitabbau beschleunigen und über die strukturelle Anpassung hinaus jede Gelegenheit ergreifen, um die
Verringerung der Bruttoschuldenquote in Richtung des Referenzwerts von 60 % des BIP zu beschleunigen.
Spanien sollte ab 2010 eine durchschnittliche Anpassung um 1¾ Prozentpunkte des BIP jährlich
gewährleisten, um das Defizit bis 2013 unter 3 % abzusenken. Dies ist auch erforderlich, um den Anstieg der
öffentlichen Schuldenquote zu stoppen, die 2010 die 60 %-Marke überschreiten dürfte, nachdem sie
2008 noch unter 40 % gelegen hatte. Angesichts der derzeitigen Risiken für die langfristige Tragfähigkeit
der öffentlichen Finanzen wird Spanien ferner ermutigt, seine Reformen im Renten- und Gesundheitssystem fortzusetzen.
Für das Vereinigte Königreich, gegen das bereits vor der Krise ein Defizitverfahren lief,
wird die Frist bis zum Haushaltsjahr 2014/15 verlängert, was im Zeitraum 2010/11 bis 2014/15 einer durchschnittlichen
strukturellen Anpassung um 1¾ Prozentpunkte des BIP jährlich entspräche. Die britischen Behörden
haben bereits bestätigt, dass sie einige Konjunkturmaßnahmen im Haushaltsjahr 2010/11 wie geplant zurücknehmen
werden. Im Haushalt 2009 ist ab 2011/12 eine ehrgeizigere Haushaltskonsolidierung vorgesehen, die über striktere
Ausgabenpläne erreicht werden soll. All dies ist angesichts des erwarteten Anstiegs des öffentlichen
Schuldenstandes auf fast 90 % des BIP bis Ende 2011/12 (gegenüber 52 % im Jahr 2008) unumgänglich.
Neue Defizitverfahren
Gegen Belgien, Deutschland, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Slowenien, die Slowakei
und die Tschechische Republik wurden im Oktober Defizitverfahren eingeleitet, weil die betreffenden Länder
2009 ein Defizit oberhalb des Referenzwerts planten. Den meisten dieser Länder wird in den Empfehlungen nach
Artikel 104 Absatz 7 EG-Vertrag für die Defizitkorrektur eine Frist bis 2013 eingeräumt, womit die verlangte
jährliche strukturelle Anpassung sowohl machbar ist als auch den jeweiligen Risiken für die öffentlichen
Finanzen Rechnung trägt. In zwei Fällen - Belgien und Italien - musste die Frist angesichts des relativ
geringen Defizits sowie der rasant ansteigenden Schuldenquote und der damit verbundenen hohen Zinslast auf 2012
verkürzt werden. Drei Mitgliedstaaten - Deutschland, Niederlande und Österreich - wird empfohlen, erst
2011 mit der Konsolidierung anzufangen, so dass sie 2010 noch die geplanten Konjunkturmaßnahmen durchführen
können.
Österreich, Deutschland und die Niederlande verfügen dank der relativ guten
Ausgangslage ihrer öffentlichen Finanzen über den nötigen Spielraum, ihre Konjunkturmaßnahmen
2010 planmäßig fortzuführen, und müssen ihr Defizit gemäß der Empfehlung erst 2013
unter 3 % senken, wobei sie 2011 mit der Konsolidierung ihrer Haushalte beginnen sollen. Erforderlich wäre
also eine jährliche strukturelle Anpassung von durchschnittlich ½ bis ¾ BIP-Prozentpunkten im
Zeitraum 2011-2013.
Bei Belgien hat die Kommission auch den Zusatz zum Stabilitätsprogramm für den Zeitraum
2008-2013 geprüft, der am 21. September übermittelt wurde. Der vorgesehene Anpassungspfad ist ab 2011
mit Abwärtsrisiken behaftet, da die Maßnahmen, mit denen er verwirklicht werden soll, nicht hinreichend
dargelegt werden und das belgische Programm von günstigen makroökonomischen Annahmen ausgeht. Der Rat
wird ersucht, Belgien zu empfehlen, sein Haushaltsdefizit mit Blick auf die Schuldendynamik 2012 unter 3 % zu senken.
Hierzu sollen die belgischen Behörden die im Haushaltsentwurf 2010 enthaltenen defizitsenkenden Maßnahmen
planmäßig durchführen und die geplante Anpassung 2011 und 2012 verstärken, indem sie eine
jährliche strukturelle Anpassung um durchschnittlich ¾ BIP-Prozentpunkt im Zeitraum 2010-2013 vornehmen.
Die Tschechische Republik, die Slowakei und Slowenien sollen ihr Defizit
nach Auffassung der Kommission 2013 beheben. Daher sollten die Behörden die in den Haushaltsentwürfen
enthaltenen defizitsenkenden Maßnahmen 2010 planmäßig durchführen, im Zeitraum 2010 bis 2013
eine jährliche strukturelle Anpassung um durchschnittlich ¾ bis 1 % des BIP sicherstellen und im Falle
der Tschechischen Republik und der Slowakei den mittelfristigen Haushaltsrahmen einhalten, um Ausgabenüberschreitungen
zu vermeiden, während Slowenien die Risiken für die langfristige Tragfähigkeit seiner öffentlichen
Finanzen eindämmen soll.
Im Falle Italiens hält die Kommission angesichts der außerordentlich hohen Schuldenquote
und der damit verbundenen Zinszahlungen eine Frist bis 2012 für angemessen. Die Kommission empfiehlt, dass
die italienische Regierung die Haushaltsmaßnahmen, die im dreijährigen Konjunkturpaket enthalten sind
und mit dem DPEF 2010-2013 bestätigt wurden, 2010 planmäßig durchführt und im Zeitraum 2010-2012
eine jährliche strukturelle Anpassung um durchschnittlich ½ BIP-Prozentpunkt vornimmt. Italiens Schuldenquote
dürfte 2009 auf 115 % des BIP ansteigen.
In Portugal stellen der rasante Schuldenanstieg und das hohe Leistungsbilanzdefizit ein Problem für
die langfristige Tragfähigkeit dar. Die Kommission empfiehlt, das Defizit 2013 unter 3 % zu senken, was einer
jährlichen strukturellen Anpassung um durchschnittlich 1¼ BIP-Prozentpunkt im Zeitraum 2010-2013 entspricht.
Jede unerwartete Lageverbesserung sollte genutzt werden, um das Defizit und die Schuldenquote, die 2011 voraussichtlich
90 % erreichen wird, rascher zu senken. Außerdem sollte das Land seinen mittelfristigen Haushaltsrahmen durchsetzbarer
gestalten und den Haushaltsvollzug verbessern.
Bemessung der Fristen
Mit den vorgeschlagenen Fristen wird die Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten sichergestellt und zugleich ihrem
unterschiedlichen haushaltspolitischen Spielraum Rechnung getragen. Die geforderte durchschnittliche jährliche
Anpassung wird auf der Grundlage aller Faktoren berechnet, die für die Erreichung der haushaltspolitischen
Ziele maßgeblich sind, angefangen mit der Höhe von gesamtstaatlichem Defizit und Bruttoschuldenstand
sowie anderen Indikatoren, wie Leistungsbilanzposition, Höhe der Eventualverbindlichkeiten des Finanzsektors,
Zinszahlungen, Risikoprämien und auf mittlere Sicht erwartete Veränderung der alterungsbedingten Ausgaben.
Von Ländern, denen schon in naher Zukunft hohe Tragfähigkeitsrisiken drohen, wird eine schnellere Haushaltsanpassung
verlangt, damit der Zugang zur Finanzierung über die Märkte wieder frei wird. In Ländern, die den
EGV-Referenzwert von 60 % des BIP überschritten haben, sollte der Anpassungspfad auch dazu beitragen, dass
sich die Schuldenquote wieder dieser Marke nähert. |