Wien (wifo) - Die Belebung des Welthandels und der Industrieproduktion deutet darauf hin, dass sich die
Weltwirtschaft seit dem Sommer stabilisiert hat. Damit scheint der Tiefpunkt der schweren Rezession überwunden
zu sein. Allerdings befinden sich Handel und Produktion in den Industrieländern nach wie vor auf sehr niedrigem
Niveau, und das Risiko eines Rückschlags, ausgehend etwa vom labilen Finanz- und Bankensystem, ist nach wie
vor gegeben.
Nach dem tiefsten Einbruch seit Jahrzehnten erholt sich der Welthandel seit dem Frühsommer 2009. Sein Volumen
lag allerdings zuletzt immer noch um etwa ein Achtel unter dem Höchststand vom April 2008. Die stärksten
Impulse für die Weltkonjunktur gehen zunächst von den asiatischen Schwellenländern aus. In China
wird ein umfangreiches Konjunkturprogramm zur Stimulierung der Infrastrukturinvestitionen und der privaten Konsumnachfrage
umgesetzt. Aufgrund des Exporteinbruchs hatte sich das Wirtschaftswachstum hier zwar in ähnlichem Ausmaß
verlangsamt wie in den Industrieländern (von +13% 2007 auf etwa +7% 2009), doch setzte bereits im II. Quartal
2009 eine teils kräftige Expansion ein. Sie strahlt unterstützt von der Verbesserung der Bedingungen
auf den Kapitalmärkten auf die gesamte Region aus. Die lateinamerikanischen Schwellenländer und die erdölexportierenden
Länder profitieren von einer Erholung der Rohstoffpreise.
In den Industrieländern stützt vor allem die expansive Wirtschaftspolitik die Nachfrage. Die Geldpolitik
ist nach wie vor expansiv, die Wirksamkeit der automatischen Stabilisatoren der öffentlichen Haushalte sowie
Ausgabenerhöhungen und Steuersenkungen stärken die Nachfrage merklich. Die gelungene Abstimmung sowohl
zwischen Geld- und Fiskalpolitik als auch zwischen den Ländern erhöht die Multiplikatoreffekte der Budgetpolitik.
Allerdings wirken die zunehmende Sparneigung der privaten Haushalte und die Investitionszurückhaltung der
Unternehmen dämpfend. Dies gilt vor allem für die USA, deren 2009 wirksame Konjunkturprogramme mit etwa
2% des BIP doppelt so umfangreich ausfielen als in der EU. Die öffentlichen und eingeschränkt auch die
privaten Konsumausgaben begünstigen das BIP, es dürfte im Jahr 2009 dennoch real um 2,7% schrumpfen.
Der Immobiliensektor - dessen Einbruch im Jahr 2007 den Auslöser für die Finanzkrise bildete - scheint
den Tiefpunkt erreicht zu haben. Der Wirtschaftspolitik ist es mit großem Mitteleinsatz auch gelungen, das
Finanzsystem vorerst zu stabilisieren. Weil "toxische Wertpapiere" in erheblichem Ausmaß in den
Bilanzen aufscheinen und das Vertrauen zwischen den Finanzmarktakteuren nach wie vor nicht gefestigt ist, dürfte
die Situation aber labil bleiben. Für das Jahr 2010 wird mit einem mäßigen Wachstum des BIP gerechnet.
Dämpfend wirkt vor allem der Anstieg des Sparanteils am verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte,
der die Konjunktur in den USA auch mittelfristig prägen dürfte.
Im Euro-Raum schrumpfte das BIP von Mitte 2008 bis Mitte 2009 kräftig, im Durchschnitt des Jahres 2009
dürfte es real um 4% zurückgehen. Seit Jahresmitte folgt dem tiefen Konjunktureinbruch eine vorsichtige
Erholung der Produktion. Sie ist vor allem der expansiven Fiskalpolitik zuzuschreiben, die zunehmend nachfragewirksam
wird, geht aber auch auf das Ende des Lagerabbaus und zunehmende Nachfrage aus Asien zurück. Durch eine Zunahme
der Nachfrage aus Nord- und Lateinamerika sowie von rohstoffexportierenden Ländern könnte sie verstärkt
werden.
Innerhalb des Euro-Raumes verlief die Entwicklung recht unterschiedlich. Besonders stark von der Krise betroffen
waren jene Länder, in denen eine Immobilienpreisblase platzte (etwa Spanien und Irland) oder deren Wirtschaft
überdurchschnittlich vom Export abhängt (etwa Deutschland und die Niederlande). In Frankreich fiel die
Rezession deutlich verhaltener aus, weil die Konsumnachfrage stabilisierend wirkte. Industrieproduktion und Auftragseingänge
steigen in den meisten Ländern des Euro-Raums mittlerweile wieder. Die Wirtschaft dürfte im Jahr 2010
real um knapp 1% wachsen, die Erholung bleibt damit sehr schwach. Mehrere Faktoren wirken bremsend:
- Die Kapazitätsauslastung der Unternehmen ist nach wie vor sehr niedrig; dies hemmt die Investitionsbereitschaft.
- Unter dem Druck des starken Anstiegs der Arbeitslosigkeit und der hohen Unsicherheit durch die Erschütterungen
des Finanzsystems nimmt in vielen Ländern die Sparneigung der privaten Haushalte zu und dämpft so die
Konsumnachfrage.
- Im Jahr 2010 werden nur noch wenige zusätzliche stimulierende Effekte der Fiskalpolitik wirksam.
- Die Lage vieler europäischer Banken ist nach wie vor labil; dies könnte die Bereitschaft zur Kreditvergabe
beschränken.
- Der Euro wertet gegenüber dem Dollar stetig auf.
- Versuchen die Länder mit hohem Leistungsbilanzdefizit wie Spanien und Portugal, ihren Außenwirtschaftssaldo
zu korrigieren, ohne dass die Überschussländer wie Deutschland, die Niederlande und Österreich ihre
Binnennachfrage ausweiten, so droht ein zusätzlicher restriktiver Effekt auf den Wirtschaftsraum.
Aufgrund des tiefen Einbruchs der Produktion nahm die Arbeitslosenquote im Euro-Raum kräftig zu. Kurzarbeit
erwies sich in vielen Ländern als sehr erfolgreiches Instrument zur Dämpfung des Beschäftigungseinbruchs.
Dennoch dürfte die Arbeitslosenquote im Jahr 2010 fast 11% der Erwerbspersonen erreichen. Bleibt die Konjunkturerholung
verhalten, dann dürfte die Arbeitslosigkeit von sehr hohem Sockel ausgehend nur langsam sinken.
Die neuen EU-Länder wurden von der Wirtschaftskrise mehrfach getroffen: Die Rezession bei den westlichen Handelspartnern
hatte einen Einbruch von Export und Industrieproduktion zur Folge, das Versiegen der Kapitalzuflüsse beeinträchtigte
die in erheblichem Ausmaß kreditfinanzierte Konsum- und Baunachfrage. Während die polnische Wirtschaft,
die weniger auf Außenhandel und internationale Kredite angewiesen ist, nicht schrumpfte, ging das BIP in
den baltischen Ländern schon 2009 um etwa ein Fünftel zurück. In mehreren neuen EU-Ländern
kann trotz der Stabilisierung der internationalen Konjunktur auch 2010 kein Wirtschaftswachstum erwartet werden.
Unter dem Druck internationaler Kapitalgeber werden Sparpakete zusammengestellt, die Budgetpolitik wirkt vor allem
in Ungarn, Rumänien und dem Baltikum stark prozyklisch.
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