Industrieforum: Verstärkt Frauen in technische Berufe holen - Aktiv Nachwuchssicherung für
den Wirtschaftsstandort betreiben
Wien (pwk) - Eine ausreichende Zahl an Technikern und Technikerinnen mit den für die Industrie
notwendigen Qualifikationen ist eine Grundvoraussetzung, um jenen technologischen Fortschritt sicher zu stellen,
der für die industrielle Wettbewerbsfähigkeit an einem Hochlohnstandort wie Österreich unverzichtbar
ist.
Österreich ist eines der besten Beispiele dafür, dass ein Land ohne bedeutsame Standortvorteile oder
Rohstoffvorkommen hinsichtlich Wirtschaftsleistung und Wohlstand zur Weltspitze zählen kann. Ein Spitzenplatz,
der auf einer breiten Basis an hoch qualifizierten Menschen beruht. Umso alarmierender ist es, wenn sich seit Jahren
in einem Segment der (Aus-)Bildung - nämlich in den industrienahen und produktionsorientierten Technikbereichen
- ein nicht nur hartnäckiger, sondern sogar vergrößernder Abstand zwischen zu niedrigem Angebot
und wachsender Nachfrage öffnet. Manfred Engelmann, Geschäftsführer der Bundessparte Industrie der
WKÖ: "Wir können langfristig unseren Spitzenplatz nicht verteidigen, wenn entscheidende Bereiche
der industriellen Aktivität in Österreich mangels ausreichender Anzahl an Personen mit entsprechenden
Qualifikationen nicht aufrecht erhalten werden können."
Bildungsanforderungen ändern sich, müssen sich auch ändern. Die Unternehmen spüren diese Änderungen
und reagieren. Gleichzeitig bestehen aber Versäumnisse der Politik, etwa hin-sichtlich einer Anpassung der
Lehrpläne in den Schulen oder auch der Durchlässigkeit und Anrechenbarkeit zwischen den Technikerausbildungen
in HTL, Fachhochschule und Universität "Gerade vor dem Hintergrund der Anstrengungen der österreichischen
Industrie darf die Politik umso mehr in die Pflicht genommen werden, auch ihren Beitrag zu leisten", betont
Engelmann.
"Die Verfügbarkeit von hochqualifizierten Arbeitskräften wird heute gerade von Leitbetrieben als
wichtigster Standortfaktor angesehen", unterstreicht Gerhard RIEMER, Bereichsleiter Bildung, Innovation und
Forschung in der Industriellenvereinigung. Unternehmensbefragungen haben gezeigt, dass die Industrie vor der Krise
mit einem dramatischen Mangel an Technikern industrienaher Disziplinen zu kämpfen hatte. Und auch trotz Krise
gibt es nach wie vor beachtliche Lücken bei der Deckung des Fachkräftebedarfs: So haben 42 % der Industrieunternehmen
derzeit Probleme, genügend Fachkräfte im Bereich Technik & Produktion zu finden, sogar 54 % haben
Probleme, genügend Hochqualifizierte im Bereich Forschung & Entwicklung zu finden.
In den kommenden Jahren wird eine weiter steigende Nachfrage auf ein zu geringes Angebot an Technikern treffen.
Die Industriellenvereinigung hat schon vor Jahren im Aktionsplan "Menschen Schaffen Zukunft" einige Eckpunkte
definiert, die im Zuge der Erstellung der Innovationsstrategie der Bundesregierung berücksichtigt werden müssen:
Dies reicht von der generellen Steigerung des Innovationsbewusstseins der Gesellschaft über die Innovierung
des Bildungssystems, die stärkere Einbeziehung von Frauen in Naturwissenschaften und Technik und die Verbesserung
von Rahmenbedingungen für Forschungs- und Innovationsberufe bis hin zur Erhöhung der Mobilität und
Forcierung des qualifizieren Zuzugs. Riemer: "Nachwuchssicherung muss von 'innen' - durch die Ausbildung einer
ausreichenden Zahl an hochqualifizierten Absolventinnen und Absolventen - ebenso erfolgen wie durch Attraktivität
nach 'außen' - für internationale Spitzenkräfte."
Ein besonderes Problem ist der geringe Anteil von Frauen in technischen Berufen. In der Festo GesmbH, Österreich-Tochter
des im Bereich der pneumatischen Automatisierungstechnik global tätigen Festo Konzerns (Umsatz rund 1,7 Mrd.
Euro), wurde vor sieben Jahren begonnen, sich mit dem Thema "Frau und Technik" zu befassen. Dies hat
zu mehreren Initiativen geführt, beispielsweise zur Abhaltung von "Töchtertagen" oder der Bereitstellung
sogenannter "Technikboxen" für Volksschulen. Katharina SIGL, Festo-Marketingleiterin: "Unsere
Erfahrung ist, dass die jüngeren Teilnehmerinnen mehr Offenheit mitbringen; Begeisterung zu wecken wird offenbar
mit zunehmendem Alter schwieriger und damit auch die Möglichkeit, eine Berufswahl entsprechend zu beeinflussen."
SIGL plädiert aufgrund der Erfahrung bei den "Töchtertagen" für eine möglichst frühzeitige
Möglichkeit, im Rahmen der Schulausbildung mit Technik in Kontakt zu kommen, sinnvoller Weise bereits in der
Volksschule. "Wichtig wäre in allen Schulstufen eine Veränderung der Lehrpläne, die etwa der
Beschäftigung mit physikalischen Grundlagen einen höheren Stellenwert einräumt."
Für Berndt-Thomas Krafft, Geschäftsführer des Fachverbands Maschinen & Metallwaren Indust-rie,
ist die schulische Vorbildung eine entscheidende Weichenstellung für eine spätere technische Ausbildung,
sei dies nun eine technische Lehre oder der Besuch einer HTL, Fachhochschule oder Universität. Gerade bei
den Bewerbern für Lehrstellen im technischen Bereich müssen die Unternehmen immer wieder einen erschreckenden
Mangel an Vorqualifikation feststellen: "Absolventen der Pflichtschulen sind oft nicht in der Lage einen Lehrvertrag
einzugehen, da Grundkenntnisse fehlen; zumindest das Beherrschen der Grundrechnungsarten wird beim Bewerbungsverfahren
aber eingefordert." Qualifizierte Jugendliche sind in Österreichs Industrieunternehmen als Lehrlinge
hoch willkommen. Trotz des derzeit schwierigen wirtschaftlichen Umfelds ist es für die Unternehmen eine der
obersten Prioritäten, den Abbau von Ausbildungsplätzen zu verhindern. Dies einerseits aufgrund der künftigen
demographischen Entwicklung und andererseits im Hinblick auf einen vermehrten Fachkräftebedarf im kommenden
Wirtschaftsaufschwung.
Der Bildungsforscher Arthur Schneeberger (Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft, ibw) präzisiert
das Schlagwort vom "Technikermangel": Diesen gibt es nämlich nicht generell, sondern in einzelnen
Bereichen der Technik, insbesondere in produktionsorientierten Disziplinen. Internationale Vergleiche, die einen
generellen Technikermangel in Österreich ausweisen, sind oft insofern irreführend, als sie den in Österreich
weit verbreiteten HTL-Ingenieur nicht berücksichtigen (sofern er nicht über die Kolleg-Variante erreicht
wurde): "Wir müssen uns bewusst werden, dass unser Bildungssystem eine grundsätzlich andere Struktur
hat als die in Europa und weltweit übliche respektive sich durchsetzende." Notwendig sei daher eine Verbesserung
der internationalen Transparenz der österreichischen Ausbildungsabschlüsse.
"Wir brauchen für die Zukunft außerdem eine Verschiebung des Studienanfängerstroms in Richtung
der betrieblichen Qualifikationsnachfrage nach Fachrichtungen und nach Einstiegslevels", betont Schneeberger.
So bedeutet der TU-Diplomabschluss nach 7 bis 8 Jahren Studiendauer als Erstabschluss für 70 Prozent der am
Ingenieurarbeitsmarkt angebotenen Stellen Überqualifizierung. |