Grazer Forscher identifizieren Gen, dessen Mutationen zu erblichen Polyneuropathien führen   

erstellt am
11 01. 10

Aufklärung der molekularen Mechanismen nährt Hoffnung auf neue Behandlungsansätze
Graz (medunigraz) - Polyneuropathien sind Erkrankungen der peripheren Nerven, die zu erheblichen Gehproblemen und feinmotorischen Störungen in den Händen führen. Häufige Ursachen sind Diabetes, Alkoholmissbrauch, Gifte oder Infektionen. In vielen Fällen bleibt die Ätiologie aber unklar. In den letzten Jahren kristallisierte sich immer mehr heraus, dass Polyneuropathien weitaus häufiger als bisher angenommen familiär gehäuft auftreten und vererbt werden. Im Rahmen eines vom FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) und der Österreichischen Nationalbank geförderten Projekts konnte nun ein Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Michaela Auer-Grumbach, Institut für Humangenetik und Klinische Abteilung für Endokrinologie und Nuklearmedizin der Med Uni Graz, und Dr. Christian Gülly, Zentrum für Medizinische Grundlagenforschung, ein neues Gen und seine Mutationen identifizieren, das für die Entstehung bestimmter Formen erblicher Polyneuropathien verantwortlich sind.

Hereditäre Polyneuropathien werden auch als Charcot-Marie-Tooth-Syndrom bezeichnet. Namensgeber waren drei Neurologen, die die Symptomatik am Ende des 19. Jahrhunderts erstmals beschrieben. Mit einer Prävalenz von 1 pro 2500 Einwohner ist das CMT-Syndrom die häufigste neurogenetische Erkrankung. Charakteristisch ist eine zunehmende Schwäche von Händen und Füßen, die sich auch auf Arme und Beine ausbreiten kann. Die Nervenerkrankung hat zur Folge, dass die Muskulatur nicht mehr genügend Impulse bekommt und sich zurückbildet. Die Beschwerden beginnen meist im Kindesalter und können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Auch innerhalb betroffener Familien werden oftmals leichte und schwere Verlaufsformen nebeneinander beobachtet. Da Fußdeformitäten zu den ersten Auffälligkeiten gehören, suchen viele Eltern anfänglich einen Orthopäden auf. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung treten dann oft erhebliche Gangstörungen und feinmotorische Probleme kommen hinzu.

Zahlreiche Genmutationen gefunden
Die Erforschung der genetischen Ursachen des CMT-Syndroms begann in den 80er Jahren. Dabei zeigte sich bald, dass es eine Vielzahl von Mutationen gibt, die das klinische Bild einer erblichen Polyneuropathie hervorrufen können. Diese genetischen Störungen sind über das ganze Genom verteilt und folgen unterschiedlichen Erbgängen. Trotz der Fortschritte in der Genanalytik haben aber viele Patienten in Österreich bis heute keine eindeutige Diagnose. Es ist außerdem davon auszugehen, dass die Dunkelziffer bei den erblichen Polyneuropathien nach wie vor recht hoch ist.

Mit der Entdeckung eines neuen CMT-Gens lieferten die Grazer Forscher und ihre nationalen und internationalen Kooperationspartner nun einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Erforschung der molekularen Mechanismen erblicher Polyneuropathien. Univ.-Prof. Auer- Grumbach und ihr Team identifizierten in einer österreichischen Familie mit zehn betroffenen Personen eine Mutation des TRPV4-Gens, das auf dem langen Arm des Chromosoms 12 lokalisiert ist. Dieses Gen kodiert für ein Kalzium-Ionenkanalprotein. Aufgabe dieses Proteins ist unter anderem die Regulation des zellulären Kalziumgleichgewichts als Antwort auf eine Vielzahl äußerer Reize wie zum Beispiel Mechanostimulation/Druck oder Wärme.

Dem Krankheitsmechanismus auf der Spur
In Zusammenarbeit mit den Core Facilities des Zentrums für Medizinische Forschung der Med Uni Graz und der ebenfalls am ZMF ansässigen Arbeitsgruppe von Univ.-Prof. Dr. Andrea Olschewski gelang es nicht nur, die neue Genmutation zu identifizieren, sondern auch die funktionellen Auswirkungen auf Proteinebene zu charakterisieren. Die Forscher untersuchten außerdem vier weitere Familien mit ähnlicher klinischer Symptomatik und entdeckten dabei zwei weitere neue Mutationen des TRPV4-Gens, die alle zu Änderungen in einer für die korrekte Strukturausbildung essentiellen Domäne des TRPV4 Kanals führen. "Aus diesem Wissen ergeben sich neue Ansätze, um zukünftig eine wirkungsvolle Therapie für Menschen mit dieser Erkrankung zu entwickeln", hebt Univ.-Prof. Auer-Grumbach die Bedeutung der Arbeit hervor, die auch international auf viel Beachtung stößt und im renommierten Fachjournal "Nature Genetics" publiziert wurde.

Neben der Aussicht auf neue Behandlungsansätze bedeuten die neuen Erkenntnisse für die betroffenen Patienten, dass sie nun nach oft jahrelanger Ungewissheit eine verbindliche Diagnose erhalten. Zudem hilft dieses Wissen bei der besseren Abschätzung des Krankheitsverlaufs und des Weitervererbungsrisikos und damit auch bei der besseren Bewältigung der Erkrankung.
     
Informationen: http://www.medunigraz.at    
     
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